»Anfangs bin ich mir zwar nicht ganz sicher gewesen, Doktor Stillman, aber dann habe ich Sie doch wiedererkannt«, versuchte er schlie?lich den Monitoroffizier in ein Gesprach zu verwickeln, um auf andere Gedanken zu kommen. »Damals sind Sie mir naturlich viel gro?er vorgekommen, aber das liegt wohl daran, da? Kinder die meisten Erwachsenen fur Riesen halten. Das liegt an der Perspektive. Trotzdem scheinen Sie sich kaum verandert zu haben.«
»Ehrlich gesagt, habe ich Sie uberhaupt nicht wiedererkannt«, antwortete Stillman und klopfte sich lachelnd auf seinen etwas fulligen Bauch. »Nun ja, ich bin eben mehr in die Breite gegangen, wahrend Sie offensichtlich in die Hohe geschossen sind.«»Jedenfalls kann man von Gluck reden, Sie hier auf Etla noch angetroffen zu haben«, fuhr Hewlitt fort. »Ich habe namlich immer gedacht, da? Mitarbeiter des Monitorkorps haufiger ihren Einsatzort wechseln.«
»Ich bin eigentlich sehr glucklich hier auf Etla«, murmelte Stillman.
Danach gingen die beiden wenigstens drei?ig Schritte schweigend weiter, und Hewlitt begann sich bereits zu fragen, ob er eben etwas Beleidigendes gesagt haben konnte, als Stillman fortfuhr: »Die Kulturkontaktsituation auf diesem Planeten ist noch immer… nun ja, sehr interessant und auch ein wenig komplizierter als ublich, weil uns die Einheimischen hier kaum fremd sind. Wenn man es namlich mit einer vollig fremden intelligenten Spezies zu tun hat, dann werden bei eventuell auftretenden Mi?verstandnissen auf beiden Seiten rasch Zugestandnisse gemacht. Hier auf Etla versuchen wir hingegen, eine Zivilisation, die auf Abwege gebracht worden war, sowohl zu verstehen, als auch allmahlich umzuerziehen. Besser gesagt, sind die Etlaner von ihrem Imperator falsch informiert und zur Massenxenophobie aufgehetzt worden, um sich mit allen Mitteln gegen eine nicht existierende Bedrohung zu verteidigen. Also mu?ten wir erst einmal ihr Vertrauen gewinnen und ihnen beweisen, da? fremde intelligente Lebensformen nicht unbedingt besser oder schlechter sind als sie, sondern einfach nur anders.
Schon zu Ihrer Zeit auf Etla waren ganz bewu?t einige Extraterrestrier hier auf dem Stutzpunkt stationiert. Dahinter steckte die Idee, den etlanischen Fremdenha? abzuschwachen, indem wir gezeigt haben, da? Aliens Seite an Seite mit uns harmonisch leben und arbeiten konnen. Hin und wieder haben wir einige ETs zu sehr sorgfaltig vorbereiteten Besuchen offentlicher Veranstaltungen geschickt, naturlich stets in Begleitung verdeckt arbeitender Leibwachter. Zum Beispiel wohnten sie als Zuschauer wichtigen Sportveranstaltungen bei oder nahmen an Aussichtsfahrten teil, wobei sie zumeist selbst zur gro?ten Attraktion wurden. Am wichtigsten aber waren die Besuche von Schulen und die dort gefuhrten Gesprache mit den Kindern. Heute kommen auf jeden terrestrischen oder sonstigen Mitarbeiter des Stutzpunktpersonals drei Etlaner, so da? das Kulturkontaktprogramm sehr gro?e Fortschritte macht.Erschwert wird diese Arbeit allerdings durch den Umstand, da? die Etlaner, obwohl sie im Grunde sehr umgangliche und freundliche Wesen sind, uber einen enormen Stolz verfugen. Selbst ich vergesse manchmal, wie anders sie sind, so da? immer noch Mi?verstandnisse tagtaglich auftreten. Deshalb ist Shech-Rar auch alles andere als erfreut – und bei seinem naturlichen Mangel an Charme mogen sich seine Au?erungen etwas unwirscher anhoren, als sie gemeint sind -, da? ein so bunt gemischter Haufen wie der Ihre hier eine nicht genauer umrissene Untersuchung durchfuhrt und womoglich in volliger Verkennung der Situation auf diesem Planten uberall herumstromert.
Nehmen Sie das bitte nicht personlich«, fugte Stillman hinzu. »Sie haben namlich soeben eine knappe und leicht abgeanderte Zusammenfassung meiner Begru?ungsrede fur neu eingetroffenes Monitorkorpspersonal gehort.«
Hewlitt hielt es nicht fur angebracht, etwas darauf zu erwidern, zumal er horte, da? die anderen allmahlich von hinten aufruckten und augenscheinlich lieber zuhoren wollten, woruber er sich gerade mit Stillman unterhielt, als selbst miteinander zu reden.
