Der Hammer zischte knapp an seinem Ohr vorbei, dann packte er Lees Handgelenk und schleuderte den Amerikaner gegen das Schott und boxte ihn in den Magen. Lee holte jedoch noch einmal aus und traf dieses Mal Hawkwoods Rippen. Er wurde gegen die Kurbel der Schiffsschraube geworfen. Lee watete mit hoch erhobenem Hammer hasserfullt auf ihn zu.

In dem Moment kippte das Boot ruckartig zur Seite. Sparrows Leiche loste sich von der Kurbel und sank. In der Dunkelheit sah Lee das Hindernis nicht, das jetzt zwischen ihm und Hawkwood lag, und trat auf Sparrows Oberschenkel. Er verlor das Gleichgewicht, und der Hammer fiel ihm aus der Hand.

Da warf sich Hawkwood auf den Amerikaner, beide Manner sturzten, und Hawkwood konnte gerade noch einmal Luft holen, ehe sich das Wasser auch uber ihm zusammenschlug.

In der wirbelnden Finsternis wehrte sich Lee mit aller Kraft, und es gelang ihm, Hawkwoods Hals mit todlichem Griff zu umklammern. Ein rotlicher Schleier legte sich vor Hawkwoods Augen, das Blut pochte ihm in den Ohren, und seine Lungen drohten zu platzen. In dem verzweifelten Versuch, die Hande des Amerikaners von seinem Hals zu rei?en, packte er dessen Handgelenke, aber seine Krafte schwanden schnell. Er griff mit der rechten Hand nach unten, bekam die Hoden des Amerikaners zu fassen und druckte mit aller Kraft zu. Lee lie? sofort Hawkwoods Hals los, sodass er auftauchen konnte. Keuchend schnappte er nach Luft. Er merkte zwar, dass Lee neben ihm auftauchte, konnte aber dem Sto? nicht mehr ausweichen. Lee stie? ihm das Messer in die linke Schulter.

Seltsamerweise spurte Hawkwood den Schmerz erst, als Lee das Messer herauszog und wieder zusto?en wollte. Noch im Fallen hob Hawkwood abwehrend den unverletzten Arm und tastete unter Wasser verzweifelt nach irgendeiner Waffe. Da beruhrten seine Finger ein langliches Stuck Metall. Lee packte ihn am Arm und zerrte ihn hoch. Wieder schwebte das Messer uber ihm. Mit letzter Kraft kampfte sich Hawkwood an die Wasseroberflache und stie? zu.

Die Spitze des Bohrers drang in Lees rechtes Auge. Er schrie markerschutternd.

Hawkwood rammte den Bohrer noch tiefer in den Schadel des Amerikaners, der Schrei ging in ein leises Wimmern uber. Das Messer fiel aus Lees Hand, die zu einer Geste stummen Flehens erhoben war. Mit einem letzten gurgelnden Seufzer richtete sich Lee noch einmal auf, dann wurden seine Glieder schlaff und er ging unter.

Da knarrte und bebte die Narwal noch einmal. Sie bohrte sich tiefer in den Schlamm. Erst jetzt merkte Hawkwood, dass er bereits bis zur Brust im Wasser stand. Bald wurde es uber seine Schultern schwappen, bis unters Kinn hochsteigen. Und

danach …

Die Erkenntnis, dass er hier unten, in der Finsternis, sterben wurde, traf ihn wie ein Schlag. Die Thetis war zerstort. Er wurde sterben, ohne seinen Auftrag erfullt zu haben – ein schandlicher Tod fur einen Runner. In der Hitze des Gefechts hatte Hawkwood dem Tod oft ins Auge gesehen – ohne Selbstmitleid und Groll. Einem Feind mit Gewehr und Degen in dem Bewusstsein entgegenzutreten, sterben zu mussen, war tapfer und ehrenvoll. Aber in einem Unterseeboot jammerlich zu ertrinken …

Als das Wasser um sein Kinn schwappte, watete er blindlings nach vorn zum Kommandoturm. Seine linke Schulter und sein linker Arm waren vollig taub. Er wusste nicht, wie schwer er verletzt war. Aber das spielte keine Rolle, denn er wurde nicht an dieser Messerwunde sterben, sondern ertrinken. Er fragte sich, ob es ein schmerzvoller Tod sein wurde, denn er hatte gehort, Ertrinken sei eine friedliche Art zu sterben. Doch es ware ihm lieber gewesen, diese Erfahrung nicht machen zu mussen.

