getrennt hatten. Bei jungen Leuten, die zusammen in die Ferien fuhren, kam das andauernd vor, und niemand wurde etwas dabei finden. Aber jetzt, Wochen nach seiner Ruckkehr, sollte Micha sagen, kame es ihm doch merkwurdig vor, da? Tobias immer noch nicht zuruckgekehrt sei, jedenfalls ginge er nie ans Telefon.

Micha erkundigte sich in seinem Brief, ob Axt schon wu?te, was an der FU geschehen sei. Ein Berufskollege von ihm, der Berliner Palaontologe Prof. Dr. Alois Sonnenberg sei in seinem Arbeitszimmer erschossen aufgefunden worden. Eine Putzfrau hatte ihn entdeckt, als sie fruhmorgens im Institut saubermachen wollte. Mit gro?er Wahrscheinlichkeit sei es Selbstmord gewesen, aber seltsamerweise sei seine Assistentin, eine Ellen Hartmann, seitdem vermi?t. Ob ihr Verschwinden in Zusammenhang mit Sonnenbergs Tod stand, sei unklar. Die Polizei suche noch immer nach ihr.

Axt hatte schon davon gehort, aber die Nachricht lie? ihn seltsam kalt. Letzten Endes hatte der Alte an allem Schuld gehabt. Er war irgendwie durchgedreht, hatte das Geheimnis, das er mit sich herumtrug, und die seltsame Situation, in die es ihn gebracht hatte, nicht mehr verkraftet. Vielleicht war es besser, da? er auf diese Weise keinen weiteren Schaden mehr anrichten konnte.

Die letzten Satze des Briefes waren in eindringlichem Ton gehalten, und sie handelten nur von einem Thema. Der Eingang musse verschlossen werden, stand da, die Hohle musse zerstort werden, wenn das ganze Theater nicht irgendwann von vorne beginnen sollte. Wie recht sie hatten!

Sie wu?ten naturlich nicht, da? Herzog und er das schon erledigt hatten, auch wenn es Axt unendlich schwergefallen war, noch einmal dorthin zu reisen, wo er seine schwersten Stunden durchlitten hatte. Aber Herzog hatte ihn wochenlang bearbeitet, ihn bekniet, da? sie etwas unternehmen mu?ten.

Eigentlich ging es zunachst gar nicht darum, den Hohleneingang zu verschlie?en. Wie hatten sie das auch anstellen sollen? Dazu brauchte man Sprengstoff und an den kam man auch als Palaontologe nicht so ohne weiteres heran. Nein, was Herzog unablassig zu beschaftigen schien, waren die Aktivitaten dieses Fallenstellers. Sie waren sich nicht sicher, ob Ellen wirklich die Schuldige war. Wenn man bei den harten Fakten blieb, und das sollte man als Wissenschaftler ja tun, dann gab es dafur nicht den geringsten Beweis. Vielleicht hatte sie auf irgendeine Weise von der Hohle erfahren, womoglich von Sonnenberg selber, sie war schlie?lich seine Assistentin, und sie hatte sich dann auf eigene Faust auf den Weg gemacht. Vielleicht ware sie genauso entsetzt gewesen wie er und Herzog, wenn sie von den Vorgangen erfahren hatte, die sich im Tertiar abgespielt hatten. Es ware unfair, sie ohne weitere Beweise zu beschuldigen, sie, die wie Tobias’ Opfer dieses schrecklichen Unfalls geworden war.

Sie mu?ten also davon ausgehen, da? dieser Unbekannte weiter existierte, und wenn es auch sehr unwahrscheinlich war, da? sie ihm das Handwerk legen konnten, so mu?ten sie es doch wenigstens versuchen und die Spuren seiner Aktivitaten soweit wie moglich beseitigen. Darum ging es Herzog. Es war das einzige, was ihn wirklich zu beschaftigen schien.

Herzogs Beharren, sein ewiges Drangen hatten bei Axt lange Zeit nichts weiter zur Folge als grenzenloses Entsetzen. Um nichts in der Welt wollte er sich diesem Alptraum noch einmal aussetzen, auch wenn die Vorzeichen diesmal vollig anders gelagert waren. Zu seinem Erstaunen war es ausgerechnet Marlis, die schlie?lich den Ausschlag fur seinen Sinneswandel gab. Als sie erfuhr, was Herzog so beunruhigte, war ihre erste Reaktion kompromi?lose Abwehr. Aber ein paar Tage spater anderte sie ihre Meinung, und als sie abends nebeneinander im Bett lagen, sagte sie: »Du mu?t mit ihm fahren, Helmut! Du darfst ihn nicht alleine gehen lassen.«

Au?er den acht verschwundenen Fossilien schienen sich zunachst keine weiteren Vorfalle ereignet zu haben, die Herzogs Befurchtungen begrundet erscheinen lie?en. Aber er wurde nicht mude zu betonen, welche katastrophalen Folgen zu befurchten waren, wenn man dem Treiben nicht einen Riegel vorschob. Genaugenommen gab es nicht viele Hinweise, da? das Wirken dieses Menschen tatsachlich so katastrophal war, wie Herzog behauptete. Manchmal hatte Axt den Verdacht, Herzog storte nur die Vorstellung, nicht der einzige gewesen zu sein, der da unten gelebt und Studien getrieben hatte. Er verbrachte Stunden und Tage in Bibliotheken und Zeitungsarchiven, blatterte Fachzeitschriften und Tagungsberichte durch, um irgendwelche Hinweise auf mogliche Veranderungen des Evolutionsverlaufs zu finden. Aber lange Zeit blieben seine Bemuhungen ohne Erfolg.

