Hewlitt lie? den flimmernd grauen Hyperraum au?erhalb des Sichtfensters nicht aus den Augen und wartete darauf, da? etwas Verhangnisvolles mit ihm passieren wurde. Die anderen blickte er lieber nicht an, denn sie beobachteten ihn und warteten auf das Eintreten desselben Ereignisses wie er, wahrend sie ihn anlachelten oder auf andere Weise Ermutigung auszustrahlen versuchten. Die Menge der Uberwachungsgerate, von denen er umgeben war, und die Anzahl der Sensoren, die an seinem Korper hafteten, waren namlich alles andere als ermutigend.
»Sie haben mir doch selbst gesagt, ich solle nie wieder irgendwelche Medikamente bekommen!« protestierte Hewlitt, als Murchison erneut eine Spritze auf seinen Oberarm richtete und ihm vollig schmerzfrei eine weitere Dosis verabreichte. »Jetzt scheinen Sie ja alles, was Sie auf Lager haben, an mir ausprobieren zu wollen. Verflucht noch mal, was soll das?«
Die Pathologin musterte ihn eine ganze Weile mit kritischem Blick, dann erst antwortete sie: »Wir haben unsere Meinung eben geandert. So, und wie fuhlen Sie sich jetzt?«
»Soweit ganz in Ordnung«, gab sich Hewlitt geschlagen. »Ich merke kaum eine Veranderung, abgesehen davon, da? ich etwas schlafrig bin. Wie sollte ich mich denn ihrer Ansicht nach fuhlen?«
»Nun, soweit ganz in Ordnung und ein bi?chen schlafrig eben«, erwiderte Murchison lachelnd. »Ich habe Ihnen ein leichtes Beruhigungsmittel gegeben. Es soll Ihnen helfen, sich ein wenig zu entspannen.«
»Sie wissen doch, was passiert ist, als Chefarzt Medalont versucht hat, mir ein Beruhigungsmittel zu geben«, wandte Hewlitt ein.
»Naturlich wei? ich das«, antwortete Murchison. »Aber wir haben speziell dieses und auch einige andere Medikamente an Ihnen in minimalen Dosen getestet, ohne irgendwelche Anzeichen einer hyperallergischen Reaktion feststellen zu konnen, wie es sonst der Fall war. Ich probiere jetztmal ein vollig neues Mittel aus, das den Arzten auf der Erde noch nicht zur Verfugung stand. Spuren Sie schon etwas?«
Hewlitt spurte lediglich den Luftzug von Priliclas Flugeln auf Gesicht und Brust, als der kleine Empath naher herangeflogen kam, aber ihm war klar, da? diese Sinnesempfindung fur die Pathologin nicht von Interesse war.
»Immer noch nichts«, antwortete er, doch dann korrigierte er sich rasch: »Nein, Moment mal! Die ganze Gegend wird taub. Was passiert da?«
»Nichts, woruber Sie sich Sorgen machen mu?ten«, beruhigte ihn die Pathologin mit einem Lacheln. »Dieses Mal teste ich an Ihnen ein Lokalanasthetikum. Den Sensoren zufolge sind Ihre Lebenszeichen optimal. Aber bemerken Sie vielleicht irgendwelche anderen Symptome? Einen leichten Juckreiz auf der Haut, ein allgemeines Unwohlsein oder andere, moglicherweise rein subjektive Empfindungen, die Ihrem Unterbewu?tsein eine Art Fruhwarnung vor auftretenden Beschwerden signalisieren?«
»Nein«, erwiderte Hewlitt.
Prilicla gab ein leises Trallern von sich, das nicht ubersetzt wurde, dann sagte er: »Der Patient verhalt sich sehr hoflich, weil er mit aller Kraft versucht, seine heftigen Gefuhle von Neugier, Sorge, Verwirrung und Wut im Zaum zu halten. Vielleicht wurde die Befriedigung der Neugier die Intensitat der anderen drei Gefuhlsregungen auf ein ertragliches Ma? abschwachen. Falls Sie also Fragen haben, Freund Hewlitt, dann kann ich Sie Ihnen jetzt gern beantworten.«
»Sie wissen ganz genau, da? wir alle Fragen an Sie haben, Doktor Prilicla«, sagte sie, wobei sie Danalta und Naydrad und dann wieder Prilicla anblickte. »Warum veranstalten Sie eigentlich diesen ganzen Wirbel um einen ehemaligen Patienten, der bereits vor einem Vierteljahrhundert gestorben ist? Wozu haben Sie Vorsichtsma?nahmen vor einer speziesubergreifenden Infektion angeordnet, obwohl wir wissen, da? so etwas unmoglich ist? Warum diese ubersturzte Ruckkehr zum OrbitHospital, und wozu soll diese Testreihe dienen, die Sie fur Patient Hewlitt angeordnet haben?«
»Genau das waren auch meine Fragen gewesen«, bemerkte Hewlitt trocken.
Prilicla trudelte auf das Deck herab – vielleicht bereitete er sich so auf eine Woge emotionaler Ausstrahlungen vor, die ihm das Fliegen erschweren wurden, und antwortete dann: »Nun, beim Krankheitsverlauf der Patienten Lonvellin und Hewlitt gibt es gewisse Parallelen, insbesondere was die anfangliche negative Reaktion und nachfolgende Akzeptanz auf die medikamentose Behandlung betrifft. Naturlich ist es durchaus moglich, da? ich falsch liege und die Ahnlichkeiten rein zufallig sind, aber so oder so mu? ich Bescheid wissen, bevor wir das Krankenhaus erreichen. Freund Hewlitt steht fur Untersuchungen zur Verfugung, aber Lonvellin bedauerlicherweise nicht.«
Murchison schuttelte den Kopf. »Vielleicht nicht personlich, aber wenn Sie einen direkten Vergleich brauchen, warum rufen Sie dann nicht einfach seine aufgezeichnete Krankenakte ab?«
»Im Verlauf der etlanischen Bombardierung wurde der Zentralcomputer des Orbit Hospitals zusammen mit dem kompletten Ubersetzungscomputersystem fur samtliche ET-Sprachen zerstort, wobei auch Lonvellins Aufzeichnungen zunichte gemacht wurden, so da? … «
»An den Totalausfall des Zentralcomputers kann ich mich auch noch erinnern«, seufzte Murchison mit einer Stimme, die darauf schlie?en lie?, da? es sich dabei um ein au?erst unangenehmes Erlebnis gehandelt haben mu?te. »An einen Patienten namens Lonvellin hingegen uberhaupt nicht.«
»…so da? alles, was wir uber seinen Fall noch wissen, allenfalls die schwachen Erinnerungen der Diagnostiker Conway und Thornnastor und auch von mir sind«, fuhr Prilicla fort. »Schlie?lich haben wir drei direkt mit seiner Behandlung zu tun gehabt. Da er als geheilt entlassen wurde und sein nachfolgender Tod in keinerlei Zusammenhang mit seiner Behandlung im Orbit Hospital stand, haben wir damals auch keinen Anla? gesehen, seine Krankengeschichte erneut aufzuzeichnen. Au?erdem brauchen Sie sichkeinen Vorwurf zu machen, da? Sie sich nicht an Lonvellin erinnern konnen, Freundin Murchison. Zu der Zeit sind Sie erst im letzten Ausbildungsjahr gewesen und noch langst keine Pathologieexpertin. Au?erdem hatten Sie noch keine Ahnung, da? Sie die Lebensgefahrtin des damaligen Chefarztes Conway werden wurden, obwohl ich mich noch sehr gut an Ihre emotionale Ausstrahlung erinnern kann, wenn Sie beide aufgrund des Dienstplans zusammen in einem Raum arbeiten mu?ten und…«
»Unsere emotionale Ausstrahlung ist damals sicherlich unser Berufsgeheimnis gewesen«, unterbrach ihn Murchison, die selbst nach so vielen Jahren sichtlich nervos wirkte.
»Wohl kaum«, widersprach Prilicla, »denn Ihre emotionale Ausstrahlung war damals im Hospital so gut wie jedem bekannt. Daruber hinaus strahlte jeder terrestrische mannliche Mitarbeiter der Klassifikation DGBD in Ihrer Gegenwart ahnliche Gefuhle aus, auch wenn diese durch Neid ersetzt wurden, als Sie und Conway sich offiziell vermahlt haben. Na ja, und von Lonvellin werden Sie hochstwahrscheinlich, Ms uberhaupt, nur am Rande erfahren haben. Wenn Sie mit Conway mal allein zusammen waren, haben Sie die Zeit bestimmt nicht mit ausgiebigen Diskussionen uber irgendwelche Patienten verbracht, nicht wahr?«