die richtige Richtung fuhren, aber er schwieg. Er konnte sich kaum noch daran erinnern, wie es hinter der nachsten Flu?biegung ausgesehen hatte und verlie? sich darauf, da? wenigstens die anderen wu?ten, was sie taten.
Nachdem sie die Nacht zwar alles andere als komfortabel, aber doch heil und unversehrt uberstanden hatten, verlor die sie umgebende Wildnis ein wenig von ihrem Schrecken. Der fehlende Schlaf und das druckende Treibhausklima machten ihnen naturlich noch arg zu schaffen. Sie sa?en fast nackt im Boot, beschmierten sich mit dicken Schichten Sonnencreme und Antimuckenmittel, schwitzten ununterbrochen und stanken bestialisch, aber es gab jetzt Momente, in denen sie die uppige, fremdartige Fulle dieser Natur einigerma?en angstfrei genie?en konnten.
Jede Biegung des breiter werdenden Flu?es barg neue Uberraschungen. Immer wieder verstummten ihre Gesprache, weil sie atemlos vor Spannung darauf warteten, was ihnen nun wohl geboten wurde. Zeitweise verbreiterte sich der Flu?lauf zu kleinen Seen, in denen Hunderte von Seerosen bluhten. Jetzt sahen sie, wie die Pflanze, die Sonnenberg gepre?t und getrocknet hatte, in lebendem Zustand aussah: wei?, schneewei?.
»Ist sie das?« fragte Claudia, und Tobias nickte grinsend.
»Ich nehm’s an«, sagte er.
»Schon!«
»Ja, wunderschon«, stimmte Micha ihr zu.
Der Kafer und die Seerose, damit hatte alles angefangen.
Den seltsamen Baum sah zuerst keiner. Ohne da? sie es bemerkten, ware das Flo? fast daran vorbeigetrieben. Alle starrten gerade auf die andere Flu?seite, weil sich dort im Blatterdach irgend etwas geruhrt hatte. Claudia war die erste, die sich wieder umdrehte.
»Huch, guckt euch das mal an!«
Aus gro?erer Entfernung sah es so aus, als wuchsen an den ausladenden Asten des Baumes gro?e, wie wei?e Wattebausche aussehende Blutenstande. Aber aus der Nahe war eindeutig zu erkennen, da? dieses Wei?e etwas war, das die eigentlichen Bluten verhullte.
»Sieht aus wie der Gardinenstoff meiner Oma«, sagte Tobias und griff nach einem der ratselhaften Gebilde, als sie das Flo? dorthin manovriert hatten. Ein kleines genahtes Sackchen aus feinem Gazestoff war uber die Astspitze gestulpt worden. Darunter befand sich ein klebriger verfaulter Blutenstand.
»Kann mir mal einer erklaren, was das hier darstellen soll?« fragte Tobias und hielt das verschmutzte Stoffsackchen in die Hohe.
Claudia und Micha zuckten nur mit den Schultern. Pencil knurrte.
Kurz danach begann es wieder zu regnen. Sturzbache ergossen sich aus schier unerschopflichen Quellen, und die vorsichtige Begeisterung uber den eozanen Dschungel lie? auf Seiten der drei Flo?schiffer rasch wieder nach. Nach zwei Stunden, in denen es ununterbrochen geregnet hatte und sie sich nur unter gro?ten Schwierigkeiten vorangetastet hatten, waren sie zur Umkehr entschlossen. In dem Unwetter sah die ganze Welt aus, als hatte sie eine Art schwerwiegende Bildstorung. Es war dunkel, der Wind kam in Boen, die ihnen die warmen schweren Tropfen ins Gesicht peitschten, und immer, wenn sie glaubten, der Regen konne nun nicht mehr starker werden, offneten sich irgendwo neue Schleusen, wurde das Prasseln lauter, bedrohlicher, nahm die Dichte der Tropfen ihnen fast die Luft zum Atmen.
Der Flu? schwoll an. Sie sahen nicht viel und konnten die beiden Ufer durch den dichten Regenvorhang nur noch schemenhaft wahrnehmen. Aber sie spurten deutlich, wie die Stromung, gegen die sie ankampfen mu?ten, von Minute zu Minute starker wurde. Sie kamen kaum noch voran.
