lie? man es einstweilen bewenden, und weil seine Reaktionen vielleicht nicht ganz den Erwartungen entsprochen hatten, bombardierten ihn die medizinischen Mitarbeiter in den darauffolgenden beiden Tagen unentwegt mit irgendwelchen Fragen, wohingegen alle geflissentlich den von ihm gestellten Fragen auszuweichen versuchten.

Pathologin Murchison war nicht nur Terrestrierin, sondern entsprach auch in ihrer Personlichkeit und Erscheinung schon eher Hewlitts Vorstellung von einem medizinischen Schutzengel. Als sie wieder einmal an der Reihe war, die Wache auf dem Unfalldeck zu ubernehmen, versuchte Hewlitt, sie in ein unverfangliches Gesprach zu verwickeln, da er hoffte, da? sie ihm das eine oder andere uber das weitere Vorgehen verraten konnte. Hewlitt wu?te, da? er seinen aufgestauten Zorn nicht zu unterdrucken brauchte, denn Prilicla ruhte sich in seiner Kabine aus und befand sich somit au?er empathischer Reichweite.

»Jeder scheint mir hier genau dieselben Fragen zu stellen, mit denen mich Medalont und all meine anderen Arzte schon so oft traktiert haben, und ich kann immer nur dieselben Antworten geben«, beklagte er sich. »Wenn ich konnte, ware ich ja gerne behilflich, aber wie? Keiner von Ihnen beantwortet meine Fragen, und niemand sagt mir, wie mein gegenwartigerZustand ist. Was glauben Sie denn nun eigentlich, was mir fehlt? Und warum verrat mir niemand, was dagegen unternommen werden soll?«

Die Pathologin drehte sich gemachlich auf dem bequemen Sessel zu Hewlitt herum und wandte nur widerwillig den Blick von dem gro?en Monitor ab, auf dem seit geraumer Zeit eine Folge unbewegter Bilder gezeigt wurde, die den Oberflachen von rosa- und lilafarben geaderten Marmorplatten ahnelten. Wie Hewlitt vermutete, handelte es sich dabei um erkrankte Gewebeteile fremder Spezies, und vielleicht war Murchison davon ausgegangen, die Bilder konnten ihn derart langweilen, da? er sofort einschlafen wurde.

Die Pathologin stie? einen langen Seufzer aus, bevor sie antwortete: »Eigentlich sollten Sie erst morgen nach der Landung wahrend der Lagebesprechung daruber informiert werden. Da sich aber in den letzten drei Tagen nichts an Ihrem allgemeinen Gesundheitszustand geandert hat, sehe ich keinen triftigen Grund, es Ihnen bis dahin zu verschweigen. Also das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, wird Ihnen bestimmt nicht gefallen, weil…«

»Haben… haben Sie etwa schlechte Nachrichten fur mich?« unterbrach Hewlitt sie. »Dann fangen Sie bitte gleich mit den schlechtesten an.«

»Wenn Sie Antworten auf Ihre Fragen haben mochten, dann unterbrechen Sie mich bitte nicht. Das Ganze ist namlich etwas peinlichfur mich.«

Peinlich? dachte Hewlitt entsetzt und sagte dann laut: »Entschuldigen Sie.«

»Es sind weder gute noch schlechte Nachrichten, es gibt namlich gar keine. Zuerst haben wir Ihnen die hinlanglich bekannten Fragen gestellt, in der Hoffnung, da? Sie uns etwas Neues sagen wurden; etwas, das sie versaumt haben, Medalont oder den anderen zu erzahlen; etwas, das wir Ihnen hatten glauben und worauf wir hatten reagieren konnen. Laut Prilicla la?t Ihre emotionale Ausstrahlung erkennen, da? sie nicht lugen, zumindest nicht bewu?t, und dennoch sind die zumindest subjektiv als wahr empfundenen Geschichten, die Sie uns erzahlen, uberhaupt nicht hilfreich furuns. Nun zu Ihrer zweiten Frage, namlich zu der, was Ihnen fehlt. Nun, soweit wir es herausfinden konnten, ist Ihr Zustand nicht nur gut, sondern Sie sind auch ein ungewohnlich korperlich wie geistig fites und gesundes mannliches Exemplar der Gattung DBDG-Terrestrier. Ihnen fehlt also uberhaupt nichts.«

Sie atmete tief ein, wodurch ihre eindrucksvolle Brust in dem enganliegenden wei?en Overall voll zur Geltung kam, und was Hewlitt zudem daran erinnerte, da? er immerhin ein Mann war. Dann fuhr sie fort: »Deshalb mu?ten wir uns eigentlich der Meinung der Arzte anschlie?en, von denen Sie in der Vergangenheit behandelt worden sind, und Ihnen mitteilen, da? Sie ein gesunder Hypochonder mit psychischen Problemen sind und da? Sie nach Hause gehen und endlich damit aufhoren sollen, unsere kostbare Zeit zu vergeuden… «

