Wanden hinaufzuklettern erschien ihnen unmoglich, obwohl die Saugnapfe an ihren Fu?en ihnen ausreichenden Halt geboten hatten; einfach einen Sprung zu machen, wie es ihr Kommandant schon oft demonstriert hatte, war ebenso schlimm – vielleicht sogar schlimmer. Es war jedoch korperlich unmoglich, und wo der Verstand zu keiner Reaktion fahig war, taten die Korper automatisch das Richtige.

Alle Besatzungsmitglieder bis auf zwei sprangen also auf den Schlepper; einer der beiden anderen kletterte rasch und gewandt an der Au?enmauer des nachsten ›Hauses‹ empor. Der zweite war Hars, der Barlennan vor der drohenden Gefahr gewarnt hatte. Da er sichtlich kraftiger und gro?er als seine Artgenossen war, erschrak er vielleicht weniger – oder seine Akrophobie war ausgepragter als die der anderen. Jedenfalls befand er sich noch immer auf der Kanalsohle, als ein Felsbrocken von der Gro?e eines Basketballs uber die Stelle hinwegrollte, an der er sich aufhielt. Der Felsen hatte ebenso gut gegen einen Gummiklotz prallen konnen, denn der harte Schutzpanzer des Meskliniten war unglaublich zah und trotzdem elastisch, so da? der Felsbrocken zehn Meter hoch uber den Wall des nachsten Kanals flog und dort von einer Wand zur anderen bergauf ratterte, bis seine Bewegungsenergie erschopft war. Als er endlich langsamer nach unten rollte und den freien Platz erreichte, befand sich Hars als einziger dort. Die ubrigen Besatzungsmi tglieder hatten entweder das Dach des Schleppers erreicht oder befanden sich auf dem Weg dorthin; selbst der Kletterer war im Begriff, sich dort in Sicherheit zu bringen.

Obwohl Hars nach irdischen Ma?staben unwahrscheinlich zah und widerstandsfahig war, hatte er den Aufprall nicht vollig unverletzt uberstanden.

Da er keine Lungen besa?, rang er jetzt nicht nach Atem, aber sein ganzer Korper schmerzte, und er wu?te zunachst gar nicht, wo er sich befand und was geschehen war. Mehrere Minuten vergingen, bevor er eine bewu?te Anstrengung unternehmen konnte, dem Schlepper zu folgen; weshalb er in dieser Zeit nicht angegriffen wurde, konnten weder Lackland noch Barlennan noch Hars selbst erklaren, als sie spater daruber sprachen. Der Flieger vertrat die Auffassung, die Eingeborenen seien zu erschrocken gewesen, um Hars zu uberfallen, nachdem er sich nach diesem Aufprall noch bewegen konnte; Barlennan, der ihre Reaktionen vielleicht besser abschatzen konnte, war der Meinung, sie seien mehr daran interessiert gewesen, Beute zu machen, als Hars zu toten. Jedenfalls erhielt Hars Gelegenheit, sich wieder zu erholen und zu den anderen aufzuschlie?en. Dann horte auch Lackland, was sich hinter seinem Rucken ereignet hatte, und bremste sofort. Als Hars schlie?lich herangekommen war, mu?ten zwei seiner Kameraden zu Boden springen und ihn wie einen Sack auf das Dach des Schleppers werfen, wo ihm die anderen Erste Hilfe leisteten.

Das Dach war nun so uberfullt, da? einige Passagiere gefahrlich dicht am Rand hockten, wo ihre neugewonnene Unempfindlichkeit Hohen gegenuber auf eine harte Probe gestellt wurde. Aber Lackland kummerte sich nicht weiter darum, sondern fuhr durch den nachsten Kanal bergauf. Er hatte Barlennan und seine Leute davor gewarnt, in die Nahe der Kanonenmundung zu kommen und behielt den Finger am Abzug; aber auf dem Hugelrucken vor ihnen blieb alles ruhig, und die Felsen bewegten sich nicht. Offenbar waren die Eingeborenen, die sie ins Rollen gebracht hatten, in die unterirdischen Gange zuruckgekehrt, die von den Hugeln aus in die Stadt fuhren mu?ten.

