»Haben Sie etwa Schmerzen?« erkundigte sich die Schwester besorgt und kam sofort naher an das Bett heran. »Ihre Sensordaten zeigen einen optimalen Zustand Ihrer Lebenszeichen an. Falls Sie allerdings Beschwerden haben sollten, beschreiben Sie mir die Symptome bitte so genau wie moglich.«»Entschuldigen Sie, Schwester, aber ich habe mich wohl nicht richtig ausgedruckt, es hat namlich nichts mit meinem korperlichen Zustand zu tun. Ich habe im Laufe des Tages eine andere Patientin gekrankt, und zwar die Kelgianerin Morredeth, aber ich wei? nicht, was an dem, was ich gesagt oder getan habe, so Beleidigendes gewesen sein soll. Wir haben zu viert Scremman gespielt, und die anderen beiden haben anscheinend versucht, mir nonverbal mitzuteilen, da? ich damit aufhoren solle. Ich wurde gern wissen, was ich falsch gemacht habe, damit ich einen solchen Fehler nicht wiederhole und mich entschuldigen kann, falls es etwas Ernsthaftes gewesen sein sollte.«

Obwohl die Schwester keinerlei Regungen zeigte, die er identifizieren konnte, wirkte die Hudlarerin nun entspannter, als sie antwortete: »Ich glaube nicht, da? es etwas ist, woruber man sich Sorgen machen mu?te, Patient Hewlitt. Wahrend eines Scremmanspiels, das sich wie bei Ihnen, so wurde mir jedenfalls berichtet, uber mehrere Stunden erstreckt, ist der Austausch beleidigender und kritisierender Au?erungen allgemein ublich… «

»Das ist mir allerdings nicht entgangen«, warf Hewlitt ein.

»…und solche verbalen Attacken sind beim nachsten Spiel langst vergeben. Vergessen Sie einfach den Vorfall, so, wie es die anderen bereits getan haben. Sie konnen also ganz beruhigt einschlafen.«

»Das ist aber anders abgelaufen«, widersprach Hewlitt. »Diese Au?erungen fielen namlich wahrend der Spielpausen, und vor allem wahrend wir gegessen haben.«

Die Hudlarerin schwieg fur einen Moment, wahrend Sie an den beiden Bettreihen auf der Station entlangblickte. Au?er Hewlitt schienen alle zu schlafen, also gab es derzeit fur sie nichts Dringenderes zu tun. Hewlitt freute sich und schamte sich auch ein bi?chen uber seine neu entdeckte Fahigkeit, diesem Monster seinen Willen aufzuzwingen.

»Also gut, Patient Hewlitt. Woruber haben Sie sich denn mit den anderen unterhalten? Und konnen Sie sich an die Bemerkung erinnern, uber die sich Patientin Morredeth so geargert hat?«»Wie ich Ihnen schon gesagt habe, wei? ich das nicht so genau«, entgegnete Hewlitt. »Ich habe lediglich uber ein kleines, pelziges Tier – ein terrestrisches Haustier - gesprochen und es beschrieben… Haben Hudlarer eigentlich auch Haustiere? Ich habe als Kind immer gern damit gespielt. Nichts von dem, was ich gesagt habe, schien Morredeth zu verargern, bis sie mir vollig unvermittelt vorwarf, ich wurde schlupfrige Sachen erzahlen, woraufhin Bowab ihr ebenso unverhofft zustimmte. Ich dachte, die beiden wurden scherzen, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.«

»In ihrem gegenwartigen Zustand ist Patientin Morredeth, bezuglich ihres Fells ungewohnlich empfindlich«, erklarte ihm die Schwester, wobei die Sprechmembran so vibrierte, da? es einem hudlarischen Flustern gleichkam. »Aber das konnten Sie naturlich nicht wissen. Sagen Sie mir doch bitte, woruber Sie genau gesprochen haben.«

Plotzlich fragte sich Hewlitt, ob es moglich sein konnte, da? nicht er die Schwester, sondern sie ihn ausnutzte. Vielleicht war sie ja sogar ganz froh daruber, sich die langweilige Nachtschicht interessanter zu gestalten, indem sie einem besorgten Patienten nichtmedizinische Hilfe leistete. Wahrscheinlich konnte sie diese Unterhaltung, die sich zu einem langeren Mitternachtsschwatzchen zu entwickeln schien, sogar gegenuber Oberschwester Leethveeschi rechtfertigen. Er lie? sich viel Zeit und wiederholte alles, bis er an dem Punkt anlangte, wo er den anderen das Verhalten seiner Katze beim Streicheln beschrieben hatte. Zwar war er der festen Uberzeugung, da? ein Wesen, dessen Haut wie elastischer Stahl war, bei Ausdrucken wie ›Fell‹ oder ›Pelz‹ keine erotischen Phantasien bekommen wurde, doch am Orbit Hospital konnte man sich anscheinend uber nichts und niemanden sicher sein.

