»Oberschwester Leethveeschi, bitte sagen Sie mir noch einmal, wieviel Zeit schatzungsweise von der ersten Blutabnahme, die ich durchgefuhrt habe, bis zur Auslosung des Alarms verstrichen ist, und wann der nachfolgende Anfall eintrat.«
»Aus Rucksicht auf die Gefuhle des Patienten, der etwas von
medizinischer Nomenklatur zu verstehen scheint, wurde ich es fur
angebrachter halten, wenn wir ihm diese Informationen vorenthalten«, schlug Leethveeschi vor.
»Und ich hoffe, da? der Patient durch genaue Aufklarung vielleicht in der Lage sein wird, selbst etwas Licht in das Dunkel seines Zustands zu bringen«, widersprach Medalont entschieden. »Fahren Sie also fort, Oberschwester.«
»Ungefahr zwolfeinhalb Minuten nachdem Sie dem Patienten Blut abgenommen haben und gegangen sind«, begann Leethveeschi in einem Ton, der so atzend wie das Chlor war, das sie einatmete, »losten die Sensordaten des Patienten den Alarm aus. Bereits zehn Sekunden spater gab er keinerlei Lebenszeichen mehr von sich, und die sensorische Reaktion sowie die Gehirntatigkeit standen unverkennbar kurz vor dem Stillstand. Da sich das Pflegepersonal au?erhalb der Station befand und voll und ganz mit den Vorbereitungen fur die Essensausteilung beschaftigt war, entschied ich mich, die anderen nicht zu informieren, um keine Zeit zu verlieren. In Anbetracht des bis zu diesem Zeitpunkt stabilen Gesundheitszustands des Patienten, hatte ich eher eine Fehlfunktion der Uberwachungsgerate als einen Herzstillstand erwartet. Als ich beim Patienten ankam, habe ich sofort eine Herzmassage eingeleitet. Vierzig Sekunden spater verlor er das Bewu?tsein und blieb in diesem Zustand, bis der Rettungstrupp sechs Minuten und funfzehn Sekunden spater eintraf.«
»Sind Sie sich dessen wirklich sicher, Schwester?« stutzte Medalont. »Oder konnte es sein, da? Sie aufgrund subjektiver Faktoren in derAufregung ein wenig ubertrieben haben? Ich meine, haben die wirklich sechs Minuten gebraucht? Keine gute Reaktionszeit.«
»Patient Hewlitt zeigte ebenfalls keine Reaktion«, fuhr Leethveeschi fort, »und ich habe die ganze Zeit auf die Uhr gesehen, wahrend ich versuchte, ihn wiederzubeleben. Die Stationsuhr neigt eigentlich selten zu Ubertreibungen.«
»Die Oberschwester hat recht und Sie auch, Doktor«, meldete sich der nidianische Assistenzarzt zu Wort, wobei er seinem Kollegen einen kurzen Seitenblick zuwarf. »Normalerweise mu?te man das als eine unentschuldbar langsame Reaktionszeit ansehen, aber wir hatten unterwegs einen Unfall. Wir sind beim Eintreffen auf der Station mit einem Essenswagen zusammengesto?en, dessen Bedienungspersonal zwar sofort auswich, als es unsere Blinklichter sah, aber den Essenswagen einfach mitten im Weg stehen lie?. Zwar gab es keine Verletzten, aber das ganze Essen flog durch die Station und verteilte sich uberall auf den in der Nahe stehenden Betten… «
»Patient Hewlitt hat sich einen ungelegenen Zeitpunkt fur den Herzstillstand ausgesucht«, warf der kelgianische Assistenzarzt ein.
