hingen, in den Boden eingegrabene Glasgefa?e, die vor Insekten nur so wimmelten, einige an Asten hangende Klebestreifen, wie man sie zum Fliegenfang benutzte.

Sie entdeckten erst einen, dann mehrere Baume, die aus der Ferne mit ihren in wei?en, oft zerfetzten Gazehaubchen stek-kenden Blutenstanden aussahen, als seien sie von einer mysteriosen Krankheit befallen, einer Art Ausschlag oder Pilz. Das alles zeigte, da? hier jemand systematische Sammlungen und Untersuchungen durchgefuhrt hatte, stutzte aber die von Herzog immer wieder mit Nachdruck vertretene Behauptung, hier sei ein Wahnsinniger am Werke, in keiner Weise. Sie deuteten eher auf das Gegenteil.

Dann aber stie?en sie auf Lichtungen, deren ursprungliche Vegetation abgetotet und wie verdorrt daniederlag, ein entsetzlicher, verstorender, absto?ender Anblick inmitten der uppigen Fulle tropischer Vegetation, die sie umgab und sich anschickte, das zerstorte Terrain langsam wieder zuruckzuerobern.

Aber es kam noch schlimmer. Mit fassungslosen Gesichtern gingen sie tags darauf durch ein lichtes Waldgebiet, dessen Boden ubersat war mit toten Tieren, Insekten, Vogeln, Reptilien, Kroten, Insektenfressern, sogar zwei kleinen Hirschen, eine grausige Kollektion der Bewohner dieses Waldes. Ein bestialischer Gestank nach Schimmel und Verwesung lag in der Luft. Millionen von Ameisen, anscheinend die einzigen Uberlebenden dieses Massakers, ubernahmen die traurigen Pflichten der Totengraber. Anfangs ratselten sie, wie eine solche Tragodie uberhaupt geschehen konnte, und brachten diese Katastrophe gar nicht mit dem Treiben des Unbekannten in Verbindung. Aber dann entdeckten sie das rosarote Pulver, das uberall auf dem Boden lag. Insektizid! Gift!

Sie waren au?er sich. Das war Wahnsinn, pure Mordlust. Sie hatten es mit einem Irren zu tun, einem gemeingefahrlichen Verbrecher an der Schopfung, einem Menschen, der jegliches Ma?, jede Art von Kontrolle uber sein Handeln verloren hatte, der wahllos zuschlug und totete, seinen blinden Ha? an der Natur austobte, ein Terrorist.

Wer hatte das getan?

Sie bahnten sich muhsam einen Weg durch dichtes Gestrupp, als Herzog auf eine Hohle deutete, ein dunkles Loch, das in einer uber das Dschungeldach ragenden Felsformation klaffte. Als sie wenig spater einen Pfad entdeckten, der zur Hohle hinaufzufuhren schien, schlug Axt das Herz bis zum Hals, und er wollte Herzog zuruckhalten, der schon Anstalten machte, aus dem schutzenden Dickicht des Waldes hinauszutreten.

»Vorsicht, Ernst!« flusterte er. »Vielleicht ist er da oben und beobachtet uns. Der Kerl ist doch im Stande und knallt uns kaltblutig uber den Haufen.«

Herzog drehte sich nur kurz um, schuttelte entschieden den Kopf und lief weiter.

Nach kurzer Uberlegung wu?te Axt, warum Herzog sich so sicher war. Die Fallen, die schon seit Wochen nicht mehr geleert worden waren, die Gazehauben, die von Wind und Wetter zerfetzt und in der Feuchtigkeit verrottet waren, der Dschungel, der die vernichteten Wiesen zuruckzuerobern begann, die verwesten, skelettierten, von dicken Schimmelpolstern uberzogenen und von Krautern uberwachsenen Tierkadaver, all das deutete darauf hin, da? schon lange niemand mehr hier gewesen war. Vielleicht hatte er die Lust verloren, trieb sein Unwesen jetzt in einem anderen Gebiet. Oder ...

Nein, Axt konnte und wollte noch immer nicht glauben, da? wirklich Ellen, diese schone junge Frau, dafur verantwortlich sein sollte. Er war ihr zwar nur fluchtig begegnet, aber sie entsprach in keiner Weise dem Bild, das er sich von dieser unbekannten Person gemacht hatte. Es wollte einfach nicht in seinen Kopf, warum sie so etwas tun sollte.

Die Hohle war tatsachlich verlassen, aber sie war zweifellos der Unterschlupf der Person, die sie suchten. Da lagen Reste des Gazestoffes herum, aus dem die Hauben bestanden, und neben Sacken, Pappkartons und Plastikkanistern mit Unkraut-und Insektenvertilgungsmitteln, Wasser und Petroleum stand ein altes Spruhgerat, wie Winzer und Obstbauern es benutzten, um ihre Pflanzenschutzmittel auszubringen. Es gab auch ein paar Kafige, in denen tote Grillen und Marienkafer herumlagen, kleine Sackchen mit verschiedenen Pflanzensamen. Sollten die hier etwa ausgesat, die Tiere freigelassen werden, war das womoglich schon geschehen? Axt bekam eine Gansehaut. Herzog hatte recht gehabt, dieser Mensch war gemeingefahrlich. Machte er sich denn keinerlei Gedanken, was er mit solchen Experimenten anrichten konnte?

