»Das Wichtigste, was Sie uber die Anatomie der Kelgianer wissen sollten, ist, da? die DBLF-Klassifikation mit Ausnahme des dunnwandigen Schadelgehauses, in dem sich das Gehirn befindet, kein Knochengerust besitzt«, fuhr die hudlarische Schwester in demselben Ton fort, den Chefarzt Medalont bei seinen Auszubildenden anzuschlagen pflegte. »Der kelgianische Korper wird von einem aus Muskelbandern bestehenden au?eren Zylinder zusammengehalten. Abgesehen davon, da? er die Fortbewegung unterstutzt, dient er auch als Schutz fur die lebenswichtigen Organe. Fur Wesen wie uns, deren Korper gro?zugig durch ein Knochengerust verstarkt werden, scheint dieser Schutz bei weitem nicht ausreichend zu sein. Im Fall einer Verletzung ist das komplexe und au?erst anfallige Kreislaufsystem ein schwerwiegender Nachteil. Die gewaltigen Muskelstrange, die den ganzen Korper umschlie?en, werden durchBlutgefa?e versorgt, die wie die Nervenverbindungen, die das bewegliche Fell kontrollieren, direkt unter der Haut entlangfuhren. Das dicke Fell bietet zwar etwas Schutz, jedoch nicht gegen solch tiefe Fleisch- und Ri?wunden wie sie sich Patientin Morredeth zugezogen hat, als sie bei einer Weltraumkollision gegen ein Hindernis aus unebenem Metall geschleudert wurde …«

Wie die Schwester weiterhin ausfuhrte, konnte eine Verletzung, die bei den meisten anderen Spezies nur oberflachlich gewesen ware, bei Kelgianern bereits innerhalb weniger Minuten zum Verbluten fuhren.

Das blutgerinnungsfordernde Mittel, das gleich nach dem Unfall verabreicht worden war, hatte die Blutung unter Kontrolle gebracht und somit Morredeth das Leben gerettet, wenngleich zu einem hohen Preis. Auf dem Ambulanzschiff und spater im Krankenhaus waren die wichtigsten verletzten Blutgefa?e operiert worden, aber selbst das auf DBLF-Mikrochirurgie spezialisierte Arzteteam des Orbit Hospitals war nicht in der Lage gewesen, die Kapillargefa?e und die Nervenbahnen des vernichteten oder beschadigten Fells zu retten. Infolgedessen wurde Morredeths wunderschones Fell, das zum einen fur das Tastgefuhl wichtig war und zum anderen wahrend der Liebeswerbung und der Vorbereitung auf die Paarung eine asthetisch bedeutende Rolle spielte, an der betroffenen Stelle nie wieder richtig nachwachsen. Sollte es das wider Erwarten doch tun, ware das Fell steif, vergilbt und leblos und deshalb optisch fur ein anderes kelgianisches Wesen – egal, ob nun mannlich oder weiblich – schrecklich absto?end.

Zwar ware es moglich gewesen, den beschadigten Bereich mit kunstlichem Fell abzudecken, aber dem synthetischen Material wurde die Beweglichkeit und der seidene Glanz des echten Pelzes fehlen, und das konnte man auf den ersten Blick erkennen. Kelgianerinnen in Morredeths Situation waren normalerweise viel zu stolz, um mit solch einer Pelzimitation gesehen zu werden, und deshalb entschieden sie sich, lieber in der Einsamkeit oder nur mit einem Minimum an sozialem Kontakt zu leben und zu arbeiten.»… insbesondere die mannlichen Kelgianer, die dem Klinikpersonal angehoren, haben mir schon des ofteren erzahlt, Morredeth sei eine besonders gutaussehende junge Frau oder, besser gesagt, sei es mal gewesen«, fuhr die Hudlarerin fort. »Auf jeden Fall habe sie nun keine Hoffnung mehr, sich zu paaren und ein normales Leben zu fuhren. Deshalb hat sie gegenwartig auch eher ein emotionales als ein medizinisches Problem.«

»Und ich Trottel mu?te ihr ausgerechnet von dem schonen Fell meiner Katze erzahlen!« stohnte Hewlitt, dem vor Verlegenheit ganz hei? geworden war. »Es wundert mich nur, da? Morredeth mir keine runtergehauen hat. Gibt es denn wirklich nichts mehr, was man fur Sie tun kann? Meinen Sie, da? ich mich bei ihr entschuldigen sollte, oder wurde das die ganze Angelegenheit nur noch verschlimmern?«

»Nur wenige Tage nach Ihrer Einlieferung hier ins Hospital scheinen Sie sich ja bereits mit Horrantor, Bowab und Morredeth mehr oder weniger angefreundet zu haben«, stellte die Hudlarerin fest, ohne auf seine Frage einzugehen. »Die erste Zeit haben Sie noch Symptome einer schwerwiegenden Xenophobie gezeigt, die aber kurz darauf verschwunden sind. Falls es sich dabei um eine ehrliche Reaktion auf Ihre erste freundschaftliche Kontaktaufnahme mit einer Gruppe Aliens handelt und nicht nur um ein aus Hoflichkeit heraus gespieltes Theater, um sich auf diese Weise leichter mit einer nervenaufreibenden Situation abzufinden, an der Sie sowieso nichts andern konnen, dann bin ich von Ihrer Anpassungsfahigkeit sehr beeindruckt. Dennoch finde ich Ihr Verhalten, das Sie seit kurzem an den Tag legen, ziemlich verwunderlich.«