Der Schlepper befand sich nicht im gleichen Kanal wie zuvor, so da? sie nicht direkt auf die Bree stie?en; aber der Schlitten mit dem Schiff wurde rechts von ihnen sichtbar, bevor sie den Kanal ganz verlassen hatten, da das Dach uber die niedrigen Trennwande hinausragte. Die zuruckgebliebenen Besatzungsmitglieder standen nebeneinander auf den au?eren Flo?en und starrten besorgt in die Stadt hinunter.

Der Schlepper erreichte den Schlitten, wendete und wurde ohne weitere Zwischenfalle durch das Zugseil mit ihm verbunden. Lackland steuerte den nachsten Hugel an und uberlegte sich dabei, da? die Riesen die Wirksamkeit seiner Kanonen uberschatzt haben mu?ten; ein Angriff aus nachster Entfernung ware sicher erfolgreich gewesen, denn so nahe an der Bree und ihrer Besatzung hatte er weder Brand- noch Sprenggranaten einsetzen durfen.

Lackland fa?te widerstrebend den Entschlu?, bis zum Ende der Fahrt keine weiteren Umwege oder Ausfluge mehr zu machen. Barlennan war ebenfalls damit einverstanden – allerdings mit gewissen Vorbehalten, die er Lackland gegenuber nicht erwahnte. Wahrend der Flieger schlief, wurde er sich jedenfalls nicht davon abhalten lassen, seine Leute auf Erkundung auszuschicken.

Nachdem die greifbaren Ergebnisse dieses Abstechers an Bord der Bree geschafft worden waren, startete Lackland den Schlepper und fuhr einige Tage und Nachte lang durch, bevor er sich mit Toorey in Verbindung setzte. Er lie? Rostens Donnerwetter geduldig uber sich ergehen, als der Direktor horte, was er in der Stadt der Riesen erlebt hatte, und brachte ihn wie zuvor mit dem Hinweis zum Schweigen, da? nun zehn Behalter mit verschiedenen Pflanzenarten abholbereit stunden, die Barlennans Leute gefullt hatten, wahrend Lackland schlief.

Bis die Rakete weit vor dem Schlepper gelandet war, um die Nerven der Meskliniten zu schonen, vergingen einige Tage; dann dauerte es wieder einige Zeit, bis der Schlepper die Pflanzen ubergeben und sich weit genug entfernt hatte, um au?er Reichweite der Flammensaule des Triebwerks zu sein. Hier und dort wurden Hugel sichtbar, auf denen gro?e Felsbrocken aufgereiht standen, aber der Schleppzug machte jeweils einen weiten Umweg, und die Riesen lie?en sich nicht au?erhalb ihrer Stadte blicken.

Diese Tatsache beunruhigte Lackland, der sich nicht vorstellen konnte, wie und woher sie sich Nahrungsmittel beschafften. Wahrend er den Schlepper durch die eintonige Landschaft lenkte, hatte er genugend Zeit, mehrere Theorien daruber aufzustellen. Er legte sie Barlennan zur Begutachtung vor, aber der Mesklinit zeigte kein gro?es Interesse dafur und schien nicht zu verstehen, weshalb Lackland sich wegen dieses belanglosen Problems den Kopf zerbrach.

Lackland gab sich jedoch nicht so rasch zufrieden und hatte schlie?lich eine Idee, die ihn mehr als alle anderen beunruhigte. Er hatte sich uberlegt, weshalb die Riesen ihre Stadte auf so merkwurdige Weise errichteten. Sie konnten schlie?lich nicht gut auf das Erscheinen des Schleppers oder der Bree gewartet haben. Andererseits schienen die Bauwerke nicht zur Abwehr von Uberfallen geeignet zu sein, denn die Bewohner anderer Stadte waren mit diesem System offensichtlich ebenfalls vertraut und wurden sich huten, in die Falle zu gehen.

