immer noch wutend.«

»Ich kann Sie durchaus verstehen«, stimmte ihr Hewlitt zu. »Damals habe ich namlich dieselbe Wut und Enttauschung empfunden wie Sie. Anfangs war es mir unendlich peinlich, da? meine Freunde uber mich lachten und hinter meinem Rucken tuschelten, weil sie mich fur eine Art sexuellen Kruppel hielten… «

»Aber man hat Ihnen die Behinderung doch nicht angesehen!« unterbrach ihn Morredeth, und ein plotzlicher Muskelkrampf brachte sie bedrohlich nahe an die Bettkante. »Meine Freunde werden nicht hinter meinem Rucken lachen und tuscheln, sondern sich freundlich verhalten und meine Gesellschaft meiden, damit ich nicht ihren Ekel bemerke, den sie mir gegenuber empfinden. Aber das konnen Sie wahrscheinlich nicht verstehen, nicht wahr?«

»Versuchen Sie ruhig zu liegen, verdammt noch mal!« rief Hewlitt. »Sonst fallen Sie noch aus dem Bett und verletzen sich womoglich. Horen Sie endlich auf damit, so herumzurollen!«

»Wenn Sie der Anblick stort, dann gehen Sie doch!« erwiderte Morredeth. »Kelgianer konnen zwar manchmal ihre Gefuhle kontrollieren, aber niemals verbergen. Starke Empfindungen sind nun mal mit unwillkurlichen Fell- und Korperbewegungen verbunden. Haben Sie das nicht gewu?t?«

Nein, aber jetzt wei? ich es, murmelte Hewlitt in sich hinein und sagte dann laut: »Selbst terrestrische Psychologen vertreten die Auffassung, da? es oft besser ist, wenn man sich von seinen Gefuhle befreit, anstatt sie aufzustauen. Ich mochte nicht gehen, sondern mich mit Ihnen unterhaltenund Sie von Ihren Problemen ablenken. Bis jetzt bin ich darin noch nicht sehr erfolgreich gewesen, wie?«

»Das kann man wohl laut sagen. Aber bleiben Sie ruhig, wenn Sie unbedingt wollen.«

Die Heftigkeit ihrer Korperbewegungen schien etwas nachzulassen, und Hewlitt beschlo?, das Risiko einzugehen, nicht das Thema zu wechseln.

»Danke, Morredeth. Und was unser gemeinsames Problem angeht, haben Sie naturlich recht. Ihre Situation ist ungleich schlimmer als meine, da sie einen bleibenden Schaden haben, der daruber hinaus fur jedermann sichtbar ist. Aber das hei?t nicht, da? ich Ihre Gefuhle nicht verstehen wurde, denn ich hatte fur viele Jahre dieselbe Art von Problemen, wenngleich in geringerem Ausma?. Ich glaube nicht, da? die seelischen Narben jemals verheilen werden und ich mit der Notwendigkeit klarkommen werde, allein zu leben und zu arbeiten und den korperlichen Kontakt zu Frauen vermeiden zu mussen. Ich wei?, wie es Ihnen ergehen mu?, allerdings wei? ich auch, da? Sie sich nicht standig so miserabel fuhlen werden.

Ist Ihnen eigentlich schon mal der Gedanke gekommen, da? moglicherweise Lioren und nicht die Hudlarerin recht haben konnte? Oder da? es besser ware, wenn Sie Ihrem Problem hier an Ort und Stelle ins Auge sehen, ich meine, hier im Krankenhaus, wo jederzeit Hilfe verfugbar ist, anstatt zu Hause, wo Sie Ihrer Aussage nach ganz allein sein werden? Oder da? es Ihnen nicht immer so schlecht gehen wird, wie im Moment? Fast samtliche Wesen, ob nun Kelgianer oder Terrestrier, gewohnen sich mit der Zeit fast an alles und… «

»Sie reden schon wie Lioren…«, unterbrach ihn Morredeth, und dann passierte es…

Da ihr Fell langst nicht mehr so unruhig wie noch wenige Minuten zuvor war und die unkontrollierten Korperbewegungen allmahlich nachgelassen hatten, kam ihre plotzliche Verkrampfung vollig unerwartet. Morredeth nahm die Form eines langgezogenen, pelzigen Zylinders an und lie? sich zur entgegensetzten Bettkante von Hewlitt rollen. Ohne nachzudenken, griff ermit beiden Handen nach ihr, um sie zuruck aufs Bett zu ziehen.