Jetzt musste er den Kopf recken, damit ihm das Wasser nicht in die Nase drang. Jede Bewegung wurde zur Qual, und das Atmen fiel ihm schwer. Im Boot war kaum noch Luft.

Er musste an Jago denken. Hatte sich Nathaniel auf die Suche nach ihm gemacht? Oder hatte er den Obersten Richter benachrichtigen konnen? Sein letzter Gedanke, ehe das eiskalte Wasser uber ihm zusammenschlug, war, dass er sich nicht mehr von seinem Freund hatte verabschieden konnen.

Jago und der Corporal ruderten durch Holztrummer und vorbei an teilweise verkohlten Leichen, die mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieben, sowie an brennenden geteerten Planken, die wie geschmolzene Lava gluhten.

Rettungsboote suchten nach Uberlebenden im Wasser. Ein Bumboot legte am Rumpf des zerstorten Kriegsschiffs an, und im Gefolge eines Offiziers kletterte ein halbes Dutzend Feuerwehrmanner die Leiter zu dem qualmenden Deck hinauf.

Von Steuerbord kamen Hilferufe. Ein Matrose mit blutverschmiertem, ru?schwarzem Gesicht reckte flehend seinen Arm aus dem Wasser.

Der Corporal, aschfahl im Gesicht, sah Jago an. Der schuttelte den Kopf. »Rudere weiter, Corporal. Ein anderes Boot wird ihn aufnehmen. Nach diesem Mann suchen wir nicht.«

Ohne auf den fragenden Blick des Corporals weiter einzugehen, suchte Jago weiter nach der Stelle im Fluss, wo er glaubte, etwas Ungewohnliches gesehen zu haben. Er wusste zwar nicht, wonach er suchte, wurde es aber erkennen, sobald er es sah.

Wie dieses Stuck Treibholz, zum Beispiel, dachte er. Es konnte von der Thetis stammen. Er fischte es aus dem Wasser und musterte das gebogene Brett. Es sah wie die Daube eines Fasses aus. Die Enden waren zersplittert. Jago biss sich auf die Unterlippe und starrte uber das Dollbord hinweg. Der auffrischende Wind krauselte die Wellen. Jago warf die Daube uber Bord. Vielleicht hatte er sich getauscht und doch nur eine hochschwappende Welle gesehen. Sein Blick schweifte zum Ufer. Dort trieben schwer verletzte Manner im Wasser, die Hilfe brauchten.

Jago lie? die Schultern sinken. »Tja, mein Junge«, sagte er niedergeschlagen. »Hier ist nichts. Wir rudern zuruck.«

Aber der Corporal reagierte nicht, sondern deutete aufs Wasser. »Warten Sie! Dort druben, schauen Sie!«

Jago folgte dem Blick des Marinesoldaten, konnte aber nichts entdecken. Er schuttelte den Kopf. »Da ist nichts, mein Junge.«

»Doch«, widersprach der Corporal heftig. »Da, sehen Sie?«

Jago starrte wieder ins Wasser.

Ein Schatten. Der Schatten ihres Ruderboots und ihrer Gestalten.

Aber der Schatten bewegte sich merkwurdig. Als ob …

Da schnellte etwas durch die Wasseroberflache. In der Mitte des Strudels reckte sich eine Hand himmelwarts, dann folgten Kopf und Schultern. Ein Mann schnappte keuchend nach Luft. Der Corporal fiel vor Schreck vom Rudersitz.

Jago reagierte sofort: »Los! Steh auf, Junge! Du musst mir helfen!«

Vor Entsetzen wie benommen, hievte sich der Corporal hoch. Doch schon beugte sich Jago uber das Dollbord. Er packte den Mann bei den Schultern und zog ihn ins Boot.

Ein Wunder!

Der Marinesoldat ruderte sie ans Ufer. Jago sa? im Heck und hielt den Captain in den Armen. Er presste sein Halstuch auf Hawkwoods Schulterwunde. »Ist schon gut, Cap’n. Keine Angst. Jago ist ja bei Ihnen.«

Hawkwoods Brustkorb hob und senkte sich, als er muhsam atmete. Er blickte zu Jago hoch und flusterte etwas.

Jago beugte sich uber ihn. »Tut mir Leid, Cap’n. Das habe ich nicht verstanden.«

Hawkwood holte mit schmerzverzerrtem Gesicht tief Luft, hustete qualvoll und krachzte: »Nathaniel?«

»Ja, da bin ich.«

»Du hattest Recht.«

»Ach?«, sagte Jago. »Womit denn?«

Hawkwood verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Es war kein guter Plan.«

Und da fing Jago an zu lachen.

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