Bevor Hewlitt etwas dazu sagen konnte, hielt Murchison besanftigend ihre wohlgeformten Hande hoch und sagte rasch: »Sie brauchen sich erst gar nicht aufzuregen, denn genau das werden wir nicht tun. Jedenfalls nicht, bevor wir nicht fur Ihre ungewohnlichen Kindheitserlebnisse und die Regeneration von Morredeths beschadigtem Fell eine einleuchtende Erklarung gefunden haben. Sollte es namlich diesbezuglich tatsachlich einen Zusammenhang geben, dann hoffen wir, Beweise dafur auf Etla zu finden. Das ist doch der Ort, an dem diese eigenartigen Vorfalle angefangen haben, und wo wir wahrend unserer Nachforschungen Ihre Mithilfe sowie Ratschlage und Erinnerungen sehr zu schatzen wissen werden.

Also lautet die Antwort auf Ihre dritte Frage: Wir wissen nicht, was wir mit Ihnen machen sollen«, beendete die Pathologin ihre Ausfuhrungen mit einem Lacheln.

»Ich wurde Ihnen ja gern behilflich sein, aber hochstwahrscheinlich sind meine Kindheitserinnerungen fur Ihre Absichten nicht genau genug. Haben Sie daran auch schon mal gedacht?«

»Nach Aussage der psychologischen Abteilung ist Ihr Erinnerungsvermogen wie alles andere an Ihnen: namlich nahezu perfekt. Wurden Sie jetzt also bitte schlafen und mich weiter arbeiten lassen, PatientHewlitt?«

»Zumindest werde ich es versuchen«, antwortete Hewlitt. »Was machen Sie da eigentlich?«

Murchison seufzte erneut. »Unter anderem vergleiche ich gerade eine Reihe vergro?erter Scannerbilder von Gehirnen der DBDGs und anderer Spezies, inklusive des Ihren ubrigens, weil ich eine strukturelle Veranderung oder Anomalie zu finden hoffe. Auf diese Weise lie?e sich vielleicht erklaren, wie es Ihnen moglich war, einige dieser wundersamen Dinge zu bewirken – falls Sie uberhaupt etwas damit zu tun gehabt haben und nicht eine andere, uns bislang verborgen gebliebene Kraft. Ich erwarte wirklich nicht, Beweise fur eine Gabe zu finden, die ihrem Besitzer ermoglicht, Wunder zu vollbringen. Trotzdem darf ich nichts unversucht lassen. Und jetzt schlafen Sie bitte.«

Doch nur wenige Minuten spater fragte sie: »Sind Sie sich wirklich sicher, da? Sie uns alles erzahlt haben? Oder gab es noch irgendwelche andere Begebenheiten, die Ihnen als Kind oder Erwachsener widerfahren sind und die Ihnen als viel zu belanglos erschienen sind, um sie zu erwahnen D wie zum Beispiel die Geschichte mit Ihren Zahnen? Sind Sie zu Hause oder in Ihrem Arbeitsumfeld mit kranken Leuten in Kontakt gekommen? Aus irgendeinem Grund enthalt Ihre Krankenakte uberhaupt keine Angaben uber Ihren Beruf oder uber ein Gewerbe, dem Sie nachgehen. Sind Sie mit Tieren in Beruhrung gekommen – ich meine, abgesehen von Ihrer Katze -, die vielleicht krank oder erst kurz zuvor von einer Krankheit genesen waren? Oder gab es irgendwelche anderen Tiere, die mit Ihnen… «

»Meinen Sie vielleicht meine Schafe?« unterbrach Hewlitt die Pathologin.

»Kann sein, ich habe keine Ahnung. Erzahlen Sie mir davon«, forderte Murchison ihn auf.

»Nun, ich habe eine ganze Menge Schafe.«

»Ach, sind Sie etwa ein Schafhirte?« erkundigte sich die Pathologin erstaunt. »Ich hatte nie gedacht, da? es heutzutage noch Schafhirten gibt. Erzahlen Sie weiter.«»Ich bin zwar selbst kein Schafhirte, aber die gibt es immer noch«, stellte Hewlitt klar. »Schafehuten ist eine seltene, stark spezialisierte und zu dem sehr gut bezahlte Arbeit, besonders wenn man fur mich arbeitet. Ich habe das Familienunternehmen von meinen Gro?eltern geerbt, da mein Vater ihr einziges Kind war. Als er bei dem Flugzeugungluck ums Leben kam, war ich somit der einzige Nachkomme. Mein Beruf ist in der Krankenakte nicht erwahnt worden, weil auf der Erde ohnehin fast jeder wei?, wer ich bin oder

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