Tobys Kopf ruhte auf einem gro?en Kissen. Als er Jill erkannte, be-
lebten sich seine Augen plotzlich, sandten rasende Botschaften aus. Wo bist du gewesen? Warum bist du mir ferngeblieben? Ich brauche dich. Hilf mir! Es war, als konnten seine Augen sprechen. Jill sah auf diesen widerlichen, verunstalteten Korper mit der grinsenden Totenmaske hinab und ekelte sich. Du wirst nie wieder gesund werden, hol dich der Teufel! Du musst sterben! Ich will, dass du stirbst!
Als Jill Toby anstarrte, bemerkte sie, wie sich der Ausdruck in seinen Augen veranderte. Sie zeigten Schock und Unglauben und begannen dann, sich mit Hass und einer so nackten Feindseligkeit zu fullen, dass Jill unwillkurlich einen Schritt vom Bett zurucktrat. Ihr wurde bewusst, was passiert war: Sie hatte ihre Gedanken laut ausgesprochen.
Sie drehte sich um und floh aus dem Zimmer.
Gegen Morgen horte es auf zu regnen. Tobys alter Rollstuhl war vom Keller heraufgeholt worden. Die Tagesschwester fuhr Toby in seinem Stuhl in den Garten hinaus, damit er ein wenig Sonne abbekam. Jill horte das Gerausch des Rollstuhls, der durch die Diele zum Fahrstuhl geschoben wurde. Sie wartete ein paar Augenblicke und ging dann hinunter. Sie kam an der Bibliothek vorbei, als das Telefon lautete. Es war David, der aus Washington anrief.
»Wie geht es dir heute?« Es klang warm und liebevoll.
Sie war noch nie so froh gewesen, seine Stimme zu horen. »Mir geht's gut, David.«
»Ich wunschte, du warest bei mir, Liebling.«
»Ich auch. Ich liebe dich so sehr. Und ich brauche dich. Ich mochte, dass du mich in deinen Armen haltst. O David…«
Instinktiv drehte Jill sich um. Toby war in der Halle, festgeschnallt im Rollstuhl, wo ihn die Schwester einen Augenblick allein gelassen hatte. Die blauen Augen funkelten Jill Hasserfullt und mit einer solchen Arglist an, dass es wie ein korperlicher Schlag war. Seine Gedanken sprachen zu ihr durch seine Augen, schrieen sie an: Ich bringe dich um! Jill lie? entsetzt den Horer fallen.
Sie rannte aus dem Zimmer und die Treppe hinauf, spurte, wie Tobys Hass sie wie eine gewalttatige, bose Kraft verfolgte. Sie blieb den ganzen Tag in ihrem Zimmer, lehnte jedes Essen ab. Sie sa? in einem tranceahnlichen Zustand in einem Sessel, und ihre Gedanken kreisten immer wieder um den Augenblick am Telefon. Toby wusste. Er wusste. Sie konnte ihm nicht mehr gegenubertreten.
Schlie?lich kam die Nacht. Es war Mitte Juli, und die Luft hielt noch die Hitze des Tages. Jill offnete weit die Schlafzimmerfenster, um die wenn auch schwache Brise einzufangen.
In Tobys Zimmer hatte Schwester Gallagher Dienst. Sie ging auf Zehenspitzen hinein, um einen Blick auf ihren Patienten zu werfen. Schwester Gallagher wunschte, sie konnte seine Gedanken lesen, dann ware es ihr vielleicht moglich, dem armen Mann zu helfen. Sie zog die Decken um
Toby fest. »Jetzt schlafen Sie gut«, sagte sie heiter. »Ich komme wieder, um nach Ihnen zu sehen.« Keine Reaktion. Er bewegte nicht einmal die Augen, um sie anzublicken.
Vielleicht ist es ganz gut, dass ich seine Gedanken nicht lesen kann, dachte Schwester Gallagher. Sie warf ihm einen letzten Blick zu und zog sich dann in ihren kleinen Aufenthaltsraum zuruck, um sich eine spate Fernsehsendung anzusehen. Schwester Gallagher liebte Talk-Shows. Sie liebte es, Filmstars uber sich selbst plaudern zu sehen. Das machte sie so furchtbar menschlich, fast wie gewohnliche, alltagliche Leute. Sie stellte den Apparat leise, damit ihr Patient nicht gestort wurde. Aber Toby Temple hatte es auf keinen Fall gehort. Seine Gedanken waren woanders.
Das Haus schlief ruhig und fest in der gut bewachten Geborgenheit des Bel-Air-Waldes. Vom Sunset Boulevard weit unten trieben gedampft ein paar verschwommene Verkehrsgerausche herauf. Schwester Gallagher sah sich einen spaten Film an. Sie wunschte, es ware einer der alten Toby-Temple-Filme. Das fande sie aufregend: Mr. Temple im Fernsehen zu sehen und zu wissen, dass er personlich hier war, nur ein paar Meter von ihr entfernt.
Gegen vier Uhr morgens nickte Schwester Gallagher mitten in einem Horrorfilm ein.
In Tobys Schlafzimmer herrschte tiefe Stille.
In Jills Zimmer war das einzige vernehmbare Gerausch das Ticken der Uhr auf ihrem Nachttisch. Jill lag nackt im Bett. Sie schlief fest und hielt mit einem Arm ihr Kopfkissen umschlungen. Ihr Korper hob sich dunkel von den wei?en Laken ab. Die Stra?engerausche waren gedampft und klangen weit entfernt.
