zuruckzuhalten. Nach der Vorstellung wurden Toby und Jill zu ihrer Limousine geleitet, als plotzlich die Menge die Polizeikette durchbrach und Hunderte von Franzosen sie besturmten: »Toby, Toby… on veut Toby!« Sie streckten ihm Kugelschreiber und Autogrammbucher entgegen und drangten nach vorn, um den gro?en Toby Temple und seine gro?artige Jill zu beruhren. Die Polizei war nicht in der Lage, sie zuruckzuhalten; die Menge fegte sie beiseite, riss an Tobys Kleidern und kampfte um ein Souvenir. Toby und Jill wurden beinahe erdruckt, aber Jill hatte keine Angst. Dieser Tumult war eine Huldigung fur sie. Sie hatte diesen Menschen Toby zuruckgegeben.
Die letzte Station ihrer Reise war Moskau.
Moskau im Juni ist eine der reizvollsten Stadte der Welt. Graziose wei?e Birken, umgeben von gelben Blumenrabatten, saumen die breiten Boulevards, auf denen Einheimische und Besucher im Sonnenschein flanieren. Es ist die Saison der Touristen. Abgesehen von offiziellen Besuchern werden alle Touristen in Ru?land durch Intourist betreut, der von der Regierung kontrollierten Agentur, die Verkehrsverbindungen, Hotelunterkunfte und gelenkte Stadtrundfahrten arrangiert. Aber auf Toby und Jill wartete auf dem Internationalen Flughafen von Scheremetjewo eine gro?e Limousine, die sie ins Metropol Hotel fuhr, das sonst nur fur VIPs aus den Satellitenstaaten reserviert ist.
General Juri Romanowitsch, ein hoher Parteifunktionar, kam ins Hotel, um sie willkommen zu hei?en. »Wir zeigen nicht viele amerikanische Filme in Ru?land, Mr. Temple, aber Ihre Filme sind hier oft gelaufen. Das russische Volk ist der Meinung, dass es fur das Genie keine Grenzen gibt.«
Toby war fur drei Vorstellungen im Bolschoitheater engagiert worden. Am Eroffnungsabend wurde Jill in den Beifall mit einbezogen. Wegen der Sprachgrenze brachte Toby den gro?ten Teil seines Auftritts als Pantomime, und das Publikum war hingerissen. Er hielt eine Hetzrede in seinem Pseudo-Russisch, und ihr Lachen und ihr Applaus hallten in dem riesigen Theater wie eine Liebeserklarung wider.
An den nachsten beiden Tagen begleitete General Romanowitsch To-by und Jill auf privaten Stadtrundfahrten. Sie besuchten den Gorki-Park, fuhren auf dem Riesenrad und besichtigten die historische Sankt Basilius Kathedrale. Sie wurden in den Moskauer Staatszirkus gefuhrt, und es wurde ein Bankett fur sie gegeben, wo ihnen der goldene Kaviar, der seltenste von acht Kaviarsorten, serviert wurde.
Am Nachmittag vor Tobys letztem Auftritt machten sich die Temples fur einen Einkaufsbummel fertig. Toby sagte: »Warum gehst du nicht allein, Baby? Ich glaube, ich werde mich eine Weile hinlegen.«
Jill sah ihn einen Augenblick forschend an. »Fuhlst du dich nicht wohl?«
»O doch. Ich bin blo? ein bisschen mude. Geh nur und kauf Moskau leer.«
Jill zogerte. Toby sah blass aus. Wenn diese Tournee voruber war, wurde sie dafur sorgen, dass er eine lange Erholungspause bekam, ehe er eine neue Fernsehshow begann. »Also gut«, stimmte sie zu, »mach ein Nickerchen.«
Jill ging durch die Halle zum Ausgang, als sie eine Mannerstimme rufen horte: »Josephine«, und noch wahrend sie sich umwandte, wusste sie, wer es war, und im Bruchteil einer Sekunde geschah das Wunder wieder.
David Kenyon kam lachelnd auf sie zu und sagte: »Ich freue mich so, dich zu sehen«, und sie glaubte, ihr Herz wurde aufhoren zu schlagen. Er ist der einzige Mann, dem das je bei mir gelungen ist, dachte Jill.
»Darf ich dich zu einem Drink einladen?« fragte David.
»Ja«, antwortete sie.
Die Hotelbar war gro? und gut besucht, aber sie fanden einen vergleichsweise ruhigen Tisch in einer Ecke, wo sie sich unterhalten konnten.
»Was machst du in Moskau?« fragte Jill.
»Ich versuche, fur unsere Regierung ein Olabkommen auszuarbeiten.«
Ein gelangweilter Ober schlenderte an ihren Tisch und nahm ihre Getrankebestellung entgegen.
»Wie geht es Cissy?«
David sah sie kurz an und sagte dann: »Wir haben uns vor ein paar Jahren scheiden lassen.« Er wechselte bewusst das Thema. »Ich habe deinen Lebensweg verfolgt. Ich bin von Kindesbeinen an ein Fan von Toby Temple gewesen.« Das klang so, als ob Toby sehr alt ware. »Ich bin froh, dass er wieder gesund ist. Als ich las, dass er einen Schlaganfall hatte, machte ich mir Sorgen um dich.« In seinen Augen lag ein Ausdruck, der Jill an langst vergangene Zeiten erinnerte.
