Beschwerde gegeben hatte. Chefarzt Medalont wechselte nur wenige Worte mit ihm und wenn doch, dann drehten sich die Gesprache praktisch nie um seine Krankheit. Oberschwester Leethveeschi legte eine ungeahnte Hoflichkeit an den Tag. Die hudlarische Schwester war wie immer freundlich, wenngleich weniger gesprachig als sonst, und als er versuchte, mit Horrantor und Bowab zu dritt Scremman zu spielen, taten sie fast so, als hatte es ihnen die Sprache verschlagen. Um es mit einer Redensart, die seine Gro?mutter einst gern verwendet hatte, auszudrucken: Alle fuhrten um ihn herum den reinsten Eiertanz auf.
Offenbar war Lioren das einzige Wesen, das sich ausfuhrlicher mit ihm zu unterhalten bereit war, obwohl die Besuche des Padre immer in langen und haufig auch hitzig gefuhrten religiosen Debatten zu enden schienen; auch wenn Hewlitt diese als unglaubiger Mensch lieber als philosophische Streitgesprache bezeichnete. Auf jeden Fall verkurzten sie ihm die Tage und beschaftigten ihn gedanklich bis tief in die dazwischenliegenden Nachte hinein, und dafur war er sehr dankbar. Obwohl der Padre nicht unbedingt seine erste Wahl in der nach oben hin offenen Richter-Skala unterhaltsamer Gesprachspartner gewesen ware. Erst recht nicht, wenn Lioren wie jetzt wieder einmal versuchte, die Unterhaltung auf das immer langweiliger werdende Thema zu lenken, was genau mit Morredeths Fell passiert sein konnte.
»Als ich vorhin mit Morredeth gesprochen habe, hat sie mir gesagt, die Pathologie habe nichts gefunden, was zu beanstanden sei, und in ihrem wiederhergestellten Fell gebe es auch keinerlei Anzeichen fur eine Verschlechterung. Ihrer Auffassung nach gingen Thornnastor allmahlich die Grunde dafur aus, sie noch langer unter Beobachtung zu halten, so da? er sie bald nach Hause entlassen musse. Sollte Morredeth Sie nicht mehrsehen konnen, so la?t sie Ihnen die besten Wunsche ausrichten und daruber hinaus ein gro?es Dankeschon, falls Sie etwas getan haben sollten, um sie zu heilen und …«
»Aber ich habe lediglich mit ihr ein wenig gerungen, sonst nichts!« unterbrach ihn Hewlitt. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, da? Sie ihr das ausrichten sollen.«
»Das habe ich auch getan«, erwiderte der Padre. »Morredeth hat auch nur gesagt,
»Es gibt keine Wunder!« stellte Hewlitt nicht zum ersten Mal klar. »Es gibt blo? Naturgesetze, die wir nicht verstehen oder noch nicht erforscht haben. Da wir zum Beispiel wissen, wie dieses Ding hier funktioniert, konnen wir dieses Wunder auch mehrmals am Tag vollbringen, ohne weiter daruber nachzudenken, stimmt's?«
Wahrend des Sprechens hatte Hewlitt den Kommunikator neben dem Bett eingeschaltet und den Code fur das Bibliotheksmenu eingegeben, und jetzt fragte er sich, ob Lioren diesen Wink verstehen und endlich gehen wurde. Bei fruheren Anlassen hatte er es jedenfalls nicht getan, und wenn der Padre eins war, dann ein Musterexemplar an Bestandigkeit, was sein Sitzfleisch betraf.
»Sicher, vor einigen Jahrhunderten ware eine Bildubertragung ein gro?es Wunder gewesen«, stimmte Lioren ihm zu. »Da? Morredeth ungeheuer erleichtert und froh ist, mu? ich Ihnen ja nicht erst sagen, aber vor allem ist sie enorm stolz auf den Zustand ihres Fells. Sie hat sogar darauf bestanden, da? ich meine Hande auf ihre Flanken lege, um die Dichte und Beweglichkeit zu spuren, und sie hat behauptet, da? es sich noch nie zuvor so gut angefuhlt habe. Auf Tarla macht man so etwas nur, wenn man miteinander sehr vertraut ist und eine tiefe emotionale Bindung teilt, aber Morredeth wollte unbedingt, da? ich ihr Fell beruhre. Na ja, offen gesagt, war mir das ziemlich unangenehm, denn bei solchen Anlassen kann ich mich in moralischer Hinsicht als ein ganz schoner Feigling entpuppen. Auf alle Falle war es ein sehr seltsames und hochst unerwartetes Gefuhl, das nur sehr schwer zu beschreiben ist. Ich kam mir dabei ziemlich… nun ja, wie soll ich das mal ausdrucken… ?«
»Kamen Sie sich vielleicht ein bi?chen lacherlich vor?« half Hewlitt aus. »So ist es mir jedenfalls ergangen, als mir dasselbe mit Horrantor passiert ist. Medalont hat mich namlich gebeten, meine Hande fur einen medizinischen Versuch auf die verletzte Gliedma?e der Tralthanerin zu legen. Nach Aussage des Chefarztes gebe es mit Horrantors Beinverletzung Komplikationen, und die Genesung wurde nur sehr langsam voranschreiten. Da offenbar befurchtet wurde, da? etwas Dramatisches passieren konnte, standen Medalont, Leethveeschi, zwei orligianische Krankenschwestern und das komplett angetretene Reanimationsteam bereit. Ich nehme an, da? letztendlich alle, sogar Horrantor selbst, heilfroh waren, da? sich trotz meines Handauflegens nichts tat.
