Kranke und Verletzte und nicht fur Leute, die bereits genesen sind. Was fehlt Ihnen also? Handelt es sich vielleicht um etwas zuPersonliches oder gar zu Peinliches, uber das Sie selbst nicht mit einem Mitglied einer anderen Spezies reden mochten, obwohl es Ihre Scham hochstwahrscheinlich nicht nachvollziehen kann?«
»Nein, es ist nichts dergleichen«, versicherte ihr Hewlitt. »Es ist nur so, da? es sehr viel Zeit in Anspruch nehmen wurde, Ihnen alles zu erzahlen, zumal ich Ihnen zwischendurch immer wieder einige Verhaltensweisen und Brauche der Terrestrier erklaren mu?te. Au?erdem wurde mich das nur daran erinnern, wie wenig mir die terrestrischen Arzte geholfen haben, weil Sie sich weigerten, mir zu glauben, da? mit mir etwas nicht stimmt. Also kame nur meine alte Wut und Enttauschung wieder hoch, was hochstwahrscheinlich darauf hinauslaufen wurde, da? ich Ihnen die Ohren volljammere.«
Morredeths Fell krauselte sich in ein neues und optisch attraktiveres Muster, und er fragte sich, ob sich die Kelgianerin uber ihn amusierte.
»Also geht es Ihnen genauso wie mir«, stellte Morredeth fest. »Das ist namlich derselbe Grund, weshalb ich nicht uber mich reden will. Bestimmt ware ich Ihnen mit meinem Gejammer auch auf die Nerven gegangen.«
»Sie haben bestimmt mehr Grund zu klagen als ich«, meinte Hewlitt und hielt kurz inne, weil sich das Fell der Kelgianerin wieder stachelig aufrichtete und sich die Muskelstrange, die den ganzen Korper umschlossen, so fest zusammenzogen, als stunden sie kurz vor einem Krampf. Deshalb fugte er rasch hinzu: »Entschuldigung, Morredeth, jetzt spreche ich doch uber Sie anstatt uber mich. Wo soll ich also anfangen?«
Der Korper der Kelgianerin entspannte sich zwar, das Fell bewegte sich jedoch noch immer unruhig, als sie antwortete: »Sprechen Sie mit mir uber jene Krankheitsvorfalle, die Sie noch nicht erzahlt haben oder uber die Sie weder mit Medalont noch mit den Auszubildenden reden mochten, weil sie ungewohnlich, beschamend oder sogar etwas ansto?ig sind. Vielleicht finde ich Ihre Erzahlungen ja so unterhaltend, da? ich meine eigenen Probleme fur eine Weile vergessen kann. Mochten Sie das fur mich tun?«
»Ja«, willigte Hewlitt ein. »Erwarten Sie aber nicht zu viel Unterhaltung oder gar erotische Details von mir. Ich werde Ihnen von der Zeit erzahlen,die ich auf der Erde verbracht habe, als ich mit meinen Gro?eltern zusammenlebte, die ubrigens kein pelziges Haustier besa?en, mit dem ich hatte spielen konnen. Einige der Episoden sind allerdings ziemlich peinlich. Durchleben Kelgianer so etwas wie eine Pubertat?«
»Na klar! Oder dachten Sie, da? wir von Geburt an sexuell aktiv sind?«
»Nun, die Pubertat kann jedenfalls auch fur gesunde Menschen au?erst unangenehm verlaufen«, meinte Hewlitt, ohne auf Morredeths Bemerkung einzugehen.
»Dann beschreiben Sie mir Ihre unangenehmen Erlebnisse und Ihre gesundheitlichen Mangel bis ins letzte Detail, das hei?t, falls Sie nichts Interessanteres zu berichten haben«, forderte ihn Morredeth in ihrer unnachahmlich direkten Art auf.
Also beschrieb er, wie er vom Einzelunterricht am Heimcomputer auf die hohere Schule wechselte, wo Gruppenunterricht und die Teilnahme an Sportveranstaltungen mehr ins Gewicht fielen. Als er von seinen Erfolgen sowohl bei den Mannschafts- wie auch bei den Einzelsportarten erzahlte, die ihm insbesondere bei der weiblichen Studentenschaft einen guten Ruf einbrachten, unterbrach ihn Morredeth.