»Ich fand Toby in Hollywood und London gro?artig«, sagte David.
»Warst du da?« fragte Jill uberrascht.
»Ja.« Dann fugte er schnell hinzu: »Ich hatte geschaftlich dort zu tun.«
»Warum bist du nicht hinter die Buhne gekommen?«
Er zogerte. »Ich wollte nicht aufdringlich sein. Ich wusste nicht, ob du mich sehen wolltest.«
Ihre Getranke wurden in schweren, gedrungenen Glasern serviert.
»Auf dich und Toby«, sagte David. Und in der Art, wie er es sagte, lag ein Hauch von Trauer und Sehnsucht…
»Wohnst du immer im Metropol?« fragte Jill.
»Nein. Es war verdammt schwierig -« Er bemerkte die Falle zu spat. Er lachelte schief. »Ich hatte schon vor funf Tagen aus Moskau abreisen sollen. Ich blieb, weil ich hoffte, dir zu begegnen.«
»Weshalb, David?«
Er antwortete lange nicht. Dann sagte er schlie?lich: »Jetzt ist es zwar zu spat, aber ich werde es dir dennoch sagen, weil ich glaube, dass du ein Recht hast, es zu erfahren.«
Und er sprach uber seine Ehe mit Cissy, wie sie ihn uberlistet hatte, von ihrem Selbstmordversuch und von der Nacht, als er Jill gebeten hatte, ihn am See zu treffen. Es kam alles in einem zutiefst erregten Wortschwall heraus, der Jill erschutterte.
»Ich habe dich immer geliebt.«
Sie sa? da und lauschte ihm, und ein Gefuhl des Glucks durchstromte
ihren Korper wie warmender Wein. Es war, als ob ein schoner Traum wahr wurde, es war alles, was sie gewollt, was sie sich gewunscht hatte. Jill blickte den Mann ihr gegenuber forschend an, und sie erinnerte sich an seine kraftigen Hande und an seinen harten, fordernden Korper, und sie schwankte unter einem Ansturm der Gefuhle. Aber Toby war ein Teil von ihr geworden, er war ihr Fleisch und Blut; David…
Eine Stimme neben ihr sagte: »Mrs. Temple! Wir haben Sie uberall gesucht!« Es war General Romanowitsch.
Jill sah David an. »Ruf mich morgen fruh an.«
Tobys letzte Vorstellung im Bolschoitheater war aufregender als alles, was jemals dort gegeben worden war. Die Zuschauer warfen Blumen auf die Buhne und jubelten und trampelten und weigerten sich zu gehen. Es war ein Hohepunkt in Tobys triumphaler Laufbahn. Nach dem Auftritt war ein Empfang vorgesehen, aber Toby sagte zu Jill: »Ich bin erledigt, Gottin. Warum gehst du nicht allein hin? Ich fahre ins Hotel zuruck und nehme eine Mutze Schlaf.«
Jill ging allein zum Empfang, aber es war, als stunde David jeden Augenblick neben ihr. Sie unterhielt sich mit ihren Gastgebern und tanzte und bedankte sich fur die ihr erwiesenen Huldigungen, doch die ganze Zeit durchlebte sie im Geist ihre Begegnung mit David. Ich habe das falsche Madchen geheiratet. Cissy und ich sind geschieden. Ich habe nie aufgehort, dich zu lieben.
Um zwei Uhr morgens verabschiedeten sich Jills Begleiter vor ihrer Hotelsuite von ihr. Sie trat ein und fand Toby mitten im Zimmer bewusstlos auf dem Boden, die rechte Hand zum Telefon ausgestreckt.
Toby Temple wurde eilends in einem Krankenwagen zur Diplomatischen Poliklinik gebracht. Drei beruhmte Spezialisten wurden mitten in der Nacht gerufen, um ihn zu untersuchen. Jeder bezeigte Jill sein Mitgefuhl. Der Krankenhausdirektor geleitete sie in ein Privatburo, wo sie auf Nachricht wartete. Es ist wie eine Wiederauffuhrung, dachte Jill. All das hat sich schon einmal ereignet. Es war alles sehr vage und unwirklich.
Stunden spater offnete sich die Tur zum Buro, und ein kleiner, fetter Russe watschelte herein. Er trug einen schlechtsitzenden Anzug und sah wie ein erfolgloser Klempner aus. »Ich bin Dr. Durow«, sagte er. »Ich betreue den Fall Ihres Gatten.«
»Ich mochte wissen, wie es ihm geht.«
»Setzen Sie sich bitte, Mrs. Temple.«
Jill war sich gar nicht bewusst gewesen, dass sie aufgestanden war. »Sagen Sie es mir.«
»Ihr Mann hat einen Schlaganfall gehabt – eine Cerebral-Thrombose.«
»Wie schlimm ist es?«