falschen Leute davon Wind bekamen. Sie und die menschliche Gier nach Macht und Wissen pa?ten einfach nicht zusammen.

Naturlich konnten sie mit den Granaten nicht den ganzen Berg in die Luft sprengen, aber einer der unscheinbaren Sprengkorper, von Herzog in Richtung des Felsspaltes geschleudert, genugte, um den schmalen Eingang hinter einem Haufen lockeren Gesteins verschwinden zu lassen. Die Druckwelle zerri? ihnen fast die Trommelfelle. Eine Woge aus dichtem Staub kroch unter der Hohlendecke auf sie zu, nahm ihnen die Sicht und drohte sie fast zu ersticken. Hals uber Kopf flohen sie zuruck in Ellens Wohnhohle. Ihre Ohren waren wie betaubt, und sie mu?ten danach schreien, um sich zu verstandigen.

Zwei Stunden spater kampften sie sich noch einmal durch die morderischen Kopfschmerzen auf die andere Seite hinuber. Der Staub hatte sich weitgehend abgesetzt, aber sie kamen durch die Trummer der eingesturzten Hohlendecke, aus der uberall noch kleine Staub- und Gerollfalle rieselten, kaum voran. Der Spalt schien verschwunden zu sein. Nur an zwei Stellen drangen nadeldunne Lichtpfeile durch das Gestein und die staubige Hohlenluft und erinnerten daran, da? dahinter eine andere Welt begann. Das mu?te reichen.

Sie kehrten mit drohnenden Schadeln in ihr Basislager zuruck. Die Aufzeichnungen von Sonnenbergs Assistentin verbrannten sie Blatt fur Blatt im abendlichen Lagerfeuer. Am nachsten Morgen traten sie endgultig die Ruckreise an.

Bei diesigem, windstillem Wetter uberquerten sie in Axts Faltboot die Meeresbucht, steuerten auf die Felseninsel zu und fuhren zum letzten Mal in die Hohle hinein, deren Existenz mindestens drei Menschen das Leben gekostet hatte. Es hatte nicht viel gefehlt, und es waren noch zwei hinzugekommen.

Es war eine Wahnsinnsidee, eine spontane Verzweiflungstat ohne Sinn und Verstand, die beiden Hohlen von innen sprengen zu wollen. Beim ersten Mal war es gut gegangen, aber die beiden Granaten, mit denen sie den anderen, den gro?en Zugang verschlossen, kosteten sie um ein Haar Kopf und Kragen. Naturlich ware es viel sinnvoller gewesen, die Sprengkorper aus sicherer Deckung von au?en auf die Eingange zu schleudern, aber dieser Gedanke kam ihnen erst spater. Sie waren so besessen von ihrem Plan, von der uberraschenden Moglichkeit, die ihnen durch die Entdeckung der Granaten in den Scho? gefallen war, da? sie alle Vorsicht buchstablich uber Bord warfen. Zu wieviel Dummheit doch zwei gestandene Wissenschaftler fahig waren. Herzog bestand darauf, auch die zweite, die gro?e Hohle von innen zu verschlie?en. Ihr machtiges neuzeitliches Eingangsportal sei einfach zu gro? fur die lacherliche Sprengkraft, die sie zur Verfugung hatten. Womoglich machten sie die Leute damit erst recht neugierig. Sie wurden nur die slowakischen Bergbauern der ganzen Gegend alarmieren, aber den Hohleneingang niemals zum Einsturz bringen. Und eine zweite Chance gabe es vielleicht nicht. Sie hatten keine Wahl. Jetzt oder nie. Er war einfach nicht zu bremsen, und Axt hatte dieser Dynamik nichts entgegenzusetzen.

Schon die erste Granate lie? den Berg erzittern, so, als erwache ein riesiges uraltes Wesen unsanft aus langem Schlaf. Wasser schwappte uber den Bootsrand, und die Wand aus Staub, die sich auf sie zuwalzte, nahm ihnen die Luft zum Atmen. Sei es wegen der schlechten Sicht, der qualenden Kopfschmerzen, oder weil das Boot zu sehr schaukelte, Herzogs zweiter Wurf geriet jedenfalls zu kurz, und aus dem wie ein riesiger Gong bebenden Berg regnete es nun kindkopfgro?e Gesteinsbrocken, die das kleine Boot nur um Haaresbreite verfehlten und um  sie herum auf die Wasseroberflache klatschten. Einige spitze Felszacken losten sich von der Hohlendecke und sturzten als todliche Pfeile aus dem Dunkel herab. Einer durchbohrte die dunne Wand des Faltbootes, das in Sekundenschnelle voll Wasser lief. Die Petroleumlampe erlosch. In absoluter Finsternis griff das Wasser nach ihnen wie mit eiskalten klammen Handen, ihre Schreie ubertonten das Drohnen des Berges, und sie begannen in Todesangst gegen die Stromung anzuschwimmen.

Wie lange es dauerte, bis sie endlich auf den friedlich daliegenden Bergsee hinausschwammen, daran konnten sich spater weder Herzog noch er erinnern, aber irgendwann, wahrend sie sich im Dunkeln durch angstliche Rufe verstandigten und gegenseitig Mut zusprachen, entdeckten sie einen schwachen Lichtschimmer, an dem sie sich orientieren konnten, und gegen die lahmende Kalte des Wasser kampften sie sich ins Freie.

Was ware wohl aus ihnen geworden, wenn drau?en Dunkelheit geherrscht hatte? Zweifellos hatten sie den Ausgang nie gefunden. Nie wieder wurde Axt eine Hohle betreten, sich ohne panische Angstattacken in dunklen, engen Raumen aufhalten konnen, und noch heute horte er in stillen Momenten das Drohnen und Poltern des Gesteins. Die Arzte nannten es schlicht Tinnitus. Sie hatten ja keine Ahnung.

