»Oder morgen, jedenfalls so bald wie moglich.«

»Ja ... gut, heute nachmittag hatt ich Zeit, so gegen vier.«

»Okay. Und wo?«

»Komm doch zu mir. Worum geht’s denn?«

»Um deine beschissenen Mitbringsel!« schrie Micha in den Horer. Was hatte der Kerl nur aus ihm gemacht? Seine wiedergewonnene Selbstbeherrschung war offenbar nur ein dunnes Hautchen, das bei der geringsten Erschutterung ri?.

»Wird ja auch Zeit. Du hast ne ganz schon lange Leitung, das mu? ich schon sagen. Hab schon viel fruher mit dir gerechnet.«

Micha bi? die Zahne zusammen und ignorierte Tobias’ Bemerkungen.

»Bis spater.«

»Ja, ich erwarte dich.«

Gegen Mittag rief Claudia an und erkundigte sich nach seinem Befinden. Er hatte mit so etwas gerechnet und sich fur diesen Fall eine ziemlich windige Erklarung zurechtgelegt, etwas von einem Referat, das er bis morgen fertiggestellt haben mu?te und das ihm schreckliches Kopfzerbrechen bereitete. Deshalb sei er in der Bibliothek so nervos gewesen. Claudia schien das zu schlucken, jedenfalls bohrte sie nicht weiter nach und wunschte ihm nur viel Erfolg. Sie sagte noch, er solle doch mal wieder bei ihr vorbeikommen, und au?erdem konnte er ihr bei Gelegenheit einmal seine Fossiliensammlung zeigen. Sie fande das sehr aufregend. Er war heilfroh, als sie endlich auflegte.

Den Rest des Tages verbrachte er damit, dem Treffen mit Tobias entgegenzufiebern. Er befand sich in einem eigentumlichen Schwebezustand zwischen Wachen und Traumen. Selbst die alltaglichsten Verrichtungen schienen ihm plotzlich tiefere Geheimnisse zu bergen. Seine beiden Mitbewohner, denen er nur kurz beim Fruhstuck begegnet war, warfen sich vielsagende Blicke zu: zu tief ins Glas geschaut oder frisch verliebt.

Gegen zwei Uhr hielt er es nicht mehr aus und machte sich auf den Weg. Er fuhr eine gro?e Schleife durch die Stadt, um nicht allzufruh bei Tobias einzutreffen, und stand kurz nach drei vor dessen Wohnungstur.

»Ah, Tag Micha, da bist du ja schon. Komm rein!«

Ohne ein Wort zu sagen, betrat er die Wohnung. Am liebsten ware er Tobias sofort an die Gurgel gesprungen, hatte ihn gewurgt und hin und her geschuttelt und gefragt, was er sich dabei gedacht habe, warum er aus einem ausgeglichenen und friedliebenden Menschen wie ihm ein einziges Nervenbundel gemacht habe, ob ihm so etwas Spa? mache. Aber er tat nichts dergleichen.

Gleich neben der Wohnungstur befand sich der Eingang zur Kuche, und, ohne zu zogern, nahm er an dem kleinen, quadratischen Kuchentisch Platz, kramte seine Zigaretten aus der Lederjacke und zundete sich eine an.

»Magst du einen Kaffee oder lieber Tee?« fragte Tobias und machte sich am Herd zu schaffen.

»Kaffee!« antwortete Micha und versuchte ruhig zu bleiben.

Tobias setzte Wasser auf und fullte ein paar Loffel Kaffeepulver in eine wei?e Kanne.

»Du hast also endlich herausgefunden, wo der Kafer und die Pflanze herstammen, ja?« Er warf Micha einen fluchtigen Blick zu, als er Zucker und Milch auf den Tisch stellte.

»Also ich mu? dir sagen, da? ich anfangs total sauer auf dich war wegen dieses lacherlichen Versteckspiels, aber jetzt .« Er wollte so richtig Dampf ablassen, kam aber gleich wieder ins Stocken.

»Was ist jetzt?«

»Ach, ich wei? auch nicht. Ich blick nicht mehr durch.«

Tobias go? das Kaffeewasser in die Kanne und ruhrte mit einem Loffel eine Weile darin herum. »Was hast du denn nun herausgefunden?« Er schaute erwartungsvoll.

»Sie stammen nicht aus der Slowakei.«

»Hmm . Dafur hast du so lange gebraucht?«

»Schei?e, jetzt mach mich blo? nicht an, ja!« brullte er, und Tobias hob beruhigend die Hande.