»… und uns gingen einige Minuten verloren, weil wir uberprufen mu?ten, ob die Gerate keinen Schaden genommen hatten«, fuhr der nidianische Arzt fort. »Ein Stromsto?, der das Herz eines Tralthaners wieder in Gang setzt, wurde das eines Terrestriers zum Kochen bringen…«
»Jaja, ist ja gut«, winkte Medalont ungeduldig ab. »Jedenfalls haben Sie nach gut sechs Minuten den Patienten wiederbelebt. Haben Sie irgendwelche Anzeichen geistiger oder sprachlicher Verwirrung beim Patienten beobachtet, als er das Bewu?tsein wiedererlangte?«
»Nein, nichts dergleichen«, antwortete der Nidianer. »Wir haben den Patienten gar nicht reanimiert, das mu? Oberschwester Leethveeschi getan haben, noch bevor wir die Schlauche anschlie?en konnten. Der Patient schien in keiner Weise verwirrt zu sein. Als erstes forderte er die Oberschwester auf, sie solle damit aufhoren, ihm auf den Brustkorb zu drucken, oder sie wurde ihm noch die Rippen brechen. Seine Wortwahlwar ausgesprochen schlussig, wohldurchdacht und klar und deutlich, wenn auch nicht besonders respektvoll.«
»Sie mussen schon entschuldigen, aber ich war die ganze Zeit davon ausgegangen, der Patient ware durch Ihre Gerate zuruckgeholt worden«, merkte Medalont an. »Sehr gute Arbeit, Oberschwester Leethveeschi. Ich hoffe nur, der Patient hat sich Ihnen gegenuber nicht zu respektlos verhalten.«
»Ach, ich habe schon weit Schlimmeres uber mich ergehen lassen mussen«, erwiderte Leethveeschi ruhig. »Au?erdem habe ich mich durch seine Reaktion eher erleichtert als beleidigt gefuhlt.«
»Das kann ich gut verstehen«, pflichtete ihr der Chefarzt bei und bat dann den Nidianer, mit dem Bericht fortzufahren.
»Als klar war, da? Patient Hewlitt wieder bei vollem Bewu?tsein war, haben wir ihm gemeinsam mit Oberschwester Leethveeschi gezielt ein paar Fragen gestellt, um herauszufinden, ob seine Gehirntatigkeit in Mitleidenschaft gezogen worden war. Wie Sie wissen, waren wir immer noch dabei, als Sie auf die Station zuruckgekehrt sind, um ihm noch mehr dieser Fragen zu stellen. Den Rest kennen Sie ja.«
Medalont uberlegte eine Weile, dann sagte er: »Und selbst nach dieser zweistundigen Befragung waren weder Gedachtnis- oder Redefunktionsstorungen noch physische Koordinationsschwierigkeiten festzustellen, und Patient Hewlitts Sensorenme?gerat zeigte optimale Werte fur samtliche Korperfunktionen an, genauso wie in diesem Augenblick.«
»Aber jetzt sind wir schon viereinhalb Minuten uber der Zeit, die zwischen der ersten Blutabnahme und dem Einsetzen des Herzstillstandes lag«, stellte Leethveeschi mit einer ebenso feucht platschernden wie schlaffen Geste in Richtung der Stationsuhr fest.
Wahrend der regen Unterhaltung des medizinischen Personals hatte Hewlitt die ganze Zeit daruber nachzudenken versucht, wie er sich bei der Oberschwester zum einen entschuldigen und zum anderen dafur bedanken konnte, da? sie ihm das Leben gerettet hatte, aber durch das, was dieseabscheuliche Kreatur gerade von sich gegeben hatte, waren samtliche Gefuhle der Dankbarkeit bei ihm wie weggeblasen.
»Was wird hier eigentlich gespielt?« platzte er heraus. »Stehen Sie hier alle blo? dumm herum, und warten Sie darauf, da? ich noch so einen verfluchten Herzanfall kriege? Oder sind Sie sogar enttauscht, da? noch nichts in dieser Richtung passiert ist?«
Einen Augenblick lang herrschte absolute Stille, und mit Ausnahme der hudlarischen Schwester, die einen Tentakel auf Hewlitt zubewegte, ihn aber gleich darauf wieder zuruckzog, ruhrte sich auch nichts.
»Wir sind alles andere als enttauscht, Patient Hewlitt«, versicherte ihm schlie?lich Medalont und fugte einschrankend hinzu: »Wenngleich Ihre Einschatzung der Situation vollig korrekt ist. Der Herzstillstand mu? durch etwas ausgelost worden sein, und es besteht durchaus die Moglichkeit, wenn auch zugegebenerma?en nur eine sehr geringe, da? die von mir vorgenommene Blutentnahme dafur verantwortlich war. Obwohl Sie eigentlich keine Medikamente erhalten sollten, habe ich nicht daran gedacht, da? vor der Blutentnahme eine winzige Menge des