erfuhren. Mir wird es keine schlaflosen Nachte bereiten, diese Verbrecher etwas fruher vom Leben in den Tod befordert zu haben. Duvert und seine Manner hatten das Recht auf Schutz von Kriegsgefangenen verwirkt, als sie die Leichen dieser zwei Marinesoldaten geschandet haben, das hei?t, an die Schie?scharten gehangt haben.« Nach einer Pause fuhr der Oberste Richter fort. »Wir haben zumindest versucht, das Gemetzel in Grenzen zu halten, indem wir diese Manner am Bug und am Heck positionierten, weil wir davon ausgingen, dass der Torpedo dort den geringsten Schaden anrichten wurde. Was sich im Nachhinein allerdings als Irrtum herausstellte.«
»Du hast angedeutet, einer der Toten sei Brite gewesen«, sagte Hawkwood zu Jago.
Der Exsergeant nickte. »Und Sie kannten ihn«, sagte er mit einem Seitenblick auf James Read.
James Read schurzte die Lippen, ehe er das Wort ergriff.
»Wir mussten diese Operation mit etwas kronen, Hawkwood. Im wahrsten Sinn des Wortes. Wir hatten das Schiff, die Flaggen und die konigliche Standarte. Da wir nicht wussten, wie gut Lee vom franzosischen Geheimdienst informiert worden war, brauchten wir etwas, das ihn davon uberzeugen wurde, das richtige Ziel im Visier zu haben. Wir mussten ihm den Prinzen von Wales prasentieren.«
Hawkwood wollte sich emport aufrichten, doch der rasende Schmerz in seiner Schulter hinderte ihn daran. Sofort lie? er sich wieder in die Kissen sinken. »Der Prinz war an Bord?«, fragte er dann fassungslos.
James Read schuttelte den Kopf. »Nein. Ein Ersatzmann. Ein Koder aus Fleisch und Blut, wenn man so will, den man aus der Ferne mit dem Prinzen verwechseln konnte. Jemand mit der richtigen Figur.«
»Und ich habe den Mann gekannt?«
»Na ja, nicht gerade gekannt«, sagte der Richter lachelnd.
»Da hat der Sergeant etwas ubertrieben. Es sollte wohl ein Scherz sein.« Nach einer Pause fugte James Read hinzu: »Aber zu seiner Mutter hatten Sie fluchtig naheren Kontakt. Eli Gant hat diese Rolle gespielt.«
»Gant!«, rief Hawkwood entgeistert und zuckte wieder vor Schmerz zusammen. Diese Enthullungen trugen gewiss nicht zu seiner schnellen Genesung bei.
»Mir ist eingefallen, dass die Witwe und ihr Sohn auf einem der Transportschiffe in Dudman’s Yark darauf warteten, zur Verbu?ung ihrer Strafe mit Schicksalsgefahrten in die Kolonien gebracht zu werden. Wir haben der Witwe nicht verraten, wofur wir ihren Sohn brauchen, als wir ihn abholen lie?en. Eli war von der Idee begeistert. Das Kostum hat ihm gefallen.« In ernstem Ton fugte der Richter hinzu: »Ich werde veranlassen, dass er darin beerdigt wird. Das scheint mir angemessen zu sein.«
Eine Weile herrschte Schweigen im Zimmer.
»Warum dieses ganze Tauschungsmanover?«, wollte Hawkwood schlie?lich wissen. »Warum haben Sie keine Abfangnetze ausgelegt? Warum haben Sie Lee nicht einfach aufgehalten? Warum wollten Sie, dass er das Schiff zerstort?«
Als der Richter verlegen schwieg, merkte Hawkwood, dass er einen wunden Punkt beruhrt hatte.
»Weil wir herausfinden mussten, ob das Unterseeboot funktioniert und der Torpedo tatsachlich sein Ziel trifft.«
Trotz des warmen Sonnenlichts, das durch die Fenster leuchtete, uberlief Hawkwood ein eiskalter Schauder.
James Read spurte, was in Hawkwood vor sich ging. Er warf Jago einen bedeutungsvollen Blick zu. »Sie brauchen jetzt Ruhe«, sagte er, »damit Sie wieder zu Kraften kommen. Wir treffen uns bald wieder und reden dann weiter. Alles wird sich aufklaren. Begleiten Sie mich, Sergeant?«
Jago nickte, beugte sich jedoch kurz uber Hawkwood und flusterte ihm ins Ohr: »Habe ich’s Ihnen nicht gesagt, Cap’n. Diese verdammten Generale. Nie rucken sie mit der ganzen Wahrheit raus. Und dann steckt man in der Schei?e. Ganz gleich, was passiert ist: Es kommt nur auf Sie und auf mich an.«
Dann beruhrte er leicht Hawkwoods Arm und folgte dem Obersten Richter nach drau?en.