Als er sich gerade mit aller Kraft dagegen stemmte, brach plotzlich Michas Stange. Er sturzte der Lange nach auf den Flo?boden, ri? auch Claudia um, die direkt neben ihm stand, und im nachsten Moment wurde ihr Gefahrt schon von der Stromung mitgerissen. Tobias schrie auf und klammerte sich an die Ruderpinne. Es begann eine rasante, an Geschwindigkeit stetig zunehmende Fahrt durch die verschlungenen Wasserstra?en des Waldes. Sie waren nur noch ein Spielball des abflie?enden Wassers, die Flutwelle schob sie vor sich her, zusammen mit einer immer gro?er werdenden Masse an Laub und Asten und einigen verzweifelt rudernden Tieren. Sie stie?en gegen Baumstamme und Felsen, wurden heftig durchgeschuttelt und hin und her geworfen, begannen sich langsam zu drehen. Es hatte keinen Zweck dagegen anzukampfen. Alles, was sie tun konnten, war, sich mit aller Kraft an den Stricken festzuhalten, mit denen die Baumstamme aneinander befestigt waren, darauf zu vertrauen, da? sie das primitive Flo? trotz allem noch zusammenhielten, und zu hoffen, da? sie irgendwie heil durchkamen. Tobias versuchte verzweifelt, die Stellung zu halten und ihrer rasenden Fahrt mit dem Ruderblatt so etwas wie eine Richtung zu geben.
Erst, als der Regen etwas nachlie? und das Flo? auf einer breiten Wasserflache zur Ruhe kam, rappelten sie sich langsam wieder auf. Zuerst hatten sie Angst, vollig die Orientierung verloren zu haben. Aber dann folgte eine Uberraschung. Es hatte den Anschein, als dulde dieser Wald sie nicht langer unter seinem Blatterdach, als wolle er sie so schnell wie moglich wieder loswerden. Wie einen widerlichen Fremdkorper hatte der Dschungel sie wieder ausgespuckt, aus seinen unergrundlichen Tiefen hervorgewurgt wie unbekommlichen Ballast.
Ein paar hundert Meter weiter offnete sich der Wald und in der vom Regen dampfenden Luft konnten sie wieder die Weite der Savanne erahnen.
8
»Ich glaub es einfach nicht! Das ist doch nicht moglich«, rief Axt unwillkurlich aus und setzte schnell den schweren Rucksack ab. Schon die letzten Kilometer, die er am Flu?ufer entlanggelaufen war, waren ihm wie ein wunderbarer Garten Eden erschienen, aber fur das hier fehlten ihm einfach die Worte. Mit heruntergeklapptem Unterkiefer kauerte er sich hinter einen Felsen und spahte zum anderen Flu?ufer hinuber.
Diese Tiere hier anzutreffen, verbluffte ihn ungemein. Es widersprach allem, was man uber sie wu?te. Die beiden massigen
Er mu?te sich schon sehr tauschen, wenn die Seerosen, die da druben in dichten Teppichen auf dem Wasser schwammen, keine
Erst jetzt wurde ihm bewu?t, wo er sich befand, was mit ihm geschehen war, nachdem er Sonnenbergs Hohle durchquert hatte. Die letzten Tage waren wie im Rausch an ihm vorubergeglitten. Immer nur den einen Gedanken im Kopf, da? er sich beeilen mu?te, wenn er die Katastrophe verhindern wollte, da? er keine Zeit verlieren durfte, da? es auf jede Minute ankam, hatte er sich kaum eine Pause gegonnt. Seit Tagen waren seine Augen ausschlie?lich starr nach vorne gerichtet. Da? es schon zu spat sein konnte, da? das Unheil vielleicht schon lange seinen Lauf genommen hatte, versuchte er zu verdrangen. Mit seinem Faltboot und dem kleinen Au?enbordmotor, dessen lautes Geknatter ihn die letzten Tage begleitet hatte, war er uber die Meeresbucht und den Flu? mit seinem braunen Wasser gerast.
Aber erst auf der anderen Seite des Bergzuges, in den letzten Stunden im Schatten dieses herrlichen Galeriewaldes mit seinem bunten Leben und angesichts dieser urzeitlichen Riesen in der flachen Bucht gegenuber, explodierte die ungeheuerliche Erkenntnis seines Hierseins mit der Wucht einer Granate. Fast verzweifelt suchte er nach einem Weg, das alles irgendwie zu verarbeiten. Am liebsten hatte er »Moment mal!« gerufen, eine Auszeit genommen, den Film fur ein paar Minuten angehalten, ware hinaus in die Kuche oder auf die Terrasse gegangen, um sich eine kurze Atempause zu verschaffen. Aber das hier war kein Film.
Die Euphorie, die ihn uberkam, lie? seine Haut prickeln, als bade er in sprudelndem Mineralwasser, und sein Gesicht gluhte wie nach zwei doppelten Whiskys.
All das hier lebte.
Und als wollte ihm diese Welt noch einen weiteren Beweis ihrer Existenz liefern, horte er ein lautes, durchdringendes Trompeten, und wenig spater erschien hinter einer Baumgruppe eine kleine Herde gewaltiger Dinotherien, eine weitere Elefantenart, die hier und jetzt, ginge es nach den Erkenntnissen der Wissenschaft, eigentlich nichts zu suchen hatte. Es war uberwaltigend, mit welcher Eleganz und Leichtigkeit die riesigen Tiere