wenn man ihn ausgrabt« ware doch nicht schlecht. Oder: »Uber Olschiefer, der weder Ol noch Schiefer enthalt, dafur aber jede Menge anderer interessanter Sachen«. Er lachte in sich hinein.

»Na, dir scheint’s ja gut zu gehen«, sagte Sabine, die mit der Stationspost in der Hand am Turpfosten lehnte. »Freut mich! Ehrlich! Ich hab dich schon ewig nicht mehr lachen horen.«

»Unsinn«, erwiderte Axt. »Du mu?t dich tauschen.«

»Nein, nein, das kannst du dir von einer alten Freundin ruhig einmal sagen lassen.« Sie legte ihm die Post auf den Schreibtisch. »Hier, vielleicht findest du ja da noch etwas, woruber du dich amusieren kannst.«

Axt schaute ihr lachelnd hinterher, als sie den Raum verlie?. Dann ging er den Poststapel durch und stie? auf einen gro?en Briefumschlag mit dem Absender des Geologischen Instituts. So wie sie hier in Messel hatten wohl auch die Geologen die Wintermonate dazu genutzt, um endlich Daten auszuwerten und zur Veroffentlichung vorzubereiten, denn der Umschlag enthielt einen Artikel, den Niedner und seine Mitarbeiter fur eine geologische Fachzeitschrift geschrieben hatten. Er fa?te die ersten Ergebnisse ihrer Untersuchungen in Messel zusammen.

Auf Seite drei war eine Karte der Grube abgedruckt. Daruber hatten sie ein schachbrettartiges Raster gelegt. In den Kreuzungspunkten befanden sich jeweils die Bohrlocher. Irgendwo in der Nahe des steilen Grubenrandes, da, wo die Linien II oder III langfuhrten, mu?te das gro?e Krokodil liegen. Es war wirklich ein bemerkenswert gro?er Wirbel, und alle waren in heller Aufregung gewesen. Axt schatzte, da? das vollstandige Tier mindestens drei Meter lang sein mu?te. Gegen seinen erbitterten Widerstand hatten die anderen das Krokodil auf den Namen Messi getauft. Er bekam jetzt noch eine Gansehaut, wenn er daran dachte. Messi, so ein Unsinn.

Sie hatten damals lange diskutiert, was sie tun sollten. Das Skelett lag etwas abseits ihrer augenblicklichen Grabungsstellen. Sie gingen naturlich nach einem bestimmten Plan vor, gruben nicht wahllos mal hier, mal dort, sondern tasteten sich systematisch voran. Das Gebiet, in dem sie das Krokodil vermuteten, ware eigentlich erst sehr viel spater an die Reihe gekommen, und sie hatten die gesamte Planung umstellen mussen, wenn sie es sofort aus dem Schiefer holen wollten. Also beschlossen sie nach Rucksprache mit Schmaler, das Skelett zunachst dort zu belassen, wo es war. Schlie?lich gab es keinen sichereren Aufbewahrungsort als den Messeler Schiefer, in dem das Fossil schon die letzten 50 Millionen Jahre uberdauert hatte.

Plotzlich fiel ihm auf, da? das Riesenkrokodil unmittelbar neben der Stelle lag, wo die Belgier letztes Jahr gegraben hatten. Es hatte nicht viel gefehlt und die Kollegen aus Brussel waren mit einem wirklich spektakularen Fundstuck nach Hause gefahren. Na ja, dicht daneben ist auch vorbei, dachte Axt und schnaubte kurz durch die Nase.

Er mochte Prof. Lenoir und seine Mitarbeiter. Sie kannten sich seit vielen Jahren. Aber auch die kollegialste Zusammenarbeit hatte irgendwo ihre Grenzen. Als die Belgier einmal bei einer einzigen Grabungskampagne eine unverschamte Glucksstrahne hatten und nicht weniger als funfzehn vollstandige Fledermausskelette zu Tage beforderten, bekam Sabine einen schweren Heulkrampf und war danach tagelang nicht mehr ansprechbar. Und Axt konnte es ihr wirklich nicht verdenken. Er war entschieden der Meinung, da? die wichtigsten ihrer Fundstucke hier in Deutschland zu bleiben hatten. Dieses Krokodil hatte hier gelebt, war hier gestorben und sollte nun auch der hiesigen Wissenschaft und Offentlichkeit zur Verfugung stehen.

Er blatterte langsam durch das schmale Heftchen und uberflog den Text. Viel Neues hatte der Artikel nicht zu bieten, aber er stellte ja nur eine erste Ubersicht uber die durchgefuhrten Untersuchungen dar. Wirklich interessant wurde erst die Feinuntersuchung werden, der genaue Verlauf der Schichten, die exakte Altersstruktur, die Lage von Bruchkanten und Verwerfungen, aber dazu war sicher noch viel muhsame Arbeit zu verrichten.