Ezra Twigg blickte auf, als Hawkwood ins Vorzimmer trat.
»Oh, Mr. Hawkwood! Was fur eine Freude, Sie wieder zu sehen, Sir! Und Sie scheinen ja wieder in Form zu sein, wenn ich das so formulieren darf.«
»Die Freude ist ganz meinerseits, Ezra. Er ist doch da, oder?«
Der Sekretar deutete mit dem Kopf zur Tur des Amtszimmers. »Ja. Und der Richter erwartet Sie schon.«
Als Hawkwood das Buro des Richters betrat, fand er drei Manner in ein Gesprach vertieft von James Read, Colonel William Congreve und ein Fremder. Die drei verstummten sofort.
Dann stand der Oberste Richter von seinem Schreibtisch auf und ging auf Hawkwood zu.
»Da sind Sie ja endlich, Hawkwood«, sagte er.
Der Colonel begru?te ihn lachelnd. »Captain! Wie schon, Sie wieder zu sehen! Haben Sie sich von Ihren Abenteuern gut erholt? Ja? Ausgezeichnet!«
»Colonel«, sagte Hawkwood und schuttelte die ihm entgegengestreckte Hand.
Der Fremde musterte Hawkwood neugierig. Er war gro?, hatte ein kraftiges, sonnengebrauntes Gesicht und durchdringende blaue Augen.
»Officer Hawkwood, Captain Johnstone«, stellte James Read die beiden einander vor.
Johnstone nickte nur.
Da trat der Richter zur Tur und sagte: »Danke, Captain Johnstone. Das war’s fur den Augenblick. Der Colonel wird sich zu gegebener Zeit mit Ihnen in Verbindung setzen. Mein Sekretar geleitet Sie nach drau?en.« James Read offnete die Tur und rief: »Mr. Twigg?«
Johnstone schien sich an der abrupten Verabschiedung nicht zu storen. Wortlos folgte er Ezra Twigg ins Vorzimmer.
Der Colonel hatte zwar ein freundliches Gesicht gemacht, aber Hawkwood konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Congreve nicht viel von Johnstone hielt.
Der Richter kehrte an seinen Schreibtisch zuruck. Der Colonel nahm auf einem der Stuhle Platz. James Read bat Hawkwood nicht, sich ebenfalls zu setzen. Er schien in Gedanken versunken zu sein. Schlie?lich sagte er: »Wir haben endlich herausgefunden, wen Lee mit ›hoher gestellte Freunde‹ gemeint hat.«
Wahrend Hawkwood auf eine Fortsetzung des Richters wartete, rutschte der Colonel unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
»Es war Admiral Dalryde.«
Dalryde! Ein Mitglied des Admiralstabs! Kein Wunder, dass Congreve so unbehaglich zumute ist, dachte Hawkwood.
»Wie sich herausstellte, hatte der Admiral hohe Spielschulden«, ergriff Congreve jetzt das Wort. »Er schuldete vor allem White’s gro?e Summen. Durch die immensen Spielverluste ist Dalryde einem anderen Mitglied des Clubs aufgefallen.«
»Lord Mandrake?«, riet Hawkwood aufs Geratewohl.
James Read nickte. »Ja. Und Mandrake hat ihn mit dieser Frau bekannt gemacht. Der Admiral hat Mandrake erzahlt, dass Sie mit diesem Fall betraut wurden. Am Abend des Balls war er in Mandrakes Stadtpalais.«
Der Schatten zwischen den Buschen, dachte Hawkwood. Wie konnte ich nur auf diese perfide Intrige reinfallen.
»Machen Sie sich keine Vorwurfe, Hawkwood. Diese Frau ist skrupellos und hinterlistig. Eine Kurtisane, mit allen Wassern gewaschen. Sie wei? ihren Charme einzusetzen. Admiral Dalryde war ihr verfallen. Au?erdem versprach sie ihm die Tilgung seiner Schulden, wenn er Dinge preisgibt, die der Geheimhaltung unterliegen. Er war es, der sie informierte, mit welcher Kutsche der Kurier nach London fahrt, wann der Stapellauf der
»Dieser Bastard hat uns alle reingelegt!«, schimpfte der Colonel und schlug mit der Faust auf sein Knie. Dann stand er auf und marschierte rastlos im Zimmer auf und ab.
»Er ist doch verhaftet worden, oder?«, fragte Hawkwood.
James Read nickte.
»Also wird er des Hochverrats angeklagt«, sagte Hawkwood.
James Read schuttelte den Kopf.