Tja, mit einem zweiten Wunder kann ich also nicht dienen, Padre. Tut mir leid.«
»Sie brauchen sich deswegen wahrhaftig nicht zu entschuldigen«, meinte Lioren. »Au?erdem empfinde ich ahnlich wie meine Kollegen; wenn ein solch vermeintliches Wunder geschieht, fuhle ich mich immer sehr unwohl in meiner Haut, und es verunsichert mich in dem, an was ich glaube und an was ich nicht glaube, und ich mu? umgehend beweisen, da? nichts dergleichen geschehen ist.«
»Naturlich gibt es keine Wunder, Padre«, versicherte ihm Hewlitt nochmals. »Konnen wir jetzt bitte uber etwas anderes reden?«
»Es mu? sehr schon sein, sich seiner Sache so sicher zu sein«, sagte Lioren und machte dabei mit den mittleren Armen eine ungestume Geste, die ein anderer Tarlaner wahrscheinlich hatte deuten konnen. »Trotzdem frage ich mich, ob in der Schopfung – in der ungeheuren Weite von Raum und Zeit, den unveranderlichen Gesetzen von Ursache und Wirkung und dem perfekten Gleichgewicht der Krafte – kein Platz fur ein gelegentliches Wunder ist. Doch warum ist es ausgerechnet hier geschehen?«
Hewlitt schuttelte den Kopf und seufzte schwer; anscheinend gab es keine Moglichkeit, den Padre von diesem endlosen Thema uberMorredeths Fell und den unvermeidlichen religiosen Debatten abzubringen. »Hier ist gar nichts geschehen. Es gibt keine Wunder, Padre! Wurde es welche in Ihrem gro?en, komplizierten und dennoch wohlgeordneten Universum geben – oder von mir aus auch in der Schopfung, wie Sie es nennen -, dann waren sie fehl am Platz. Ein Defekt in einem ansonsten so perfekten System. Im Universum ist nun mal kein Platz fur Wunder.«
»Ein interessanter, philosophischer Gedanke«, sann Lioren laut nach. »Er la?t darauf schlie?en, da? unsere Schopfung fehlerhaft ist, da ja ganz offensichtlich hier im Orbit Hospital ein ubernaturliches Ereignis stattgefunden hat. Wenn man sich die hypothetischen Eigenschaften des hochsten Wesens vor Augen halt, warum sollte er, sie oder es irgendeine Form der Unvollkommenheit erschaffen haben?«
»Was wei? ich?« antwortete Hewlitt. »Das ist zwar nicht mein Fachgebiet, aber vielleicht kann man davon ausgehen, da? dieses Universum nur als Modellfall erschaffen wurde – eine Art Prototyp, der dann und wann einer Anderung oder kleinen Feinabstimmung bedarf. Das Eindringen von zufalligen ubernaturlichen Ereignissen in ein Universum, das angeblich auf Naturgesetzen basiert, konnte der Beweis fur solch eine Form der Unvollkommenheit sein. Na, aber Gott sei dank… huch! Das war nur so eine terrestrische Redensart, Padre. So was rutscht mir nur selten raus…«
»Wenn Sie glauben, da?…«
»Ich glaube an gar nichts, Padre. Ich habe das nur so gesagt.« Der Tarlaner schwieg fur einen Augenblick, dann sagte er: »Wenn dieses Universum unvollkommen ist und die Ewigkeit das ist, was sie ist, namlich ohne Anfang und Ende, folgt doch daraus, da? es auch ein vollkommenes Universum gibt oder gegeben hat oder geben wird. Haben Sie Lust, ein wenig daruber zu philosophieren… ahm… nur so, meine ich?«