Abend in der Kneipe gesehen hatte, und legte es vor Micha auf den Tisch. »Es gibt diese Hohle, und sie fuhrt in die Urzeit, ob du ‘s glaubst oder nicht.«
Er sa? ganz entspannt auf seinem Stuhl, ein spindeldurres Bein uber das andere geschlagen, hielt zwischen beiden Handen seine Kaffeetasse und machte ganz und gar nicht den Eindruck, als habe er irgendeine Vorstellung davon, welche Ungeheuerlichkeit er da gerade behauptet hatte.
»Wie kannst du erwarten, da? ich das glaube?« Micha schuttelte den Kopf. »Es ist so . so .«
»Was willst du denn noch? Ich habe dir die Beweise doch geliefert.«
»Beweise, ha!« Micha stellte die Tasse ab und ging in die Kuche, um seine Zigaretten zu holen, die er dort auf dem Tisch liegengelassen hatte. »Das reicht mir nicht«, rief er von dort in Richtung Saurierzimmer.
»Welche Beweise wurdest du denn akzeptieren?« fragte Tobias, als Micha mit Zigaretten und Aschenbecher zuruckkam.
»Ich wei? nicht, ich ... vielleicht mu?te ich es sehen.«
»Bist du verruckt?« Ihm krampfte sich bei dieser Vorstellung alles zusammen.
»Ich denke, du willst es selbst sehen?«
»Ja, aber .«
So ging es noch eine ganze Weile. Er wollte es sehen, aber er wollte es auch wieder nicht sehen. Er glaubte kein Wort von der Geschichte, und irgendwie wunschte er doch, sie ware wahr. Er war hin und her gerissen.
Und Tobias? Was war das eigentlich fur ein Mensch, der ihm da gegenubersa? und seinen Kaffee schlurfte. Ein Wahnsinniger, ein infantiler Bekloppter, der es bis heute nicht geschafft hatte, sich von einer fixen Kindheitsidee zu losen? Ein Besessener, ein hoffnungsloser Fall, der ihn nun auch in seine Wahnwelt hinabziehen wollte? Man mu?te sich ja hier nur einmal umsehen, all dies unsagliche Zeug, wie das Zimmer eines Zehnjahrigen.
Micha war immer noch vollig verkrampft, jeder Muskel seines Korpers arbeitete, und er hampelte dauernd auf seinem Stuhl herum, weil er nicht wu?te, wie er sich hinsetzen sollte.
»Ich schaff es nicht alleine, Micha. Ich will ganz ehrlich sein: Ich hatte solchen Schi?, da? ich mir vor Angst fast in die Hosen gemacht hatte. Im eozanen Dschungel bin ich umgekehrt. Ich hab’s einfach nicht mehr ausgehalten.«
Wie das klang,
»Du willst mir doch wohl nicht im Ernst weismachen, da? diese Hohle in die Urzeit fuhrt und irgend etwas mit dem Film zu tun hat, den wir damals gesehen haben«, sagte Micha.
»Du meinst
Irgendwie hatte es ihn gereizt, da hineinzufahren, erzahlte Tobias. Vielleicht habe die Erinnerung an den Film dabei auch eine Rolle gespielt, aber fur einen angehenden Geologen besa?en Hohlen auch so eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Er hatte sogar ein Kunststoffboot gekauft, das dort auf sie warten wurde. Eine Petroleumlampe sei auch vorhanden. Alles sei vorbereitet.
Er redete lange auf ihn ein.
Die Leute in der Gegend seien sehr zugeknopft gewesen, wenn er die Sprache auf die Hohle brachte. Unter den Einheimischen in der unmittelbaren Umgebung, offensichtlich ziemlich aberglaubische Leute, galten die Hohle und der angrenzende Wald als verrufenes Gebiet, in das man sich nicht gerne hineinwagte. Nur ein zahnloser Alter habe ihm mehr erzahlt. Im Flusterton sprach er von der Teufelshohle, die, solange man denken konne, immer wieder Opfer gefordert habe. Leute seien hineingefahren und fur immer verschwunden. Tobias erzahlte, ein Neffe des Alten habe zwar alles in ein englisch-deutsches Mischmasch ubersetzt, dabei aber immer wieder mit der Hand vor seinen bebrillten Augen hin und her gewischt, wohl um anzudeuten, da? der Alte ubergeschnappt sei und man sein Gefasel nicht ernst nehmen sollte.
