Narwal ein gurgelndes Gerausch von sich, dann bebte das Boot. Sparrow fing an, ruhig und gleichma?ig zu pumpen. Er horte sich an wie ein Blasebalg. Langsam senkte sich der Bug. Hawkwood ballte die Fauste so fest, dass sich die Fingernagel in seine Handflache gruben.

Allmahlich stabilisierte sich das Boot, und plotzlich wurde das Licht noch fahler. Hawkwood blickte nach oben und sah, dass sich die Bullaugen trubten. Er spurte, wie ihm der Schwei? ausbrach. Auf Lees Gesicht lag ein milchig grunlicher Schimmer. Die winzigen Bullaugen glichen Prismen, die das Licht von der Wasseroberflache absorbierten und brachen. Das verlieh Lees Gesicht das Aussehen eines Reptils.

»Pumpen stopp!«, befahl der Amerikaner jetzt ganz ruhig.

Wie ein in Bernstein eingeschlossenes Insekt lag die Narwal in eineinhalb Metern Tiefe nun im schmutzigbraunen Wasser der Themse und wurde von der Stromung flussabwarts getragen. Die Stille im Boot war unheimlich – als ware die Zeit stehen geblieben. Aber noch immer drang genugend Helligkeit durch die Bullaugen, um etwas erkennen zu konnen. Was Hawkwood sehr erleichterte. Ein kratzendes Gerausch an der Au?enwand brach den Bann und lie? ihn zusammenzucken.

»Sie mussen nicht erschrecken«, beruhigte ihn Lee und verlie? seinen Aussichtsposten. »Die Stromung reibt sich am Rumpf.« Dann vergewisserte er sich, dass nirgends Wasser durch ein eventuelles Leck eindrang. Zufrieden mit seiner Inspektion sah er Hawkwood an und sagte: »Na, sind Sie nicht beeindruckt?«

Hawkwood antwortete nicht, denn er war zu sehr mit seinem Herzen beschaftigt, das wie ein Schmiedehammer schlug.

»Und das ist erst der Anfang«, redete Lee ungeruhrt weiter.

»Stellen Sie sich eine ganze Flotte Unterseeboote unter Ihrem Kommando vor. Dann ware jeder Krieg uberflussig und wurde nur noch in Geschichtsbuchern weiterleben.«

»Wie das?«, fragte Hawkwood, endlich wieder der Sprache machtig.

»Es hei?t doch, ein Land sei nur so stark wie seine Marine. Die Zerstorung der Kriegsmarine wurde jeder Nation das Ruckgrat brechen.« Der Amerikaner machte eine Pause und fugte dann schulterzuckend hinzu: »Das sehen zumindest Fulton und Napoleon so. Soll ich Sie in die Kriegsplane des Kaisers einweihen?«

»Das werden Sie sowieso tun, ob es mich nun interessiert oder nicht«, sagte Hawkwood.

»Napoleon ist der festen Uberzeugung, dass durch die Zerstorung der Thetis die britische Kriegsmarine in die Knie gezwungen wird. Das Vertrauen in Ihre Seestreitkrafte wird schwinden und die Flotte stillgelegt, weil sie nutzlos geworden ist. Nach Meinung des Kaisers ware dies das Signal fur die britischen Republikaner, sich gegen die Krone zu erheben. Wird Britannien eine Republik, ware die Freiheit der Meere gesichert, und diese Freiheit ware wiederum ein Garant fur den Frieden in der Welt.«

»Napoleon ist gro?enwahnsinnig«, gab Hawkwood zuruck und fragte sich gleichzeitig, ob britische Republikaner uberhaupt existierten. Und wenn, dann waren sie bestimmt nicht zahlreich genug, um einen Aufruhr oder gar eine Revolution anzuzetteln.

»Wie viel zahlt er Ihnen?«

Lee lachelte. »Fur die Zerstorung der Thetis? zweihundertfunfzigtausend Francs. Danach kommt es auf die Gro?e des Schiffs an. Bis zwanzig Kanonen hundertfunfzigtausend Francs; zwanzig bis drei?ig Kanonen zweihunderttausend Francs und vierhundertfunfzigtausend Francs fur jedes Kriegsschiff mit uber drei?ig Kanonen. Das reicht fur meine bescheidenen Anspruche.«

Hawkwood erinnerte sich an die im Amtszimmer der Admiralitat genannten Summen, die Fulton, Lees Vorganger, verlangt hatte. Geld schien keine Rolle bei der Verwirklichung von Napoleons teuflischen Planen zu spielen.

»Und wie wollen Sie nach der Zerstorung des Schiffs Ihre Flucht bewerkstelligen?«

»Ach, das schaffen wir schon, keine Sorge.«

»Und wie?«

Lee lachelte selbstgefallig. »Ganz einfach. An der High Bridge liegt eine danische Brigg vor Anker. Der Kapitan ist ein Sympathisant, wenn auch nicht ganz freiwillig, weil die Froschfresser seine Familie als Gei?eln genommen haben. Ich gehore als Erster Maat zur Mannschaft und Sparrow als Schiffskoch. Die Brigg wird die Narwal aufnehmen wie ein Schwan ihr Kuken.« Lee deutete mit dem Daumen nach oben. »Der Kommandoturm wird abmontiert und unter einem Weinfass verborgen an Deck vertaut. Und dann geht’s ab nach Hause. Weiter flussabwarts werfen wir Sie uber Bord. Dann sind Sie naturlich tot. Gro?e Aktionen verlangen gewisse Opfer, das verstehen Sie sicherlich.«

An Selbstvertrauen mangelt es diesem Mann sicher nicht, dachte Hawkwood. Der bittere Geschmack nach Galle sammelte sich in seinem Mund. »Und was geschieht jetzt?«, fragte er.

