Freitagabend erschien der aufgeregte Produzent in Tobys Heim und wurde vom Butler empfangen.

»Hier entlang, bitte, Sir«, sagte der Butler. Er fuhrte den Produzenten in eine gro?e Garderobe, in der sich Kleidungsstucke, Damenwasche, Unterhosen, Hemden, Krawatten und Jacketts, auf den Stuhlen hauften. »Sie konnen hier ablegen. Die Herrschaften sind im Salon.«

Der Produzent zog sich hastig aus. Vom Salon her konnte er schwatzende und lachende Manner- und Frauenstimmen vernehmen. Nackt tippelte er durch die Halle, stie? die Salontur auf und trat ein. Er sah sich hundert Gasten in Abendkleidung gegenuber.

Eines Tages, als Toby einen Fahrstuhl verlie?, drehte er sich zu einem aufgeblasenen Hauptabteilungsleiter einer Fernsehgesellschaft um und fragte: »Ubrigens, Peter, wie haben Sie das eigentlich geschafft, aus dem Sittenprozess herauszukommen?« Die Fahrstuhltur schloss sich, und der Abteilungsleiter blieb mit einem halben Dutzend Leuten zuruck, die ihn misstrauisch musterten.

Als es wieder soweit war, uber einen neuen Vertrag zu verhandeln, lie? sich Toby einen abgerichteten Panther ins Studio liefern. Toby offnete die Tur des Buros von Sam Winters, der mitten in einer Besprechung war.

»Mein Agent mochte Sie sprechen«, sagte Toby. Er scheuchte den Panther ins Buro und schloss die Tur.

Wenn Toby spater die Geschichte erzahlte, behauptete er, dass drei von den Burschen im Buro beinahe einen Herzschlag bekommen hatten und es einen Monat gedauert hatte, bis der Gestank des Pantherurins aus dem Zimmer verflogen war.

Toby hatte einen Stab von zehn Textern, an der Spitze O'Hanlon und Rainger. Toby norgelte standig uber das ihm gelieferte Material. Einmal verpflichtete Toby eine Prostituierte in sein Autorenteam. Als er erfuhr, dass seine Texter die meiste Zeit im Schlafzimmer zubrachten, musste er das Madchen rauswerfen. Ein anderes Mal brachte Toby einen Leierkastenmann und dessen Affen zu einer Drehbuchbesprechung mit. Es war demutigend und erniedrigend, aber O'Hanlon und Rainger und die anderen Autoren schluckten es, weil Toby ihre Ideen in reines Gold verwandelte. Er war der Beste im Geschaft.

Toby war freigebig bis zur Verschwendung. Er beschenkte seine Angestellten und Freunde mit goldenen Uhren und Zigarettenanzundern oder mit kompletten Garderoben und Europareisen. Er hatte immer eine Unmenge Geld bei sich und zahlte alles bar, sogar zwei Rolls-Royces. Er hatte ein weiches Herz. Jeden Freitag stellten sich ein Dutzend Schmarotzer bei ihm ein. Einmal sagte Toby zu einem von ihnen: »He, was suchen Sie denn heute hier? Ich habe doch gerade in Variety gelesen, dass Sie ein Engagement bekommen haben.« Der Mann sah Toby an und erwiderte: »Verdammt, habe ich nicht zwei Wochen Kundigungsfrist?«

Es kursierten unzahlige Geschichten uber Toby, und fast alle entsprachen der Wahrheit. Einmal kam wahrend einer Besprechung einer der Autoren zu spat, eine unverzeihliche Sunde. »Es tut mir leid, dass ich zu spat komme«, entschuldigte er sich. »Mein Junge ist heute fruh uberfahren worden.«

Toby sah ihn an und fragte: »Haben Sie die Texte fertig?« Alle Anwesenden waren emport. Nach der Sitzung sagte einer der Autoren zu O -Hanlon: »Das ist der kalteste Schweinehund auf der ganzen Welt.«

Toby lie? einen der besten Gehirn-Chirurgen einfliegen, um den verungluckten Jungen zu operieren, und bezahlte samtliche Krankenhausrechnungen. Zum Vater sagte er: »Wenn Sie irgend jemand etwas davon erzahlen, fliegen Sie raus.«

Arbeit war das einzige, was Toby seine Einsamkeit vergessen lie?, das einzige, was ihm echte Freude bereitete. War eine Show ein Erfolg, war Toby der amusanteste Mensch auf der Welt, lief jedoch etwas schief, war er unausstehlich und machte jeden zur Zielscheibe seiner Wut. Er musste alles besitzen. Einmal nahm er wahrend einer Besprechung Raingers Kopf zwischen seine Hande und rief den Anwesenden zu: »Das ist meiner. Er gehort mir.«

Gleichzeitig wuchs sein Hass auf die Autoren, weil er sie brauchte, aber auf niemanden angewiesen sein wollte. Deshalb strafte er sie mit Verachtung. Am Zahltag machte er Papierflieger aus ihren Schecks und lie? sie herumsegeln. Beim geringsten Lapsus warf er sie hinaus. Eines Tages erschien ein Autor sonnengebraunt, und Toby entlie? ihn sofort. »Warum denn?« fragte ihn O'Hanlon. »Er ist einer unserer besten Schreiber.«

»Hatte er gearbeitet«, antwortete Toby, »ware er nicht braungebrannt.«

Ein neuer Autor brachte einen Witz uber Mutter und musste gehen.