Gegen Ende wurde Tobias immer nervoser. Wahrscheinlich spurte er, da? er mit seinen haarstraubenden Geschichten nicht bis zu seinem alten Schulfreund durchdrang. Micha schuttelte bei alldem nur immer wie unter Zwang den Kopf.
Nein, dazu wurde Tobias ihn nie uberreden konnen. Er war kein kleiner Junge mehr, der voller Begeisterung nach seinen Hirngespinsten griff, weil ihm selber nichts einfiel.
Aber abgesehen von dem Kafer und der Seerose und dem ganzen Unsinn mit der Reise in die Urzeit, gab es da noch etwas, das Micha brennend interessierte. Es fiel ihm schwer, Tobias danach zu fragen, aber es mu?te einfach sein.
»Sag mal, noch was ganz anderes, diese Schwarzhaarige ...«
»Welche Schwarzhaarige?«
»Na die, die du neulich begru?t hast, bei dem Colloquiumsvortrag. Sie war mit diesem Gartenzwerg da.«
»Ach, du meinst Ellen, Sonnenbergs Assistentin.«
»Das ist seine Assistentin?« Micha war verblufft, ohne so recht zu wissen, warum. Es lag ja eigentlich nahe.
»Ja, warum nicht? Meinst du, sie sieht zu gut aus dafur?«
»Was? Nein, naturlich nicht, ich meine .«
»Na ja, sag doch, was du meinst!« In seine Augen trat ein lauernder Ausdruck. »Du bist scharf auf sie.«
»Quatsch, ich hab sie doch nur einmal gesehen.«
»Tu nicht so! Einmal reicht. Alle sind scharf auf sie.«
»Und .«
»Was und?« Tobias sah ihn forschend an, und Micha verfluchte sich schon, da? er uberhaupt nach ihr gefragt hatte.
»Du willst wissen, ob ich etwas mit ihr habe, stimmt’s? Du, la? die Finger von ihr. Sie ist ein Eisblock, wunderschon, aber kalt und steif wie ein Brett.«
»Na, hor mal. Da hatte ich aber einen ganz anderen Eindruck.«
»Ja, ja, ich kenn das. Du brauchst mir nichts zu erzahlen. Ich will dich nur warnen. An der hat sich schon der halbe Campus die Zahne ausgebissen.«
»Aber du nicht, oder wie?«
Tobias setzte ein derart widerliches, selbstverliebtes Grinsen auf, da? Micha ihn am liebsten gepackt und in diese Regale voller pubertarer Scheu?lichkeiten geschleudert hatte. Hatte er sich dieses Grinsen angewohnt, seit er den bescheuerten Diamanten im Zahn hatte?
»Wenn du es unbedingt genau wissen willst«, sagte Tobias, und jedes einzelne Wort traf Micha wie ein gluhendes Eisen, »wir haben einmal zusammen geschlafen, vor ein paar Monaten, aber ich kann nicht gerade behaupten, da? es eine besonders begluckende Erfahrung war.«
Tobias rief ihm im Treppenhaus noch hinterher, da? er sich sein Angebot uberlegen solle, da? er schwore, nur die Wahrheit gesagt zu haben.
In der Folge entwickelte das, was Tobias ihm erzahlt hatte, ein fatales Eigenleben, weniger das mit Ellen, davon glaubte er kein Wort, sondern das andere, diese verruckte Reise, die er mit ihm unternehmen sollte. Er konnte an nichts anderes mehr denken, hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, schlief, von Alptraumen und