Als er zu Ende erzahlt hatte, meinte die Schwester: »Jetzt verstehe ich. Doch bevor ich zu erklaren versuche, was passiert ist, erzahlen Sie mir bitte, was Sie uber die kelgianische Lebensform wissen.«

»Ich kenne nur die Informationen, die in den kurzen Einfuhrungspassagen der nichtmedizinischen Bibliothek uber die Mitglieder der Foderation geliefert werden, wobei es sich in erster Linie um historisches Materialhandelt«, antwortete Hewlitt. »Die Kelgianer gehoren der physiologischen Klassifikation DBLF an. Sie sind mehrfu?ige Warmbluter und haben einen zylinderformigen Korper, der vollstandig mit einem beweglichen, silbergrauen Fell bedeckt ist. Dieses Fell ist standig in Bewegung, wenn das Wesen bei Bewu?tsein ist, und im geringeren Ausma? auch dann, wenn es traumt.

Aufgrund der Unzulanglichkeiten des kelgianischen Sprechorgans mangelt es diesen Wesen an Modulationsmoglichkeiten oder an sonstigen emotionalen Ausdrucksweisen der Stimme. Allerdings gleichen sie diese Defizite mit dem Fell aus, das, soweit ein anderer Kelgianer betroffen ist, perfekt und unwillkurlich den Gefuhlszustand des Sprechenden widerspiegelt. Infolgedessen konnen sie nicht lugen, und Begriffe wie Diplomatie, Taktgefuhl oder Hoflichkeit sind ihnen vollig fremd. Kelgianer sagen immer genau das, was sie denken oder fuhlen, weil das Fell ohnehin ihre Emotionen alle Augenblicke widerspiegelt und es eine dumme Zeitverschwendung ware, wenn sie es nicht taten. Habe ich soweit recht?«

»Ja«, bestatigte die Hudlarerin. »Wenngleich die medizinischen Bibliotheksdaten fur Sie diesbezuglich von mehr Nutzen gewesen waren. Hat Morredeth ihren Gesundheitszustand Ihnen gegenuber denn genauer erortert?«

»Nein. Als ich sie danach gefragt habe, sagte sie, da? sie nicht daruber reden wolle. Ich bin naturlich neugierig gewesen, lie? das Thema aber rasch fallen, da ich es fur moglich hielt, da? ihre Gebrechen peinlich fur sie sein konnten und mich das Ganze sowieso nichts anging.«

»Manchmal mochte Patientin Morredeth nicht uber ihre Sorgen sprechen, und dann gibt es wieder Zeiten, da will sie unbedingt daruber reden. Wenn Sie sie morgen oder ubermorgen danach fragen, wird sie Ihnen wahrscheinlich in allen Einzelheiten ihren Unfall schildern und auch die sich daraus ergebenden langfristigen Folgen, die fur sie zwar sehr ernst, aber nicht lebensgefahrlich sind. Ich sage Ihnen das nur, da fast jeder auf der Station uber Morredeths Probleme Bescheid wei?. Deshalb breche ich der Patientin gegenuber auch nicht die Schweigepflicht, wenn ich diephysischen und emotionalen Aspekte ihres Krankheitszustandes mit Ihnen bespreche.«

»Ich verstehe«, murmelte Hewlitt nachdenklich.

»Nein, das konnen Sie gar nicht«, widersprach die Hudlarerin, wobei sie noch naher an das Bett herantrat und im selben Verhaltnis die Stimme senkte. »Aber gleich werden Sie das verstehen. Falls Sie einige der von mir verwendeten Fachbegriffe nicht kennen, was angesichts Ihrer Krankengeschichte und der Erfahrungen, die Sie wahrend Ihrer vorangegangenen Klinikaufenthalte gesammelt haben, unwahrscheinlich ist, dann unterbrechen Sie mich bitte, damit ich Ihnen eine fur Laien verstandliche Erklarung geben kann. Soll ich anfangen?«

Wahrend Hewlitt den wuchtigen Korper der Schwester musterte, der auf den sechs Tentakeln ausbalanciert wurde, fragte er sich, ob es uberhaupt irgendeine intelligente Spezies im All gab, die es – ganz unabhangig von ihrer Gro?e, Gestalt oder Anzahl der Gliedma?en - nicht geno?, ein nettes Schwatzchen zu halten.

Da er sich jedoch daran erinnerte, was ihm ein paar unuberlegte Worte fur Probleme mit Morredeth eingebracht hatten, stellte er diese Frage lieber nicht laut.

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