lebten. Er lief immer schneller.

Dann horte er ein Gerausch, das ihm das Blut in den Adern gefrieren lie?, kein tiefes Grollen, wie es fur umherstreifende hungrige Gro?katzen typisch ist, kein drohendes Brullen irgendeines angriffsbereiten Ungetums. Es war ein alltagliches, sehr vertrautes Gerausch, eines, das er hier zu allerletzt erwartet hatte und das seinen Verstand kurzzeitig in heillose Verwirrung sturzte.

Er horte das laute Klaffen eines Hundes.

Er blieb kurz stehen, verwundert, verunsichert, angstlich, aber dann ri? er sich zusammen und lief weiter. Als er vielleicht noch hundert Meter entfernt war - das Hundegebell wollte kein Ende nehmen und er konnte im aufflackernden Licht des Feuers schon schemenhafte Umrisse von Menschen erkennen -, begann er zu rufen.

»Hallo!« schrie er, so laut er konnte. Sein Herz schlug in rasendem Tempo. »Hallo, ist da jemand? Hallo!«

Die Gestalten sprangen auf, liefen aufgeregt umher. Es waren mehr als zwei.

Er schrie weiter: »Hallo, keine Angst! Sie kennen mich! Mein Name ist Helmut Axt.«

Er fing an zu rennen. Im Rhythmus seiner Schritte schlug ihm der schwere Rucksack ins Kreuz.

Dann schaute er in ihre von Angst, Verwirrung und unglaubigem Erstaunen gezeichneten Gesichter. Sie standen jetzt bewegungslos im Halbkreis um das Feuer herum, auf dem Boden zwischen ihnen erkannte er seltsame Zeichen im Sand, und sie waren nicht zu dritt, sondern zu viert. Ein hysterischer Dackel stemmte sich vor ihm mit den Hinterbeinen in den Sand und veranstaltete ein ohrenbetaubendes Getose.

Vom Laufen noch au?er Atem lie? Axt seinen Rucksack auf den Boden fallen.

»‘n Abend«, sagte er schnaufend und grinste die verdatterte Gesellschaft an.

Die Kambrische Explosion

Nach ihrem ziemlich katastrophal verlaufenen Dschungelabenteuer hatten sie ein paar Tage Erholung in Herzogs Reich bitter notig gehabt. Nur zwei Tage hatten sie sich in dem Irrgarten der Dschungelwasserlaufe aufgehalten, zwei Tage und eine Nacht voller Mucken, Nasse und Angst. Das hatte gereicht.

Micha kam es vor wie eine Wiedergeburt. Er war satt und nach einem Bad im Flu? erfrischt und sauber. Er fuhlte sich an eine Visitenkarte erinnert, die zu Hause an ihrer WG-Pinnwand hing:

Kein Name, keine Adresse, kein Beruf, kein Telefon, kein Geld ..., nur mude! stand darauf. Das traf ziemlich genau seine augenblickliche Gemutsverfassung. Schlafen und essen war das einzige, wonach er sich sehnte. Davon konnte er allerdings kaum genug bekommen. Ansonsten war er ziemlich bedurfnislos. Stundenlang konnte er nach unten in die von gro?en Tierherden bevolkerte Savanne gucken und sich an dem relativen Luxus erfreuen, den das Leben in Herzogs Behausung mit sich brachte.

Nach ein paar Tagen Erholung stand fur Micha fest, da? er moglichst bald zuruckfahren wollte, definitiv. Er hatte vorgehabt, sich auf keinerlei Diskussionen daruber einzulassen, aber es kam wieder zu einem hitzigen Streit zwischen ihm und Tobias, der ohne Zweifel in eine Schlagerei ausgeartet ware, wenn Herzog sich nicht eingeschaltet hatte. Sie waren jetzt gut vier Wochen unterwegs, die Anreise nicht mitgerechnet. Es war hochste Zeit, sich wieder auf den Heimweg zu machen. Herzogs medizinische Versorgung von Tobias’ Verletzung mochte ja noch so fachmannisch gewesen sein, mit der Behandlung in einem modernen Krankenhaus konnte sie sich sicher nicht messen. Fur Micha stand au?er Frage, da? Tobias sich so schnell wie moglich in arztliche Behandlung begeben mu?te, wenn er seinen Arm hundertprozentig wiederherstellen wollte. Dem stand nun nichts mehr im Wege. Er war sich sicher, da? Claudia seine Meinung teilte.

Au?erdem war es so abgemacht zwischen ihm und Tobias. Maximal acht Wochen hatten sie eingeplant. Das war fur ihn das Au?erste gewesen. In Anbetracht der Tatsache, da? sie durch Tobias’ Verletzung stark gehandicapt waren und den gesamten Ruckweg noch vor sich hatten, war diese Zeitspanne wohl schon jetzt voll ausgeschopft. Seine Eltern wurden sowieso Todesangste um ihn ausstehen. Sie waren es zwar gewohnt, da? er im Urlaub schreibfaul war und sich meistens nur eine magere Postkarte abringen konnte, aber zwei Monate ohne ein einziges Lebenszeichen, soweit war er bisher noch nie gegangen.