»Ich spiele doch kein Theater!« protestierte Hewlitt sofort. »Und schon gar nicht aus irgendeiner falsch verstandenen Hoflichkeit heraus. Hochstwahrscheinlich liegt es daran, da? ich der einzige gesunde Patient auf dieser Station und entsprechend gelangweilt und neugierig bin. Au?erdem sind Sie es selbst gewesen, die mir von Anfang an geraten hat, ich solle versuchen, mich mit den anderen Patienten zu unterhalten. Samtliche Aliens sahen und sehen fur mich noch immer so aus, als wurde ich selbst imWachzustand noch unter Alptraumen leiden. Trotzdem wollte ich diese Aliens aus einem fur mich unerfindlichen Grund unbedingt kennenlernen, was mich ubrigens genauso wundert wie Sie.«

Die Sprechmembran der Schwester vibrierte leicht, doch zu langsam, um irgendwelche Worter zu formulieren, und Hewlitt fragte sich, ob es sich dabei um die hudlarische Variante eines unentschlossenen Stotterns handelte. Schlie?lich sagte sie: »Um Ihre fruhere Frage zu beantworten: Es gibt nichts, was man noch anderes fur Morredeth tun konnte, als ihre Verbande zu wechseln, wodurch die Wunde zwar heilen wird, ohne jedoch die Schaden an dem unter der Haut liegenden Nervengeflecht beheben zu konnen. Au?erdem mu? die nichtmedizinische Behandlung fortgefuhrt werden, die von Chefarzt Medalont auf den Vorschlag von Padre Lioren hin verordnet wurde, der die Patientin bis jetzt jeden Tag besucht hat. Heute ist er auf der Station gewesen, ist aber im Personalraum geblieben, um von dort aus der Unterhaltung zuzuhoren, die durch Ihre Sensorenme?gerate ubertragen wurde, bevor er…«

»Er hat einfach unser Privatgesprach belauscht?« emporte sich Hewlitt. »Das… das kann er doch nicht machen! Ich wu?te gar nicht, da? mein Me?gerat auch dazu benutzt werden kann. Ich… wir haben vielleicht etwas gesagt, was andere nicht horen sollten.«

»Und ob Sie das getan haben«, bestatigte die Schwester, »aber Leethveeschi ist daran gewohnt, abfallige Bemerkungen uber sich zu horen. Fur den Fall, da? Sie als Patient das Gefuhl haben, mit Ihnen konnte etwas nicht stimmen, ist Ihr Me?gerat in der Lage, auch nur sehr leise ausgesprochene Worter zu ubertragen, bevor es tatsachlich reagiert und von sich aus Alarm schlagt. Jedenfalls vertrat Lioren die Auffassung, da? das Scremmanspiel mit einem neuen und unerfahrenen Spieler die Patientin wahrscheinlich besser von ihren Sorgen und Noten ablenke als alles andere, was er in jenem Moment hatte sagen oder tun konnen, und da? er Morredeth morgen wieder besuchen wolle.«

Bevor Hewlitt etwas erwidern konnte, fuhr die Hudlarerin fort: »Morredeths nichtmedizinische Behandlung umfa?t auch, die Dosis fur dieRuhigstellung wahrend der Nacht zu verringern, die bisher sehr hoch gewesen ist, damit sie, wenn sie allein ist, mehr Zeit hat, sich mit ihren Gedanken auseinanderzusetzen. Medalont und Lioren hoffen, da? sie auf diese Weise ihre Probleme verarbeiten kann. Wie Ihnen vielleicht schon aufgefallen ist, la?t sie sich tagsuber keine Zeit zum Nachdenken. Ich bin angewiesen worden, von heute abend an hochstens noch ein paar Worte mit ihr zu wechseln, es sei denn, wichtige medizinische Grunde sprechen dagegen. Ihr Terrestrier habt so eine Redensart, laut der man in jemandes eigenem Interesse auch mal unbarmherzig sein musse, aber nach meinem Dafurhalten sollte ein Arzt niemals unbarmherzig sein, und erst recht nicht dann, wenn das Leiden einer Patientin bereits dadurch gemildert werden kann, indem man sie in ein freundschaftlich gefuhrtes Gesprach verwickelt. Deshalb bin ich mit dieser Behandlungsform auch nicht einverstanden.«

Erneut zuckte die Sprechmembran der Schwester lautlos. Hewlitt legte schnell eine Hand auf das Me?gerat, in der Hoffnung, den Ton des Schallsensors so abzudecken, da? kein weiteres Wort ihrer rebellischen Gefuhle bis zu jemandem durchdringen konnte, der sich dieses Gesprach moglicherweise spater wurde anhoren wollen.

»Vorhin haben Sie mich gefragt, wie Sie sich nach Ihrem unsensiblen Verhalten gegenuber Morredeth am besten verhalten sollen«, beendete die Schwester ihre Ausfuhrungen, wahrend Sie sich bereits zum Gehen wandte.

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