»Auch wenn ich hier der Krankenhausgeistliche bin, so habe ich doch Schwierigkeiten damit, irgendein Vorkommnis, selbst wenn es einem hin und wieder vollig unerklarlich vorkommen mag, als ubernaturlich anzusehen. Da ich aber zu dem Zeitpunkt noch nichts von der Existenz dieser intelligenten Virenkreatur wu?te, begann selbst ich allmahlich an Wunder zu glauben. Morredeths Verhalten nach ihrer Heilung kann man wirklich nicht mehr als ganz normal bezeichnen, weil sie vor Freude undErleichterung fast durchgedreht zu sein schien. Ich hatte die beschadigte Stelle ihres Fells schon zuvor einmal beruhrt oder, besser gesagt, leicht gestreichelt, um ihr Trost zu spenden. Als Morredeth wieder gesund war, bestand sie aber darauf, die Freude mit ihr zu teilen, indem ich die Beweglichkeit ihres wiederhergestellten Fells mit meinen Handen selbst uberprufen sollte. Dabei mu? es passiert sein.
Das Fell war wirklich ungeheuer beweglich, und zwar so sehr, da? sich lange Buschel davon um meine Finger wickelten. Einen Augenblick lang wurde eine meiner mittleren Hande fest gegen die Haut gepre?t, und ich hatte Angst, mich loszurei?en, weil ich befurchtete, dabei einige Strahnen des nachgewachsenen Fells herauszurei?en. Danach habe ich zwar bemerkt, da? meine Handflache feucht war, doch war ich mir nicht sicher, ob es sich dabei um meinen eigenen oder um den Schwei? der Patientin handelte. Naturlich hatte ich erst recht keine Ahnung, da? eine solch plotzlich auftretende Feuchtigkeit mit demUbertragungsmechanismus dieser Kreatur in Verbindung stehen konnte. Sekunden spater zog ich meine Hand ohne Probleme von ihrem Fell zuruck, begluckwunschte Patientin Morredeth zu ihrer Heilung und machte mich dann auf den Weg zu anderen Patienten.«
»Haben Sie denn sonst nichts gespurt?« erkundigte sich Hewlitt, bevor jemand anders etwas sagen konnte. »Ich meine, haben Sie sich irgendwie besser gefuhlt oder gesunder oder zumindest irgendwie anders? Oder haben Sie gar keine Veranderungen wahrgenommen?«
O'Mara warf Hewlitt einen murrischen Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Lioren zuwandte und knurrte: »Das waren auch meine Fragen gewesen. Also, wie sieht's damit aus, Padre?«
»Ich kann mich an keine ungewohnlichen Gefuhle erinnern«, antwortete Lioren. »Das Gefuhl, das ich jetzt in unmittelbarer Nahe zu einem Exwirt der Virenkreatur empfinde, wurde damals vielleicht durch meine Erleichterung und Freude uber Morredeths Heilung in den Hintergrund gedrangt. Was meine Gesundheit angeht, so ist diese sowieso ganz hervorragend, und deshalb kann ich mich korperlich kaum besser fuhlen.Was allerdings meinen seelischen Gesundheitszustand betrifft, so bin ich mir da weniger sicher, und anscheinend sind die Heilfahigkeiten unseres Leibarztes auf diesem Gebiet stark begrenzt.«
Hewlitt fragte sich, welches psychologische Problem ein solch integres und selbstloses Wesen, dessen Beliebtheitsgrad bei den Patienten und dem Krankenhauspersonal nur noch durch Prilicla ubertroffen wurde, beschaftigen konnte. Noch wahrend er uberlegte, ob er sich trauen sollte, diese Frage zu stellen, wurde die Antwort darauf von dem Chefpsychologen hochstpersonlich geliefert.
»Padre, Sie sind von jeder Schuld am Tod der Cromsaggi freigesprochen worden, und ich hoffe, da? Ihr Unterbewu?tsein dieses Urteil endlich mal akzeptiert. Aber wo wir gerade bei diesem Thema sind: Auf Cromsag sind Sie ernsthaft verletzt worden und mu?ten von einem Schiffsarzt operiert werden, der mit der tarlanischen Physiologie nicht sonderlich gut vertraut war, so da? Sie einige kleine Narben zuruckbehalten haben. Sind die noch sichtbar?«
»Das wei? ich nicht, weil ich mir meinen Korper nur sehr selten genauer ansehe. Narzi?mus ist fur uns Tarlaner ein Fremdwort. Soll ich meinen Mantel ablegen?«
»Ja, das ware wohl angebracht«, forderte ihn O'Mara auf.