»Micha, was hatte ich denn tun sollen, he? Wenn ich dir einfach nur erzahlt hatte, woher sie stammen, hattest du es mir dann geglaubt?«

»Was geglaubt?«

»Na, da? sie aus der Vorzeit stammen. Aus dem Eozan, um genau zu sein.«

Jetzt war es heraus! So deutlich hatte er es fur sich bisher nicht zu formulieren gewagt. Er hielt sich unwillkurlich die Hande uber die Ohren, und sein ganzer Korper verkrampfte sich.

»Aber das ist unmoglich!«, rief er.

»Wieso unmoglich? Du hast den Kafer doch selbst gesehen.«

»Den kannst du in einem Laden gekauft haben, in diesem Naturaliendingsda.«

Tobias schuttelte lachelnd den Kopf.

»Oder du warst gar nicht in der Slowakei, sondern irgendwo in den Tropen, in Indonesien, oder wei? der Himmel.«

»Nein. Du glaubst doch selbst nicht, was du da sagst.« Er schaute ihn eindringlich ein. »Ich war in der Slowakei, und ich bin in die Hohle gefahren.«

»Was fur eine Hohle?«

Micha sprang auf, saugte gierig an seiner Zigarette und lief in der Kuche auf und ab. Tobias stellte Kaffeekanne, Milch, Zucker und zwei Tassen auf ein Tablett und sagte: »Komm, wir trinken unseren Kaffee druben. Da ist es gemutlicher.«

Micha folgte ihm durch die Diele in ein Zimmer, das von der tiefstehenden Sonne hell erleuchtet war. Kaum trat er uber die Turschwelle, blieb er wie angewurzelt stehen.

»O Gott!« entfuhr es ihm.

Das ganze Zimmer wimmelte von Dinosaurierfiguren in allen Gro?en, Formen und Ausfuhrungen, Dinosaurier aus Metall, aus Plastik, aus Holz und Stein, als Radiergummi, Briefbeschwerer oder Buchstopper, in toto oder als Skelett, wie das fast brusthohe Holzgerippe eines auf den Hinterbeinen laufenden Fleischfressers, das direkt neben dem Kachelofen in einer Zimmerecke stand. An den Wanden hingen alte Filmplakate mit grellen Darstellungen diverser Ungeheuer sowie Ausschnitte aus verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften.

»Hab ich so zusammengetragen uber die Jahre«, sagte Tobias.

»Da hast du in letzter Zeit ja Schwerstarbeit verrichten mussen.«

»Wieso? Wegen dem Film?«

»Klar.«

Tobias sa? jetzt an einem kleinen runden Tisch neben dem Fenster, von wo aus er amusiert und mit unverhohlenem Stolz verfolgte, wie Micha an den von Saurierfiguren uberquellenden Regalbrettern entlangging. »Nein, nein, da bin ich nun doch ein bi?chen zu alt fur«, sagte er. »Das meiste ist uralter Kram, aber ich bring’s nicht ubers Herz, ihn wegzuschmei?en. Ich hang dran.«

Zwischen den vielen kleinen Drachen entdeckte Micha nun auch andere Sammelstucke: Versteinerungen, Ammoniten, einen kleinen Trilobiten, Abdrucke von Farnwedeln und Blattern, Bernsteinbrocken, Muschelschalen und Schneckengehause, kleine Kristalle in den verschiedensten Farben und schlie?lich auch ein Exemplar jenes ominosen, ebenfalls in Kunstharz eingeschlossenen Prachtkafers, was ihm in aufdringlicher Weise wieder den Grund seines Besuches in Erinnerung rief. Er hatte es plotzlich uberhaupt nicht mehr eilig, daruber zu reden.

»Macht wohl etwas Muhe beim Staubwischen, der ganze Schei?, hm«, sagte er.

Tobias lachte. »Freut mich, da? du deinen Humor wiedergefunden hast. Komm, der Kaffee wird kalt. Milch, Zucker?«

»Nein, schwarz«, erwiderte er und setzte sich endlich, ohne seine Augen von den zahllosen Ausstellungsstucken abwenden zu konnen.

»Also, jetzt mal im Ernst, du wei?t, da? es stimmt, was ich sage, oder?«

»Wissen, wissen«, sagte Micha spottisch. »Wie kann man so etwas Verrucktes schon wissen? Es wurde einiges erklaren . aber glauben kann ich es nicht.«

Er griff nach seiner Tasse und ruhrte mit dem Loffel gedankenverloren darin herum, bis ihm der hei?e Kaffee auf die Hose schwappte.

»Mist!«

»Da kannst ja zweifeln, solange du willst, Micha, aber ich sage dir: Es stimmt! Ich war da. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.« Von irgendwoher zauberte er das Bild mit der Hohle hervor, das Micha schon an dem

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