Aber es gab vielleicht doch einen moglichen Grund. Lackland war sich daruber im klaren, da? seine Hypothese auf sehr schwachen Fu?en stand – aber sie erklarte zumindest drei Tatsachen: die seltsame Architektur der Stadte, die zuruckgezogene Lebensweise der Stadtbewohner und das Fehlen jeglicher landwirtschaftlich genutzter Flachen in der Umgebung der Stadte. Da Lackland seinen eigenen Argumenten nicht recht traute, erwahnte er Barlennan gegenuber nichts von dieser Theorie, die zum Beispiel keine Erklarung dafur bot, da? sie bisher unbelastigt geblieben waren – falls Lacklands Hypothese zutraf, hatten sie bisher schon wesentlich ofter die Schnellfeuerkanone einsetzen mussen. Lackland schwieg also, hielt aber die Augen offen und war keineswegs uberrascht, als dreihundert Meter von der ersten Stadt entfernt plotzlich eintraf, was er langst befurchtet hatte. Weit vor dem Schleppzug richtete sich ein kleiner Hugel auf zahlreichen stammigen Beinen auf, reckte einen funf Meter langen Hals in die Hohe und starrte das fremde Ding aus einem halben Dutzend Augen an, bevor es sich langsam in Bewegung setzte und auf den Schlepper zutrottete.

Barlennan sa? ausnahmsweise nicht auf dem Dach uber Lackland, nahm aber seinen Platz sofort ein, als der Flieger ihn rief. Lackland hatte angehalten, so da? sie voraussichtlich mehrere Minuten zur Verfugung hatten, in denen sie uberlegen konnten, was zu tun war, bevor das Ungetum den Schlepper erreichen konnte.

»Barl, ich gehe jede Wette ein, da? du noch nie ein so gro?es Landtier gesehen hast«, sagte Lackland. »Mit diesem Korpergewicht kann es nur in Aquatornahe leben.«

»Du hast recht, Charles«, bestatigte der Kommandant. »Ich wu?te nicht einmal, da? es irgendwo auf Mesklin solche Ungeheuer gibt; deshalb kann ich auch nicht beurteilen, ob es gefahrlich oder harmlos ist. Allerdings habe ich keine rechte Lust, diese Frage gleich hier zu beantworten. Andererseits konnten wir das Fleisch brauchen – vielleicht…«

»Falls du nicht wei?t, ob es Fleisch oder Pflanzen fri?t, tippe ich auf Fleischfresser«, unterbrach Lackland ihn. »Es mu?te schon ein merkwurdiger Pflanzenfresser sein, der sofort auf den Schlepper zutrabt, der doch immerhin gro?er als er selbst ist – es sei denn, er hielte die Maschine fur ein Weibchen seiner Art, was ich aber sehr bezweifle. Au?erdem bin ich der Meinung, da? ein gro?er Fleischfresser die beste Erklarung fur die Tatsache ist, da? die Riesen ihre Stadte nie verlassen und sie als wirksame Fallen angelegt haben. Vermutlich locken sie die Tiere an, die auf den Hugeln auftauchen, indem sie sich ihnen zeigen, und lassen dann die Felsen herabrollen, mit denen sie fast den Schlepper zerstort hatten. Auf diese Art und Weise bekommen sie ihr Fleisch frei Haus geliefert.«

»Das klingt alles recht logisch, aber im Augenblick haben wir andere Sorgen«, erwiderte Barlennan ungeduldig. »Was sollen wir mit diesem Ungetum anfangen? Deine Kanone, die den Felsen zertrummert hat, wurde bestimmt auch fur unseren Freund dort vorn genugen – aber dann bleibt vermutlich nicht viel Fleisch ubrig; machen wir uns andererseits mit unseren Netzen auf die Jagd, stehen wir vor der Mundung, so da? du uns nicht helfen kannst, wenn die Sache gefahrlich wird.«

»Soll das hei?en, da? ihr diesen Brocken mit euren Netzen fangen wollt?« erkundigte Lackland sich verblufft.

»Selbstverstandlich. Die Netze wurden auch halten, wenn wir das Tier irgendwie darin verwickeln konnten. Leider hat es so dicke Beine, da? die Maschen nicht weit genug sind, so da? wir unsere ubliche Methode, Tiere auf diese Weise zu Fall zu bringen, abandern mu?ten. Am besten ware es vielleicht, die Netze uber den ganzen Korper zu werfen und dann festzuziehen.«

»Hast du dir schon uberlegt, wie sich das machen lie?e?« fragte Lackland.

»Nein – und wir hatten auch gar keine Zeit dazu; das Tier ist in zwei

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