Wenn ein Gast in seiner Show einen Lacherfolg hatte, pflegte Toby auszurufen: »Sie sind phantastisch! Ich hatte Sie am liebsten jede Woche in meiner Show.« Er warf dem Regisseur einen Blick zu und sagte: »Verstanden?«, und der Regisseur wusste, dass der Schauspieler nie mehr in Tobys Show auftreten durfte.

Toby vereinte in sich eine Unzahl von Widerspruchen. Er war eifersuchtig auf den Erfolg anderer Komiker, und trotzdem geschah folgendes: Eines Tages, als Toby die Probebuhne verlie?, kam er an der Garderobe eines alten Komikers vorbei, der einst ein Star gewesen war, mit dessen Karriere es jedoch langst bergab ging, Vinnie Turkei. Vinnie war fur seine erste dramatische Rolle in einem Live-Fernsehspiel verpflichtet worden. Er hoffte auf ein Comeback. Als Toby in seine Garderobe guckte, sah er Vinnie betrunken auf der Couch liegen. Der Regisseur der Show kam vorbei und sagte zu Toby: »Kummern Sie sich nicht um ihn, Toby. Er ist erledigt.«

»Was ist passiert?«

»Nun, Sie wissen, dass Vinnie fur seine hohe, tremolierende Stimme beruhmt war. Wir begannen mit den Proben, und jedesmal, wenn Vinnie den Mund offnete und ernst zu sein versuchte, fingen alle an zu lachen. Das gab dem armen Alten den Rest.«

»Er hat mit seiner Rolle gerechnet, nicht wahr?« fragte Toby.

Der Regisseur zuckte die Schultern. »Jeder Schauspieler rechnet mit jeder Rolle.«

Toby nahm Vinnie Turkei mit nach Hause und blieb bei dem alten Komiker, bis er nuchtern war. »Das ist die beste Rolle, die Sie je in Ihrem Leben gehabt haben. Wollen Sie die Sache schmei?en?«

Vinnie schuttelte unglucklich den Kopf. »Ich habe sie schon geschmissen, Toby. Ich krieg's nicht hin.«

»Wer sagt das?« fragte Toby. »Sie konnen diese Rolle besser spielen als irgendein anderer.«

Der alte Mann schuttelte den Kopf. »Sie haben uber mich gelacht.«

»Na klar. Und wissen Sie, warum? Weil Sie sie Ihr Leben lang zum Lachen gebracht haben. Sie erwarten einfach von Ihnen, dass Sie komisch sind. Aber wenn Sie bei der Stange bleiben, werden Sie gewinnen. Sie werden sie uberwaltigen.«

Toby verbrachte den ganzen Nachmittag damit, Vinnies Selbstvertrauen wiederherzustellen. Abends rief er den Regisseur zu Hause an. »Turkei ist wieder in Ordnung«, sagte er. »Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen.«

»Ich wei?«, erwiderte der Regisseur. »Ich habe ihn ersetzen lassen.«

»Machen Sie's ruckgangig«, sagte Toby. »Sie mussen ihm eine Chance geben.«

»Das Risiko kann ich nicht eingehen, Toby. Er wird sich wieder betrinken und -«

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, unterbrach ihn Toby. »Lassen Sie ihn drin. Wenn Sie ihn auch nach der Kostumprobe nicht mehr wollen, werde ich seine Rolle ubernehmen, und zwar umsonst.«

Es gab eine Pause, dann fragte der Regisseur: »Ist das Ihr Ernst?«

»Darauf konnen Sie Gift nehmen.«

»Gemacht«, sagte der Regisseur rasch. »Bestellen Sie Vinnie, dass er morgen fruh um neun zur Probe kommen soll.«

Als das Fernsehspiel gesendet wurde, war es der Schlager der Saison. Und es war Vinnie Turkei, der von den Kritikern in den Himmel gehoben wurde. Er gewann jeden Preis, den das Fernsehen zu vergeben hatte, und eine neue Karriere als dramatischer Schauspieler eroffnete sich ihm. Als er Toby als Zeichen seiner Dankbarkeit ein kostbares Geschenk sandte, schickte Toby es mit einem kurzen Brief zuruck: »Nicht ich, Sie waren der Darsteller.« Das war Toby Temple.

Einige Monate spater verpflichtete Toby Vinnie Turkei fur einen Sketch in seiner Show. Vinnie ubertrieb in einem von Tobys Lacherfolgen, und augenblicklich gab Toby ihm die falschen Stichworter, machte seine Witze kaputt und demutigte ihn vor vierzig Millionen Zuschauern.

Auch das war Toby Temple.

Als O'Hanlon einmal gefragt wurde, wie Toby Temple nun wirklich sei, antwortete er: »Erinnern Sie sich an den Film, in dem Charlie Chaplin den Millionar kennenlernt? Ist der Millionar betrunken, ist er Charlies Kumpel. Ist er nuchtern, wirft er ihn mit einem Tritt in den Hintern raus. Das ist Toby Temple – nur ohne Alkohol.«

Wahrend einer Zusammenkunft mit den leitenden Mannern einer Fernsehgesellschaft sprach einer der Jungeren kaum ein Wort. Hinterher sagte Toby zu Clifton Lawrence: »Ich glaube, er kann mich nicht leiden.«

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