»Ich beklage mich daruber«, antwortete Hewlitt, und seine Stimme wurde lauter, als mit der Erinnerung der Zorn in ihm aufwallte, »weil ich die Vorteile, die sich daraus fur mich ergaben, nie genutzt habe. Niemalspassierte etwas. Selbst als ich mich von einer bestimmten jungen Frau stark angezogen fuhlte, die auch an mir Interesse zeigte … nun, es war sehr unbefriedigend und frustrierend und… und schmerzlich.«
»Fuhlten Sie sich denn noch von jemandem oder von etwas anderem angezogen?« erkundigte sich Morredeth. »Von einer Frau vielleicht, die sich aber nichts aus Ihnen machte? Oder haben Sie damals noch starkere Gefuhle fur eine Ihrer kleinen pelzigen Kreaturen entwickelt?«
»Nein, um Himmels willen!« protestierte Hewlitt entschieden. Dann sah er angstlich zu den Schlafenden in den nahe gelegenen Betten hinuber und senkte die Stimme. »Fur wen halten Sie mich eigentlich, verdammt noch mal?«
»Fur einen sehr kranken Terrestrier«, antwortete Morredeth. »Sind Sie nicht aus diesem Grund hier?«
»Ja, aber ich habe doch nicht das gehabt, was Sie mir gerade unterstellen wollten«, stellte Hewlitt klar, wobei er unwillkurlich lachen mu?te. »Nach Meinung der Universitatsarzte war ich sogar uberhaupt nicht krank. Die haben doch glattweg behauptet, mein Korper sei in jeder Hinsicht ein physikalisches Musterexemplar. Nachdem viele unangenehme Tests und Experimente mit mir durchgefuhrt worden waren, meinten sie, es gabe weder einen anatomischen noch einen hormonellen Grund dafur, weshalb es beim Erreichen des Hohepunkts der sinnlichen und korperlichen Erregung bei mir zu keinem Samenergu? komme. Au?erdem sagten sie, da? ich durch irgendein unwillkurliches oder unbewu?tes Verhalten, das sie sich nicht erklaren konnten, den Mechanismus des Samenergusses im letzten Moment zuruckhalten wurde. Diese plotzliche Unterbrechung des Samenflusses lose einen unmittelbaren Schmerz aus, und die Beschwerden im Genitalbereich wurden erst dann nachlassen, sobald die Flussigkeit resorbiert worden sei. Sie schlossen daraus, da? mein Problem wahrscheinlich auf einem tief sitzenden Kindheitstrauma beruhe, das sich in Form von zeitweilig auftretender Schuchternheit au?ere, die so intensiv sei, da? sie sich auf den korperlichen Zustand auswirke.«
»Was ist Schuchternheit?« fragte Morredeth. »Mein Translator gibt keinekelgianische Bedeutung fur dieses Wort an.«
Wenn ein Wesen immer genau das sagte, was es dachte, konnte man von ihm auch nicht erwarten, da? es wu?te, was Schuchternheit bedeutete. Solch einem Wesen einen solchen Begriff zu erklaren, war praktisch dasselbe, als sollte man einem Blinden eine Farbe beschreiben, doch wollte es Hewlitt zumindest versuchen.
»Schuchternheit ist eine Art psychologische Barriere in der menschlichen Interaktion. Sie ist so etwas wie eine unuberwindbare Mauer auf geistiger Ebene, die eine schuchterne Person davon abhalt, das zu sagen oder zu tun, was sie mochte. Unerfahrenheit, Uberempfindlichkeit oder sogar Feigheit sind fur gewohnlich die Grunde, weshalb die Worte, die die betreffende Person sagt, und die Handlungen, die sie ausfuhren mochte, unterdruckt werden. Unter Terrestriern ist Schuchternheit wahrend der Pubertat sehr verbreitet, wenn es zu ersten Annaherungsversuchen zwischen den Geschlechtern kommt und… «
»Das ist doch lacherlich!« unterbrach ihn Morredeth. »Auf Kelgia ist das Gefuhl eines Mannes oder einer Frau