Aber was bedeutete das alles schon.

Ellen war tot, Sonnenberg hatte sich erschossen, die Eingange waren verschlossen, der Alptraum ausgetraumt. Beinahe.

Diebe

Als Axt in der verlassenen Station eintraf, argerte er sich zuerst uber die beiden Rolltische, die mit schweren Schieferplatten beladen mitten im Praparationsraum standen und fast den ganzen Mittelgang blockierten. Das fing ja gut an. Wie er den Aufschriften entnahm, handelte es sich um einen Barsch und eine Art Antilope, deren Praparation Kaiser und Lehmke am Montag in Angriff nehmen wollten. Sie hatten sie anscheinend schon einmal aus dem Keller nach oben transportiert, aus Grunden, die ihm uberhaupt nicht einleuchten wollten. Sicher, sie waren noch verpackt, es bestand keine akute Gefahr, aber es war trotzdem leichtsinnig, straflich leichtsinnig. Er wurde ein ernstes Wort mit ihnen reden mussen. Das waren ja ganz neue Sitten.

Er ging in sein Arbeitszimmer und entnahm der Schreibtischschublade den Schlussel fur den Klimaraum. Leicht wurde ihm das, was er jetzt vorhatte, sicher nicht fallen. Er war Wissenschaftler, kein Saboteur. Die hehre Wissenschaft basierte auf Wahrheit und Ehrlichkeit. Nicht alles lie? sich nachprufen und verifizieren, schon gar nicht in der Palaontologie. Abgesehen von einigen Fanatikern - die Ausnahmen, die die Regel bestatigten - waren Falschung und Manipulation in ihrer gro?en Gemeinschaft tabu, sonst brach das ganze Gebaude, auf das er immer so stolz gewesen war, haltlos in sich zusammen. Auf nichts ware dann mehr Verla?. Aber in dieser au?ergewohnlichen Situation hatte er keine andere Wahl. Er hatte lange daruber nachgedacht und sah keine andere Moglichkeit mehr, mit dem Problem fertig zu werden. Es ging ja nicht nur um seine seelische Gesundheit. Es ging um viel mehr. Wenn die Welt durch irgendeinen dummen Zufall von der Existenz dieses Skelettes erfuhr, dann waren die Konsequenzen einfach unabsehbar, auch wenn die Zugange jetzt zerstort waren. Ellen hatte es vorgemacht. Auch andere wurden nicht widerstehen konnen, Menschen, die uber mehr Mittel und Macht verfugten als eine kleine Universitatsassistentin.

Er ging hinunter in den Keller, transportierte wie schon so oft den Rolltisch mit Tobias’ Schiefersarkophag nach oben und zirkelte ihn durch die Tur des Klimaraumes.

Sollte er ihn sich vorher noch einmal anschauen, Abschied nehmen? Es war schon Wochen her, da? er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Ach, nein, das hielt ihn jetzt nur auf. Sollte das Bild in seiner Erinnerung doch ruhig verblassen. Da? es irgendwann einmal ganz aus seinem Kopf verschwinden konnte, darauf wagte er gar nicht mehr zu hoffen. Damit wurde er wohl leben mussen, bis ans Ende seiner Tage, genauso wie Herzog, wie Claudia und Michael. Sie alle waren Mitwisser, Komplizen wider Willen, obwohl sie nichts von der Existenz des Messeler Skeletts ahnten.

Naturlich hatte er einfach ein Beil oder die Motorsage nehmen und das Ding damit in kleine Stucke zerlegen konnen. Aber aus irgendeinem Grund erschien ihm das fur dieses ganz besondere Fundstuck nicht das adaquate Ende zu sein. Nein, er hatte sich etwas anderes ausgedacht, etwas viel Besseres, viel Grundlicheres.

Sorgfaltig entfernte er die Plastikfolie und das feuchte Zeitungspapier. Fast zartlich strich er mit den Fingerspitzen uber die nun freiliegende feuchtkalte Gesteinsoberflache und kampfte gegen die in ihm aufsteigenden Skrupel an.

Er mu?te es tun. Dieses Skelett durfte nicht existieren.

Er ging zum Thermostaten und nach einem kurzen Zogern schob er den Regler mit einem Ruck bis zum Anschlag. Ein rotes Lampchen leuchtete auf. Irgendwo sprang ein Aggregat an, und es ertonte ein Summen.

Plotzlich kamen ihm Bedenken. Was, wenn die Temperatur nun nicht ausreichte und seine Mitarbeiter den Block hier am Montag leicht angetrocknet, aber noch immer mehr oder weniger unversehrt vorfanden? Er hatte keine Ahnung, wie hoch die Temperatur steigen wurde. Sie nutzten diesen Raum ja normalerweise zum Kuhlen und nicht zum Heizen. Vielleicht drei?ig, vielleicht funfunddrei?ig Grad? Reichte das? Der Schieferblock war schlie?lich ziemlich gro? und massiv. Vielleicht hielten die Apparaturen diese Belastung gar nicht lange genug aus und gaben vorher ihren Geist auf. Warum hatte er bisher nicht daran gedacht?

Er betatigte den Luftungsschalter. Ein leises Heulen hub an, und er spurte einen kuhlen Luftzug im Gesicht. Ihn frostelte. Dann fielen ihm die Radiatoren ein, die irgendwo unten im Keller herumstanden. Im Winter wurde es mitunter recht kuhl hier im Haus, und sie hatten sich die beiden Gerate von ihrem knapp bemessenen Stationsetat

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