Stillman lachte kurz auf und fuhr dann fort: »Wenn ein engagiert und erfolgreich arbeitender Korpsoffizier erst einmal das Vertrauen der Einheimischen gewonnen hat, sehen es seine Vorgesetzten naturlich gern, wenn er so lange wie moglich bleibt, um eine Kontinuitat dieses Prozesses zu gewahrleisten. Offenbar habe ich diesbezuglich eine ganz besondere Begabung an den Tag gelegt, denn schlie?lich habe ich eine Etlanerin geheiratet und bin sogar noch nach meiner Pensionierung auf diesem Planeten geblieben. Meine Frau ist naturlich auch der Grund, weshalb ich Ihnen eben gesagt habe, da? ich hier sehr gerne lebe.«
»Ich verstehe«, merkte Hewlitt an.
Stillman schien Hewlitts leichte Verlegenheit zu registrieren und sagte: »Keine Sorge, ich werde auf meine alten Tage schon nicht sentimental. Ich habe meine Frau bereits im zweiten Jahr hier auf Etla kennengelernt. Sie hat damals als das gearbeitet, was man hier als › Lehrmeisterin der Kinder ‹bezeichnet. Das sind etlanische Frauen, die die Vier- bis Siebenjahrigen unterrichten. Und meine Frau ist damals die erste Etlanerin gewesen, die sich damit einverstanden erklarte, ihre Klasse gemeinsam mit einem tralthanischen Lehrer zu unterrichten. Also ist sie schon zu jener Zeit davon uberzeugt gewesen, Kinder am besten moglichst fruhzeitig mit Aliens zu konfrontieren, damit sie erst gar nicht in die Versuchung geraten konnten, die Vorurteile ihrer Eltern zu ubernehmen. Meine Frau ist damals Witwe gewesen. Seinerzeit gab es hier furchtbar viele Witwen und Waisenkinder. Da wir logischerweise selbst keine Kinder kriegen konnten, haben wir vier adoptiert, bevor wir zu alt wurden, um… «
»Doktor Stillman?« rief Murchison, die gro?ere Schritte machte, bis sie die beiden eingeholt hatte. »Ich wei? zwar, da? die Natur der gemeinsamen Fortpflanzung unterschiedlicher Arten einen Riegel vorgeschoben hat, doch wenn Sie von einer Ausnahme wissen sollten, die die Regel bestatigt, konnte das eine Antwort auf einige ungeklarte medizinische Fragen sein. Vielleicht wurde dadurch auch alles nur noch verwirrender. Haben Sie schon mal von einem solchen Ausnahmefall gehort? Und wenn ja, ist es moglich, da? ein Elternteil von Hewlitt etlanisch oder er selbst vielleicht ein etlanisches Pflegekind gewesen ist?«
Stillman schuttelte den Kopf. »Tut mir leid. Ich wei? nur, da? seine Eltern immer kerngesund gewesen sind, und bei Hewlitts Geburt bin ich sogar dabeigewesen.«
»Das war auch nur so eine verruckte Idee«, entschuldigte sich Murchison und ballte die ausgestreckte Hand zur Faust. »Wenn man nicht mehr weiter wei?, greift man eben nach jedem hypothetischen Strohhalm.«
Hewlitt sagte weiterhin nichts. Zeitweilig hatte er sogar das merkwurdige Gefuhl, alles doppelt wahrzunehmen. Das Gras ging ihm bis zu den Huften, als ob er vier Jahre alt ware, die Baume und Busche waren nun hoher und dichter, aber auch er war gewachsen, und der Geruch der sonnengewarmten Vegetation und die surrenden Laute der Insekten waren genauso wie fruher. Lediglich die Entfernungen zwischen den Orientierungspunkten waren mit dem Alter geschrumpft.»Ich kann mich an all das hier sehr gut erinnern«, sagte er schlie?lich und zeigte dabei auf einen Busch. »An dieser Stelle habe ich mich etwas langer aufgehalten und gespielt.«
»Konnen Sie sich auch daran erinnern, ob Sie etwas gegessen haben?« erkundigte sich Murchison. »Irgendwelche Wildbeeren? Oder haben Sie vielleicht auf Grashalmen herumgekaut? Eventuell haben Sie namlich irgendein Gegengift zu sich genommen, durch das die Wirkung der toxischen Frucht, die sie dann spater gegessen haben, neutralisiert wurde.«
»Nein«, antwortete Hewlitt knapp und zeigte auf eine Hausruine. »Als nachstes bin ich da vorne bei dem zerstorten Gebaude gewesen. Ich wundere mich nur, da? es bis heute noch nicht abgetragen oder wiederaufgebaut worden ist. Mir kommt diese ganze Gegend noch immer wie die reinste Wildnis vor.«
Stillman blieb kurz stehen und machte eine weit ausladende Geste. »Man hat hier alles ganz bewu?t