Zwei von Liorens mittleren Handen tauchten aus Schlitzen seines langen, blauen Mantels hervor und machten sich daran, die Verschlusse zu offnen.
Hewlitt war das etwas peinlich. Er blickte hilfesuchend zu Prilicla, der direkt neben ihm schwebte, und flusterte zu ihm hoch: »Soll ich mich umdrehen?«
»Nein, Freund Hewlitt«, beruhigte ihn der Empath. »Tarlaner konnen mit dem terrestrischen Nacktheitstabu uberhaupt nichts anfangen, und der blaue Mantel, den er tragt, ist zum einen ein Symbol fur seinen Beruf und seine akademische Wurde, und zum anderen verbergen sich darin etliche Innentaschen. Und jetzt sehen Sie genau hin. Freund Lioren hat sich mehrmals umgedreht, und ich habe keine einzige Narbe entdeckenkonnen.«
»Weil es offensichtlich keine mehr gibt«, stellte Lioren verdutzt fest, wobei sich seine vier Augen nach unten bogen und an ihren Stielen wie reife Fruchte baumelten. »Die Operation ist damals trotz der gebotenen Eile sehr ordentlich durchgefuhrt worden, so da? die Narben kaum zu sehen waren, aber jetzt sind sie sogar vollig verschwunden.«
O'Mara nickte. »Augenscheinlich hat unser kleines Virus seine ubliche Visitenkarte hinterlassen: einen perfekt geheilten und gesunden Korper. Das ist genau die Bestatigung, die wir brauchen, um zu wissen, da? Sie ein Wirt gewesen sind, und vielleicht sind Sie es sogar immer noch.« Der Major blickte zu Prilicla hinauf. »Na, was ist? Ist unser kleiner Hausarzt noch in seiner Praxis oder schon auf dem Weg zu einem anderen Patienten?«
»Offenbar ist er nicht mehr da«, antwortete der Empath. »Vom Padre geht nur eine Quelle emotionaler Ausstrahlungen aus, und diese stammt von ihm selbst. Falls eine andere Intelligenz anwesend ware, wurde ich sie bei dieser kurzen Entfernung auf jeden Fall bemerken.«
»Sind Sie sich wirklich sicher?« hakte O'Mara nach. »Demnach gehen Sie also davon aus, da? Sie dieses Wesen immer entdecken wurden, ungeachtet der Spezies seines Wirtskorpers, richtig?«
»Ja, Freund O'Mara. Ich kame gar nicht darum herum. Auf emotionaler Ebene konnte es seine Gegenwart vor mir niemals verbergen, genausowenig wie es mir entgehen wurde, wenn Ihnen ein zweiter Kopf wuchse …«
O'Mara lachelte tatsachlich zum ersten Mal. »In diesem medizinischen Irrenhaus konnte das durchaus von Vorteil sein.«
»…bei einer Person wie Freund Conway, der gleichzeitig uber den Verstand von acht oder neun verschiedenen Wesen zu verfugen glaubt, bin ich mir allerdings weniger sicher«, fuhr der Empath fort. »Dadurch wird die emotionale Ausstrahlung ziemlich verworren, so da? ihr ein gewisser Zweifel anhaftet.«
»Diagnostiker Conway ist auf gar keinen Fall ein ehemaliger Wirt«,mischte sich Hewlitt ein.
»Dem kann ich nur voll und ganz zustimmen«, pflichtete ihm Lioren bei.
»Da bin ich aber heilfroh!« seufzte Murchison erleichtert und lachte. »Mit einem mehrfach geistig abwesenden Mann verheiratet zu sein ist schon schlimm genug.«
Der Chefpsychologe klopfte einmal ungeduldig mit der Hand auf den Schreibtisch. »Wir schweifen vom Thema ab. Aus naheliegenden Grunden mussen wir das Aufspuren des gegenwartigen Aufenthaltsortes dieser Kreatur als eine Angelegenheit von hochster Dringlichkeit behandeln… «