Jill warf sich ruhelos im Schlaf herum und frostelte. Sie traumte, dass sie und David auf ihrer Hochzeitsreise in Alaska waren. Sie wanderten uber eine weite, froststarre Ebene, und plotzlich kam ein Sturm auf. Der Wind wehte ihnen eisige Luft in die Gesichter, und sie konnten kaum atmen. Jill wandte sich nach David um, aber er war fort. Sie befand sich allein in der kalten Arktis, hustete und rang nach Luft.
Ein ersticktes Keuchen weckte Jill. Sie horte ein grassliches, japsendes Schnaufen, ein Todesrocheln, und sie schlug die Augen auf. Das Gerausch kam aus ihrer eigenen Kehle. Sie konnte nicht atmen. Ein eisiger Luftmantel uberzog sie wie eine obszone Decke, liebkoste ihren nackten Korper, streichelte ihre Bruste, kusste ihre Lippen mit einem kalten, ubelriechenden Atem, der nach Grab roch. Jills Herz klopfte wie wild, als sie um Luft rang. Ihre Lungen brannten vor Kalte. Sie versuchte, sich aufzusetzen, und es war, als hielte ein unsichtbares Gewicht sie nieder. Sie wusste, dass es ein Traum sein musste, aber gleichzeitig konnte sie dieses scheu?liche Rocheln in ihrer Kehle horen, als sie nach Atem rang. Sie starb. Aber konnte man in einem bosen Traum sterben? Jill spurte, wie kalte Fuhler ihren Korper erforschten, ihr zwischen die Beine und in sie hineindrangen, sie ausfullten, und mit einer plotzlichen Gewissheit, die ihr Herz stocken lie?, erkannte sie, dass es Toby war. Irgendwie, auf irgendeine Art war es Toby. Und das aufwallende Entsetzen gab Jill die Kraft, sich ans Fu?ende vorzukrallen, nach Atem ringend, mit Geist und Korper um ihr Leben kampfend. Sie erreichte den Boden, richtete sich muhsam auf und rannte auf die Tur zu, spurte, wie die Kalte sie verfolgte, sie umgab, nach ihr griff. Ihre Finger fanden den Turknauf und drehten ihn. Keuchend rannte sie in die Diele hinaus, ihre ausgehungerten Lungen mit Sauerstoff fullend.
Die Diele war warm und ruhig. Jill stand mit unkontrollierbar klappernden Zahnen da. Sie drehte sich um und blickte in ihr Zimmer. Es sah normal und friedlich aus. Ein Alptraum hatte sie in seinen Krallen gehalten. Jill zogerte einen Augenblick, ehe sie langsam durch die Tur zuruckging. Ihr Zimmer war warm. Sie hatte nichts zu befurchten. Naturlich konnte Toby ihr nichts antun.
In ihrem Aufenthalts raum wachte Schwester Gallagher auf und ging, um nach ihrem Patienten zu sehen.
Toby Temple lag im Bett, genau, wie sie ihn verlassen hatte. Seine Augen starrten zur Decke empor, auf etwas gerichtet, das Schwester Gal-lagher nicht sehen konnte.
Danach kehrte der Alptraum regelma?ig wieder, wie das finstere Omen eines Verhangnisses, die Vorausahnung eines kommenden Schreckens. Langsam entstand in Jill ein namenloses Entsetzen. Wo sie sich auch im Haus aufhielt, uberall spurte sie Tobys Gegenwart. Wenn die Schwester ihn ausfuhr, konnte Jill ihn horen. Tobys Rollstuhl gab ein hohes Quietschen von sich, und es zerrte an Jills Nerven, wenn sie es horte. Ich muss ihn in Ordnung bringen lassen, dachte sie. Sie vermied es, auch nur in die Nahe von Tobys Zimmer zu gehen, aber es spielte keine Rolle. Er war uberall anwesend und lauerte auf sie.
Sie hatte jetzt standig Kopfschmerzen, ein wildes, rhythmisches Klopfen, das ihr keine Ruhe lie?. Sie wunschte, dass der Schmerz nur eine Stunde lang nachlie?e, eine Minute, eine Sekunde. Sie musste schlafen. Sie ging ins Dienstmadchenzimmer hinter der Kuche, so weit von Tobys Wohntrakt entfernt wie moglich. Das Zimmer war warm und still. Jill legte sich aufs Bett und schloss die Augen. Sie schlief sofort ein.
Sie wurde durch die stinkende, eisige Luft geweckt, die das Zimmer fullte, nach ihr griff und versuchte, sie einzuhullen. Jill sprang auf und rannte zur Tur hinaus.
Die Tage waren schon schrecklich genug, aber die Nachte waren noch schlimmer. Sie liefen immer nach demselben Schema ab. Jill ging in ihr Zimmer und legte sich ins Bett, kampfte darum, wach zu bleiben, furchtete einzuschlafen, weil sie wusste, dass Toby kommen wurde.
Aber ihr erschopfter Korper gewann die Oberhand, und schlie?lich schlief sie ein.
Sie wurde durch die Kalte geweckt. Sie lag zitternd im Bett, fuhlte die eisige Luft an sich heraufkriechen, und eine Woge des Bosen uberschwemmte sie wie ein schrecklicher Fluch. Sie sprang auf und floh in stummem Entsetzen.
Es war drei Uhr morgens.
Jill war in ihrem Sessel uber einem Buch eingeschlafen. Allmahlich wachte sie auf und offnete die Augen in dem stockdunklen Schlafzimmer. Sie spurte, dass etwas nicht stimmte. Dann wusste sie, was es war: Als sie