Seine Sympathie fur die von den Geologen geleistete Arbeit schlug abrupt in blankes Entsetzen um, als er in der abschlie?enden Diskussion auf folgende Satze stie?:

Im Bohrkern des Loches II 37 stie?en die Verfasser in 2,48 m Tiefe ubrigens auf einen vollkommen intakten Wirbelknochen. Wie eine genaue Untersuchung durch Dr. Helmut Axt von der Messeler Senckenberg-Station ergab, handelt es sich um den Halswirbelknochen eines eozanen Krokodils, vielleicht eines Asiatosuchus germanicus. Aufgrund der Gro?e des Knochens kann auf ein sehr gro?es Exemplar geschlossen werden.

Ein ungewohnlich heftiger Wutanfall stieg in ihm auf wie gluhendes Magma in einem Vulkanschlot.

»Das gibt’s doch nicht!« rief er aus und hammerte mit der Faust auf die Schreibtischplatte. Und er war auch noch so gutglaubig gewesen und hatte Niedner sofort informiert. Sie hatten gleich dazu schreiben sollen, da? die Ausgrabungsstelle am Sonntag um dreizehn Uhr zur offentlichen Ausschlachtung freigegeben war. Wu?te der Mann denn nicht .

Ein Ruck ging durch seinen Korper und mit hastigen Bewegungen suchte er Niedners Telefonnummer heraus. Zwei Minuten spater schallte dessen Stimme aus dem Telefonhorer.

»Ja, Niedner hier?«

»Axt, Messel.«

»Ach, Herr Axt, was machen die Menschenknochen, haha? Wie geht es .«

»Sagen Sie mal, sind Sie eigentlich von allen guten Geistern verlassen?« polterte Axt los. Er war keineswegs zu Scherzen aufgelegt und schon gar nicht, wenn es um Menschenknochen ging. Er war ganz im Gegenteil schrecklich wutend.

»Ah, ich verstehe nicht recht.«

»Ich rede von Ihrem Artikel.«

»Ja, und?«

»Warum haben Sie nicht gleich eine Zeitungsannonce aufgegeben. Riesenkrokodil meistbietend zu verhokern oder so. Haben sie die Stelle eigentlich mit bunten Fahnchen markiert?«

»Ich verstehe immer noch nicht.«

»Naturlich verstehen Sie nicht. Wenn Sie auch nur irgend etwas verstanden hatten, dann hatten Sie diese Krokodilgeschichte in Ihrem langweiligen Artikel wohl kaum erwahnt, geschweige denn, mit genauer Angabe der Tiefe und des Fundortes. Mir fehlen die Worte fur soviel Ignoranz.«

»Also, horen Sie mal .«

»Nein, Sie horen jetzt zu! Wissen Sie uberhaupt, was MesselFossilien auf dem Schwarzmarkt wert sind? Ein Krokodil dieser Gro?e bringt wahrscheinlich mehrere zehntausend Dollar.«

»Oh, das wu?te ich nicht«, sagte Niedner kleinlaut.

»Ja, das kann ich mir denken. Sie haben wohl auch nicht gewu?t, da? Sammler, die soviel Geld dafur hinblattern, geologische Fachzeitschriften lesen und auf solche Informationen ganz versessen sind? Das sind keine naiven Idioten. Haben Sie sich uberhaupt irgend etwas gedacht mit Ihrem versteinerten Geologenhirn?«

»Nun reicht’s, Axt. Ihr Ton ist absolut unangemessen.«

»So, finden Sie? Angemessen ware, wenn Sie uns die Wachmannschaften bezahlen, die jetzt eigentlich fur die nachsten Jahre die Grube bewachen mu?ten. Vielleicht sollten Sie uns Ihre Artikel in Zukunft zur Durchsicht vorlegen, bevor Sie so einen Mist verzapfen.«

»Ich beende jetzt unser Gesprach!«

»Soweit kommt’s noch. Horen Sie sich ruhig an, was ich zu sagen habe. Sie haben namlich das Gluck, mich in einer Verfassung zu erleben, die nicht allzuhaufig vorkommt.« Axt holte noch einmal tief Luft. Dann brullte er in die Leitung: »Das ist eine gottverdammte Schweinerei, die Sie uns da eingebrockt haben. Auf Wiederhoren!« und knallte den Horer auf die Gabel.

So, jetzt ging es ihm besser. Das hatte er schon viel fruher machen sollen, irgendwo einmal richtig Dampf ablassen. Er wollte gerade die Whiskyflasche aus seinem Schreibtisch nehmen, als es vorsichtig an der Tur klopfte und kurz darauf Sabines Gesicht ins Zimmer schaute.

»Ist irgend etwas, Helmut?« fragte sie mit besorgter Miene.

»Naturlich ist was. Warum sollte ich hier sonst so rumbrullen, verdammt noch mal.«

Er griff nach dem Artikel und warf ihn Sabine entgegen. Wie ein zu gro? geratener Schmetterling flatterte das Papier durch sein Arbeitszimmer und landete auf halbem Wege neben einer auf dem Fu?boden stehenden Yucca-Palme.

»Lies selbst! Auf der letzten Seite«, sagte er und go? sich dann seinen wohlverdienten Drink ein.

Vorrate und Reiseutensilien begannen sich zu stapeln. Eva und Rainer, Michas Mitbewohner, verfolgten anfangs belustigt, spater staunend, was sich da in imposanten Mengen auf dem Fu?boden neben seinem Kleiderschrank anhaufte.

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