Lee hielt seine Taschenuhr unter eines der Bullaugen und las die Zeit ab.

»Jetzt warten wir«, verkundete er dann.

Jago legte sich trotz seiner schmerzenden Muskeln machtig in die Ruder. Seit seiner Fahnenflucht hatte er nicht mehr so hart geschuftet.

Als Sergeant des Rifles Regiments bin ich immer stolz auf meine Kraft und Ausdauer gewesen, aber jetzt bin ich Zivilist, verdammt noch mal!, dachte er wutend. Ich sollte mir Ruhe gonnen und die Fruchte meiner Arbeit genie?en, anstatt wie ein Wahnsinniger Hirngespinsten hinterherzurennen. Naturlich ist Hawkwood daran schuld. Reichst du dem Mann den kleinen Finger, nimmt er die ganze Hand. Aber wenn ich’s mir recht uberlege, so ist der Captain mein einziger Freund. Und in der Armee habe ich gelernt, dass man zu seinen Freunden halt. Wie oft hat Hawkwood mir geholfen? Unzahlige Male. Und jetzt steckt der Captain bis zum Hals in Schwierigkeiten. Also helfe ich ihm.

Jago legte kurz die Ruder nieder, wischte sich den Schwei? von der Stirn, drehte sich um und blickte flussabwarts. Von dem niedrigen Boot aus sah er nichts als uber ihm aufragende Schiffsrumpfe. Das Segelboot mit Sparrow an der Ruderpinne war nirgends zu entdecken. Allmahlich fragte er sich, ob er einer Halluzination aufgesessen sei. Er fluchte gotterbarmlich. Nein, er war sich ganz sicher, Sparrow gesehen zu haben. Na und? Er wusste nicht einmal, ob Sparrow irgendetwas mit Lee und dessen Unterseeboot am Hut hatte. Andererseits war Sparrow ein Kumpel von Scully gewesen, und selbst dieser durftige Hinweis auf eine Verbindung zu dem Schurken war verdachtig. Nathaniel Jago folgte fast immer seinem Instinkt. Sollte er sich irren, wollte er jetzt nicht an die Konsequenzen denken.

Ich wei?, dass du da drau?en bist, Sparrow! Ich kann dich riechen. Zeig dich, du verdammter Bastard!

Plotzlich tat sich zwischen den Schiffen vor ihm eine Lucke auf und gab den Blick flussabwarts frei. Und da entdeckte er in etwa funfhundert Metern Entfernung das Segelboot. Es hatte nicht viel Fahrt gemacht, seit er es durch das Fernrohr gesehen hatte, und hielt sich dicht am ostlichen Ufer der Themse. Dann drehte sich das Heck plotzlich.

Ein wutender Schrei kam von Jagos Steuerbordseite. Ein schwer beladenes Bumboot war auf Kollisionskurs. Jago ruderte zuruck, um das Boot vorbeizulassen.

»Beweg deinen verdammten Arsch!«, brullte Jago, als das Boot langsam an ihm vorbeischipperte. Der Steuermann drohte ihm mit der Faust. Als Jago wieder freie Sicht hatte, sah er sich nach dem Segelboot um.

Wo, zum Teufel, ist es geblieben?, fragte er sich. Ich hab’s doch nur fur ein paar Minuten aus den Augen verloren. Es kann auf keinen Fall in dieser kurzen Zeit das Ufer erreicht haben. Es muss irgendwo auf dem Fluss sein. Hatte ich doch nur das Fernrohr mitgenommen. Aber Jago hatte scharfe Augen. Als Schutze beim Rifles Regiment musste man Augen haben wie ein Falke. Also kniff Jago die Augen zusammen und spahte uber den Fluss. Es gab viele ahnliche Boote, aber das, nach dem er suchte, war nirgends zu sehen. Kein Segelboot mit einem Rumfass am Heck. Verdammte Schei?e!

Und dann sah er, wie ein Mann auf einem Mullkahn aufs Wasser deutete. Der Lastkahn querte den Fluss und war wohl zur Werft in Deptford unterwegs. Jago kniff die Augen zusammen und entdeckte dort, wo der Mann hindeutete, etwas im Wasser.

Er sah nur ein auf dem Fluss schwimmendes Fass. Es ist wohl von einem Leichter oder einem Handelsschiff uber Bord gegangen, dachte Jago. Nichts, woruber ich mich aufregen musste. Und trotzdem … Jetzt sah Jago, dass auf dem Mullkahn zwei Manner ins Wasser deuteten. Ein verloren gegangenes Weinfass erregt doch nicht so viel Aufmerksamkeit, uberlegte er.

Ein Weinfass?

Jago stand im Boot auf, starrte zu der Stelle und sah, wie das Fass langsam unterging.

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