In einer versteckten Felsnische im hinteren Teil der Hohle fanden sie zwei Gegenstande von in sehr unterschiedlicher Weise erschutternder Wirkung. Der eine war ein kleiner Holzkasten, in dem sich neben sieben leeren Fachern noch drei Handgranaten befanden, der andere ein dicker, in Plastikfolie eingewickelter Stapel Papier, die Aufzeichnungen ihres Unbekannten, der minutiose Bericht uber die Taten der Ellen Hartmann. Axt war fassungslos.

Er setzte sich vor den Hohleneingang, von wo man einen herrlichen Blick uber die Kronenregion der Urwaldbaume hatte, und blatterte mit wachsendem Entsetzen in den Papieren. Ellen hatte hier in einer kleinen, pedantischen Handschrift die Etappen ihres Niedergangs festgehalten, das penible Protokoll eines erschutternden Personlichkeitszerfalls, genaue Beschreibungen ihrer immer grausigeren Experimente, ihrer irrwitzigen Versuche, in ferner Zukunft irgendeine Wirkung zu erzielen und als erster und einziger Mensch hinter die Geheimnisse der Evolution zu kommen. Es gab aber auch ganz private Notizen, die zeigten, wie einsam und verzweifelt diese Frau gewesen war. Hilflos hatte sie erleben mussen, wie sie den aus ihrer Entdeckung erwachsenden Moglichkeiten verfallen und schlie?lich daran zerbrochen war.

Axt war ganz vertieft in seine beklemmende Lekture, als er Herzog rufen horte, dessen Stimme von weit her aus dem Inneren der Hohle zu kommen schien.

»Um Himmels Willen, das darf doch nicht wahr sein. Helmut«, schrie Herzog, und Axt kam es vor, als sprache der Berg selbst zu ihm. »Du mu?t unbedingt herkommen.«

Er sprang auf, lie? Ellens Papiere mit einem Stein beschwert vor der Hohle liegen und folgte einem schwachen bewegten Lichtschimmer, der von Herzogs Taschenlampe zu kommen schien. Dann spurte er es auch. Je tiefer er in den Berg eindrang, desto enger schlo? sich eine Klammer um seinen Kopf, desto wilder wurde das Gebrodel in seinem Magen. Er kannte dieses Gefuhl. Das waren eindeutig dieselben Symptome ...

Axt stutzte sich an der kalten Felswand ab, weil ihm schwindlig wurde.

»Spurst du es auch? Sie hat einen zweiten Zugang gefunden. Himmel, es gibt tatsachlich einen zweiten Zugang«, sagte Herzog, der nur wenige Meter vor ihm stand, ohne da? er es bemerkt hatte. »Ich glaube, es geht hier entlang.«

Unter gro?en Qualen tasteten sie sich voran. Manchmal furchtete Axt, das Bewu?tsein zu verlieren, sah schon den kalten, staubigen Hohlenboden auf sich zukommen. Als er sich einmal an seine Nase fa?te, waren seine Finger voller Blut. Die Schmerzen waren viel schlimmer, als sie es bisher erlebt hatten, vielleicht weil sie zu Fu? gehen mu?ten und nur langsam vorankamen. In der anderen Hohle konnte man sich im Boot ganz der Stromung uberlassen.

Abrupt lie? der Druck nach. Ein paar Meter weiter fiel durch einen Spalt im Felsen Licht ins Innere der Hohle. Der Ausgang.

»Wer wei?, wie viele von diesen Schei?schlupflochern es noch gibt«, krachzte Herzog und rieb sich die schmerzenden Schlafen. Auch er hatte aus der Nase geblutet, sah aus, als hatte er eine Schlagerei hinter sich.

»Vielleicht fuhrt er noch weiter in die Vergangenheit«, mutma?te Axt. Nach all dem Wahnsinn hatte ihn gar nichts mehr gewundert. »Oder sogar in die Zukunft.« Dieser Gedanke war noch schrecklicher. Er konnte sich nicht vorstellen, da? die Zukunft besonders viel Ermunterndes fur sie bereithielt.

»Psst«, machte Herzog und steckte den Kopf aus dem Felsenspalt. Davor wuchs dichtes Buschwerk. »Glaub ich nicht. In jedem Fall mu?te es da dann auch Mopeds geben.«

»Mopeds?«

Tatsachlich. Jetzt horte Axt es auch, leise zwar und in gro?erer Entfernung, aber irgendwo da drau?en gab es eine Stra?e.

Plotzlich drangte sich Herzog an ihm vorbei, zuruck in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Wir mussen die Eingange verschlie?en«, sagte er beim Vorubergehen. »Jetzt sofort.«

Axt schaute ihm entgeistert hinterher. »Und wie willst du das anstellen, wenn ich fragen darf?«

Herzog blieb stehen und sah ihn an. Seine Augen spruhten Feuer. »Mit den Handgranaten!«

»Meinst du denn, die funktionieren noch?«

»Wir werden sehen. Ich mochte jedenfalls wetten, da? sie mit den fehlenden Granaten den Erdrutsch ausgelost hat.«

Er hatte recht. Diese Schlupflocher in eine andere Welt mu?ten zerstort werden. Es waren kleine Fehler, nur geringe Unstimmigkeiten im riesenhaften Gefuge der Welt, aber mit unabsehbaren Konsequenzen, wenn die

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