Die Heimkehr bereitete ihm schon seit langem Kopfzerbrechen, da er gezwungen sein wurde, allen ein einziges riesiges Lugengebaude aufzutischen, ein Gedanke, der ihn mit Widerwillen erfullte. Er hatte seinen Eltern erzahlt, er wurde wieder nach Griechenland fahren, und sie waren schon froh gewesen, als sie horten, da? er nicht alleine fuhr. Tobias’ Eltern waren ja tot, da gab es niemanden, auf den er hatte Rucksicht nehmen mussen. Was Claudia zu Hause erzahlt hatte, wu?te er nicht.

Als er dann beim Abendessen sein Anliegen vorbrachte, stie? er jedoch auf erbitterten Widerstand. Tobias fiel fast sein Knochen aus der Hand.

»Wie bitte? Du spinnst wohl!« sagte er mit vollem Mund. »Jetzt umkehren? Das kann doch nicht dein Ernst sein, Micha.«

»Nicht umkehren, zuruckfahren.« Er dachte, vielleicht storte Tobias sich nur an dem Wort umkehren. Es mochte in seinen Ohren wie eine Niederlage klingen. Aber weit gefehlt.

»Das lauft ja wohl auf dasselbe hinaus, oder? Wie kommst du nur auf so was? Wo wir es doch schon so weit geschafft haben.« Er schuttelte den Kopf. »Nein, im Gegenteil, ich finde, wir konnten eigentlich bald weiterfahren.«

»Ich hor wohl nicht richtig?« Micha fehlten wirklich die Worte. »Du willst noch mal in diesen Dschungel? Dir hat das letzte Mal nicht gereicht, nein?«

»Und was ist mit deinem Arm?« schaltete sich Claudia ein.

»Was soll damit sein? Alles klar!« Tobias fuchtelte mit seinem Verband in der Luft herum. Der viele Regen hatte dem Lehm arg zu schaffen gemacht, und Herzog hatte den Verband nach ihrer Ruckkehr sofort erneuern mussen.

»Das glaubst du doch selber nicht«, sagte sie.

Herzog sa? schweigend dabei, rauchte seine mit merkwurdig riechenden tertiaren Krautern gestopfte Pfeife und machte ein teilnahmsloses Gesicht. Offensichtlich wollte er sich in diese Diskussion nicht einmischen.

»He, was ist los mit euch?« Tobias blickte zwischen Claudia und Micha hin und her und bekam gro?e Augen. »Ihr habt euch abgesprochen, was? Ist wohl fur euch schon beschlossene Sache. Ihr habt die Hosen voll oder Heimweh oder so was. Nee nee, nicht mit mir.«

»Quatsch, wir haben uns keineswegs abgesprochen«, widersprach Micha vehement. »Aber ich dachte .«

»Nein, kommt uberhaupt nicht in Frage«, sagte Tobias kategorisch. »Wir fahren weiter und damit basta.«

»Hor mal, Freundchen, so geht das aber nicht, klar?« rief Micha entrustet. »Wir entscheiden immer noch gemeinsam, was wir tun. Wenn es dir egal ist, was aus deinem Arm wird, dann ist das deine Sache. Ich hoffe wirklich, er wachst dir genauso schief zusammen wie dein Gebi?. Dann hatte das Ganze wenigstens irgendwie Sinn und Verstand, verdammt noch mal. Aber ich darf dich daran erinnern, da? wir einmal eine Abmachung hatten. Wir sind jetzt funf Wochen unterwegs, und wir haben damals beschlossen, ungefahr .«

»Na und? Erst mal sind es gerade gut vier Wochen, und jetzt dauert es eben etwas langer. Was macht das schon? Sei doch nicht so schrecklich unflexibel. Kommst mir manchmal vor wie ‘n alter Opa.«

»Tobias!« Micha wurde sauer.

»Tobias, Tobias«, affte Tobias ihn nach. »Nee, so lauft das nicht, Leute. Wenn ihr glaubt, ihr konnt mich hier vor vollendete Tatsachen stellen, dann tauscht ihr euch aber gewaltig. Hier gibt’s noch so viel zu entdecken. Begreifst du denn uberhaupt nicht, wo wir hier sind? Wir sind doch nicht die ganze Strecke bis hierher gefahren, um jetzt gleich wieder umkehren. Ich versteh das einfach nicht.«

»Ich hab’s dir doch erklart. Im Gegensatz zu dir fuhre ich noch ein Leben au?erhalb des Eozans.«

Claudia versuchte es mit einer anderen Taktik. »Warum willst du denn noch mal in den Dschungel?«

»Na, ich will wissen, wie’s dahinter weitergeht«, sagte Tobias. »Da hat sich offensichtlich noch keiner hingetraut.«

»Du hast doch gehort, was Ernst gesagt hat. Der Wald ist riesig. Dahinter gibt’s nichts mehr.«

»So ein Blodsinn! Von wegen, dahinter gibt’s nichts. Glaubt ihr immer noch daran, da? die Erde eine Scheibe ist, oder wie? Ich sag’s ja, ihr habt nur die Hosen voll. Der gro?e Biologe und die Berliner Kugelsto?meisterin wollen nach Hause zu Muttern.«

Trotz seiner lautstarken Attacken merkte man ihm an, da? er seine Felle davonschwimmen sah. Seine Augen nahmen einen gehetzten Ausdruck an.

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