Er erwischte sie am Stoffabschnitt, der die Wundverbande abdeckte, und gerade als er im Begriff war, ihren Sturz aufzuhalten, schnappten die Verschlusse auf, und er hielt nur noch den Stoff in den Handen.

Die Kelgianerin gab ein langes, hohes Wimmern von sich, das sich wie ein Nebelhorn im Fistelton anhorte, dann bekam sie erneut einen Krampf und rollte auf die andere Seite des Betts zuruck … und direkt auf Hewlitt drauf. Halb fallend, halb gleitend, fiel er mit der immer noch auf ihm liegenden Morredeth auf den Boden.

»Schwester!« schrie er.

»Ich bin schon da«, meldete sich die Hudlarerin, die sich bereits innerhalb der Sichtblenden befand und sich uber die beiden beugte. »Sind Sie verletzt, Patient Hewlitt?«

»N… nein«, stammelte er. »Bis jetzt jedenfalls noch nicht.«

»Gut. Die Spezies, die der DBLF-Klassifikation angehoren, setzen ihre Fu?e niemals als naturliche Waffen ein, so da? Ihnen wahrscheinlich nichts zusto?en wird. Erst mal brauche ich jemanden, der mir hilft. Ich mochte aber keine Zeit damit vergeuden, eine andere Schwester von einer anderen Station zu rufen, und au?erdem will ich mir nicht nachsagen lassen, mit einem einfachen Notfall nicht klargekommen zu sein. Sind Sie bereit, mir zu helfen?«

Ich soll Ihnen helfen? dachte Hewlitt. Das Gerausch, das er von sich gab, konnte er noch nicht einmal selbst ubersetzen, doch die Hudlarerin betrachtete es offenbar als Zustimmung.

»Ihre gegenwartige Lage auf dem Fu?boden ist fur unser Vorhaben ideal«, versicherte sie ihm. »Sie sollen mir namlich dabei helfen, Patientin Morredeth ruhigzustellen. Bitte legen Sie die Arme um sie herum, und greifen Sie mit beiden Handen in das Ruckenfell. Noch fester, bitte, Sie tun ihr nicht weh. Bedauerlicherweise brauche ich vier meiner Gliedma?en, um meinen Korper abzustutzen, also bleibt noch ein Tentakel, mit dem ich Ihnen helfen werde, die Patientin ruhigzustellen, und mit dem anderenwerde ich das Beruhigungsmittel verabreichen. Gut, genau so werden wir es machen.«

Hewlitt versuchte, mit beiden Handen nach Morredeths Fell zu greifen und gleichzeitig die Innenseiten der Unterarme gegen ihren Rucken zu pressen, wahrend die Hudlarerin mit einem Tentakel mit sanftem, aber festem Druck ihren Hals umschlang. Morredeth mu?te ruhig gehalten werden, damit die Schwester die richtige Stelle fur die Injektion ausfindig machen konnte. Die Kelgianerin gab noch immer diese hohen, wimmernden Gerausche von sich, wahrend sie mit aller Macht versuchte, sich seinen Armen zu entwinden, indem sie mit den uber drei?ig Fu?en uber seinen Bauch, seine Brust und sein Gesicht hochzulaufen versuchte. Glucklicherweise waren die Beine kurz, dunn und nicht sehr muskulos, und die Fu?e, die keine Zehennagel oder sonstige knochige Enden hatten, waren wie kleine, feste Schwamme, so da? er das Gefuhl hatte, ununterbrochen mit wattierten Trommelstocken attackiert zu werden. Diese Erfahrung war allerdings eher etwas irritierend als schmerzhaft. Morredeths Anstrengungen mu?ten sie ins Schwitzen gebracht haben, denn er nahm eine zunehmende, leicht nach Pfefferminze riechende Korperausdunstung wahr.

Als ware ihm mit einem Mal die ganze Kraft entwichen, spurte er in jedem Muskel seines Korpers eine unverhofft auftretende Schwache, und dort, wo seine Haut das Fell beruhrte, das sich unentwegt zwischen seinen Fingern drehte und wand, kribbelte es hei? an den Handen und den entblo?ten Unterarmen. Diese Erfahrung war ihm derart fremd, und es kitzelte so sehr, da? er sich mit aller Anstrengung dagegen wehren mu?te, nicht zu lachen. Plotzlich wolbte Morredeth den Rucken und versuchte, sich mit aller Gewalt zu befreien, wobei ihm fast die Hande abrutschten.

»Entschuldigung, aber meine Hande schwitzen!« keuchte er unter der Last. »Sie ware mir beinahe

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