Eines Abends kam er in heller Aufregung durch die Tur gesturzt, warf dem Zeitung lesenden Axt eine Fotokopie auf den Wohnzimmertisch und sagte mit einem Ausdruck gro?ter Besturzung: »Da! Ich wu?te es.«

Es war ein Leserbrief in einer lokalen Entomologenzeitschrift, die er, wei? Gott wo, ausgegraben hatte. Ein verzweifelter Wissenschaftler oder Hobbyforscher, der aus seiner Verwirrung keinen Hehl machte, wandte sich mit der dringenden Aufforderung an die Leser des Blattes, ihm doch bitte mitzuteilen, ob jemandem in letzter Zeit Funde der Blattkafergattung Donacia bekannt geworden seien. Die Tiere, uber die er schon seit Jahren arbeite und die spezialisierte Bewohner bestimmter Seerosenarten darstellten, seien buchstablich uber Nacht verschwunden. Er habe keine Erklarung fur dieses Phanomen und ein derart plotzliches Aussterben einer ganzen Tiergattung sei seines Wissens auch ein beispielloser Vorgang, den man unbedingt genauer analysieren musse. Er wisse, was er den Lesern mit dieser Behauptung zumute, aber am Tag vor ihrem plotzlichen Verschwinden hatten die Tierchen noch in gro?er Zahl auf ihren Seerosenblattern gesessen. Er musse mit Hilfe anderer naturliebender Menschen unbedingt herausbekommen, ob es sich nur um das Erloschen einer lokalen Population handele oder ob die Tiere auch andernorts verschwunden seien.

Axt rieb sich das Kinn und sagte: »Du meinst ...?«

»Du etwa nicht?« Herzog lief aufgeregt im Wohnzimmer umher. »Ich bin sicher, da? dies etwas mit unserem Freund zu tun hat. Vielleicht haben die Vorfahren dieser Tiere in dem verschutteten Sumpf gelebt. Ich wei?, es klingt absurd, aber es gab dort viele Tierarten, die nirgendwo anders auftraten. Helmut, wir mussen etwas tun. Wir haben doch keine Ahnung, was der Kerl noch so alles anstellt. Vielleicht ist das nur der Anfang.«

»Du glaubst nicht daran, da? Ellen die Schuldige war, nicht wahr?«

Herzog zuckte die Achseln. »Ich wei? es nicht. Ich hab keine Ahnung. Ich wei? nur, da? wir uns endlich Gewi?heit verschaffen mussen. Wir konnen hier nicht langer untatig herumsitzen und warten, bis noch mehr verschwindet. Siehst du denn immer noch nicht, was da im Gange ist? Du mu?t dich entscheiden. Wenn du nicht mitkommen willst, dann fahr ich alleine.«

»Kommt nicht in Frage. Das darfst du nicht. Es ist viel zu gefahrlich.«

Herzog lachelte nachsichtig. »Du vergi?t, da? ich dort fast zehn Jahre gelebt habe. Ich wu?te wirklich nicht, was daran gefahrlicher gewesen ware, als sich in dieser beschissenen Stadt auf ein Fahrrad zu wagen.«

Axt wurde nervos. Er stand auf und ging in die Kuche, um sich ein Bier zu holen. Als er zuruckkam, stand Herzog an der Terrassentur und starrte mit finsterer Miene in den Garten hinaus.

»Ich kann das verstehen, wenn du nicht mit willst. Wirklich! Du hast Frau und Kind. Ich mach dir keinen Vorwurf«, sagte er. Kein Zweifel. Herzog war fest entschlossen, noch einmal durch die Hohle zu fahren. Sein markantes Gesicht wirkte noch harter als sonst. Er hatte sich den urzeitlichen Bart abgenommen, und Axt sah, wie seine Kiefermuskulatur arbeitete.

Eine Woche spater brachen sie auf. Sabine und die anderen in der Station hatten ihn angesehen, als ob sie ihn fur ubergeschnappt hielten. Besonders Sabine hatte sich schon nach seiner ersten wochenlangen Abwesenheit befremdet gezeigt und ihm kein Wort seiner wohl nicht besonders uberzeugend klingenden Erklarung abgenommen. Sicherlich spurte sie, da? irgend etwas Au?ergewohnliches im Gange war, und empfand es als personliche Beleidigung, da? er sie nicht ins Vertrauen zog. Aber darauf konnte er keine Rucksicht nehmen. Er war der Chef und seinen Mitarbeitern keine Rechenschaft schuldig. Eher schon Schmaler, aber dem schien es ja egal zu sein, Hauptsache, man verschonte ihn ein fur allemal mit anachronistischen Homo sapiens-Skeletten und verschwindenden Fossilien. Ihr einst so vertrautes Verhaltnis war mittlerweile auf einem kaum noch zu unterbietenden Tiefpunkt angekommen.

Das Tertiar wirkte unverandert und seltsam vertraut. Sie errichteten ein Basislager, das an einer geschutzten Stelle nahe dem Flu?ufer lag, und unternahmen von dort Streifzuge in den Dschungel, zu Fu? oder mit dem Flo?, das sie hinter den Stromschnellen unversehrt wiedergefunden hatten. Mit jedem Tag drangen sie tiefer in den Wald ein und durchstreiften schlie?lich Gebiete, die auch Herzog noch nie zuvor betreten hatte. Dort fanden sie, was sie suchten.

Es war schlimmer, als Herzog befurchtet hatte. Erst stie?en sie auf Mausefallen, in denen zum Teil noch die bis auf die blanken Knochen abgenagten Uberreste ahnungsloser Opfer klemmten, und verbrannten sie. Dann fanden sie einige andere improvisierte Konstruktionen, die wohl ebenfalls dem Fang von Tieren dienten, ein zerrissenes Netz, das zwischen zwei Baumen aufgespannt war und in dessen Maschen noch einige Vogelkadaver

Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату