untersucht, da sich die Virenkreatur aber vom ethischen Standpunkt her in einer merkwurdigen Grauzone aus intelligentem Wesen und parasitarer Krankheit bewegte, kam man dem Wunsch des EPLH nach. Nach seiner Genesung begaben sich Lonvellin und sein Leibarzt zum Seuchenplaneten Etla, wo er und sein Schiff in einer atomaren Wolke schlie?lich verdampften. Damals waren sich alle sicher gewesen, da? die Virenkreatur mit seinem Wirtswesen gemeinsam umgekommen war. Das jedenfalls war der Wissensstand, als man auf dem Diagnostikertreffen beschlo?, die Rhabwar nach Etla zu schicken, weil man dort eine Erklarung fur die mysteriosen Hewlitt-Morredeth-Vorkommnisse zu finden hoffte, auch wenn niemand erwartet hatte, da? die Mission des medizinischen Teams tatsachlich von Erfolg gekront werden wurde.»… aber jetzt wissen wir, da? Lonvellin die Moglichkeit eines todlichen Angriffs vorhergesehen hat und deshalb die notwendigen Vorkehrungen traf, seinem intelligenten Symbionten ein Weiterleben zu ermoglichen«, fuhr Prilicla fort. »Zwischen den beiden fand zwar nur ein begrenzter Informationsaustausch statt, aber ich nehme an, da? die Schiffssensoren einen unmittelbar bevorstehenden Nuklearschlag meldeten. Die furchtbare Erkenntnis, da? sein ungeheuer langes Leben kurz vor dem Ende stand, loste bei Lonvellin einen heftigen emotionalen Schock aus, der die Virenkreatur aus dem Wirtskorper hinaustrieb, um in den kleinen Uberlebenscontainer der Rakete zu fluchten. Der Offnungsmechanismus des Containers war mit einer auf hundert Standardjahre eingestellten Zeitschaltuhr ausgestattet, weil Lonvellin gehofft hatte, da? dann beim Freiwerden des Inhalts sowohl der Krieg als auch die Fremdenfeindlichkeit der etlanischen Bevolkerung langst vergessen sein wurden. Aber der nukleare Einschlag mu? bereits Sekunden nach dem Abheben der Fluchtrakete stattgefunden haben, die daraufhin vorzeitig absturzte. Schlie?lich wurde die Virenkreatur durch ein terrestrisches Kind, das von einem Baum herab direkt auf den Container fiel, vorzeitig aus ihm befreit.«

»Du meine Gute! Ist das Ihr Ernst?« rief Hewlitt in einer Mischung aus Staunen und Entsetzen, wobei er gleichzeitig uber alle Ma?en erleichtert war und laut lachen mu?te. Endlich war eine Erklarung fur seine lebenslange Hypochondrie gefunden worden, so abwegig sich diese auch anhoren mochte. »Wollen Sie mir damit etwa sagen, da? ich nie richtig krank gewesen bin, sondern all die Jahre nichts anderes als einen Leibarzt in mir stecken hatte?«

23. Kapitel

»Richtig«, antwortete Prilicla, »aber ich bin mir meiner Sache erst ziemlich sicher gewesen, als ich das, was Ihnen als Kind mit Ihren Milchzahnen widerfahren ist, mit Lonvellins Schuppen in Verbindung gebracht habe. Wenn wir nun samtliche Geschichten, die Sie uns erzahlt haben, als wahr akzeptieren, dann mussen wir Ihre Aussagen vollig neu bewerten und noch einmal alles von Anfang an durchgehen. Lassen Sie mich also laut nachdenken:

Als Sie auf diesen Baum geklettert sind, die giftige Frucht gegessen haben und in die Schlucht gefallen sind, hatten Sie sterben mussen, und das in zweifacher Hinsicht. Einmal hochstwahrscheinlich aufgrund des schweren Sturzes aus dieser gewaltigen Hohe und spatesten an der Menge des Giftes, das Sie zu sich genommen haben. Statt dessen sind Sie aber auf dem kleinen Plastikcontainer gelandet, der daraufhin zerbrach, so da? die Virenkreatur in Ihren verwundeten Korper eindringen konnte. Als das Wesen feststellte, da? Sie, obwohl Ihr Korper kurz vor dem Verenden war, einen geeigneten Wirt abgaben, hielt es Sie am Leben, reparierte die physischen Schaden und stimulierte den naturlichen Entgiftungsmechanismus Ihres Korpers. Da? ihm das alles so schnell gelingen konnte, liegt vermutlich daran, da? Ihre Korpermasse damals etwa nur ein Zwanzigstel seines vorhergehenden Wirts betrug. Wie und warum die Virenkreatur so gehandelt hat, konnen wir erst dann beantworten, wenn wir mit dem Wesen eine Kommunikationsmethode entwickelt haben, die uber die Empathie hinausgeht.

Spontan wurde ich behaupten, da? die Virenkreatur ohne einen Wirtskorper nicht lange allein existieren kann, da? sein Uberleben also davon abhangt, ein moglichst gro?es und voraussichtlich langlebiges Wesen zu finden. Um den Wirtskorper bei optimaler Gesundheit zu erhalten, holt es sich aus dem genetischen Zellenmaterial die notwendigen Informationen und verlangert so automatisch auch sein eigenes Leben. Aber unser Wunderdoktor ist nicht unfehlbar. Zum Beispiel ist ihm nicht klar gewesen,da? der Zustand eines Wirtskorpers nicht unter allen Umstanden aufrecht erhalten werden darf, weil gewisse Veranderungen vollig naturlich und sogar gesundheitsfordernd sind. Lonvellins Problem mit der alternden Schuppenhaut, die er nicht absto?en konnte, und Ihre Milchzahne, die nicht herausfallen wollten, sowie Ihre lange Geschichte allergischer Reaktionen auf samtliche medikamentose Behandlungsformen beweisen das.

Daruber hinaus gibt es Anzeichen, da? die Virenkreatur zeitweilig sogar die Kontrolle uber den Wirt ubernimmt«, fuhr Prilicla fort und hielt eine Weile inne.

Einen Augenblick lang glaube Hewlitt, da? der Empath den anderen Anwesenden auf diese Weise die Moglichkeit bieten wollte, sich zu seinen Thesen zu au?ern, doch sagte niemand einen Ton. Also legte er wahrscheinlich nur eine Kunstpause ein, um die passenden Worte zu finden oder auch nur um sein Sprechorgan zu schonen.

»Zum Beispiel gab es da diesen Zwischenfall mit der verletzten Katze«, fuhr er schlie?lich fort. »Ihre emotionale Bindung zu diesem Tier war so stark, da? Sie es sogar mit ins Bett genommen haben, weil sie in Ihrem kindlichen Glauben hofften, es auf diese Weise heilen zu konnen. Ihr Bedurfnis, da? die Katze wieder gesund werden wurde, mu? derart uberwaltigend gewesen sein, da? sich die Virenkreatur dazu veranla?t sah, in die Katze einzudringen, um deren Verletzungen zu kurieren und deren Gesundheit uber Nacht vollig wiederherzustellen. Erst danach kehrte sie dann in den ihres Wissens nach langlebigeren Wirtskorper zuruck.

Viele Jahre spater haben Sie sich dann hier im Orbit Hospital mit Patientin Morredeth angefreundet. Weil die Kelgianerin aufgrund des beschadigten Fells fur den Rest ihres Lebens unendliche seelische Qualen hatte ertragen mussen, empfanden Sie ebenfalls tiefes Mitleid fur sie, und als sie mit ihr in Korperkontakt kamen, passierte dasselbe.«

»Aber das war doch keine Absicht!« protestierte Hewlitt. »Das war purer Zufall, und ich habe mich lediglich mit den Handen an ihrem Fell festgehalten.«

»Auch wenn die Verletzung von Morredeth aus medizinischer Sicht ganzharmlos war, so wurde ihr Korper praktisch vollig runderneuert, das hei?t, von der Verunstaltung des Fells war uberhaupt nichts mehr zu sehen. Ahnlich ist es zwar auch mit Ihrer Katze gewesen, doch im Gegensatz zu damals ist die Virenkreatur nach der Heilung der Patientin nicht in Ihren Korper zuruckgekehrt. Und warum nicht?«

Da es sich um eine rhetorische Frage handelte, sagte niemand einen Ton.

»Fur jeden Organismus ist es ganz naturlich, da? er sich weiterentwickelt«, fuhr Prilicla schlie?lich fort. »Und fur einen intelligenten Organismus ist es daruber hinaus ganz naturlich, zu lernen und neue Herausforderungen zu suchen. Ich bin mir sicher, da? sich auch Lonvellins ehemaliger Leibarzt im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts weiterentwickelt hat. Vielleicht trat diese Veranderung als Folge der Nuklearexplosion ein, obwohl normalerweise nur ein organisches Wachstum damit einhergeht. Genauso gut konnte es sich um einen normalen Evolutionsproze? handeln, wie auch immer ein solcher Vorgang bei einer Ansammlung von Viren aussehen mag. So oder so deutet alles daraufhin, da? das Wesen sowohl seine Sinne in empathischer Richtung als auch hinsichtlich seiner Reaktionen auf au?ere Einflusse gescharft hat. Ganze drei Milchzahne weigerten sich herauszufallen. Die nachfolgenden Zahne verhielten sich vollig normal, und viele der spateren Krankheiten waren nur vorubergehend und tauchten nie wieder auf. Dies fuhrte, wie wir heute wissen, falschlicherweise zu der Annahme, da? Ihre Krankheitssymptome einer

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