in ihre Stimme. x»Mir geht es gut, David.«
»Ich liebe dich, Darling. Pass gut auf dich auf.«
»Das tue ich, David. Ich liebe dich. Vergiss es nicht.« Gleichgultig, was geschieht.
Sie horte den Wagen des Heilgymnastikers in die Auffahrt einbiegen und eilte mit klopfendem Herzen und zitternden Beinen, die sie kaum zu tragen vermochten, die Treppe hinunter. Sie offnete die Tur, als der Heilgymnastiker gerade klingeln wollte.
»Morgen, Mrs. Temple«, sagte er. Er wollte hereinkommen, doch Jill vertrat ihm den Weg. Er sah sie uberrascht an.
»Dr. Kaplan hat entschieden, Mr. Temples heilgymnastische Ubungen abzusetzen«, sagte Jill.
Das Gesicht des Heilgymnastikers verriet uberraschten Unwillen. Er war also vergeblich hier herausgefahren. Das hatte man ihm auch fruher mitteilen konnen. Gewohnlich hatte er sich uber diese Behandlung beschwert. Aber Mrs. Temple war so bewunderungswurdig mit ihren furchtbaren Sorgen. Er lachelte verstandnisvoll und sagte: »Schon gut, Mrs. Temple. Ich verstehe.«
Er ging zuruck zu seinem Wagen.
Jill wartete, bis sie den Wagen fortfahren horte. Dann ging sie wieder nach oben. Auf halbem Weg wurde sie erneut von einem Schwindelanfall gepackt, und sie musste sich ans Treppengelander klammern, bis er abebbte. Sie konnte jetzt nicht mehr zuruck. Tate sie es, wurde sie sterben.
Sie ging auf die Tur von Tobys Zimmer zu, drehte den Knauf und trat ein. Schwester Gallagher sa? in einem Sessel und arbeitete an einer Stickerei. Sie blickte uberrascht auf, als sie Jill in der Tur stehen sah. »Oh!« sagte sie. »Sie kommen uns besuchen. Wie nett.« Sie drehte sich zum Bett hin. »Ich wei?, dass Mr. Temple sich freut. Freuen wir uns nicht, Mr. Temple?«
Toby sa?, von Kissen gestutzt, aufrecht im Bett. Seine Augen sandten Jill die Botschaft: Ich werde dich toten.
Jill wandte ihre Augen ab und ging zu Schwester Gallagher hinuber. »Ich furchte, dass ich mich in letzter Zeit meinem Mann nicht genugend gewidmet habe.«
»Nun ja, das habe ich gelegentlich auch schon gedacht«, zwitscherte Schwester Gallagher. »Aber dann habe ich gesehen, dass Sie selber krank sind, und sagte mir deshalb -«
»Es geht mir wieder viel besser«, unterbrach Jill sie. »Ich ware gern allein mit Mr. Temple.«
Schwester Gallagher sammelte ihre Stickereiutensilien zusammen und stand auf. »Selbstverstandlich«, sagte sie, »das wird uns bestimmt sehr freuen.« Sie drehte sich zu dem grinsenden Gesicht im Bett um. »Ist es nicht so, Mr. Temple?« Zu Jill gewandt, fugte sie hinzu: »Ich werde schnell in die Kuche hinuntergehen und mir eine gute Tasse Tee machen.«
»Nein. Ihr Dienst ist in einer halben Stunde beendet. Sie konnen schon jetzt gehen. Ich werde hierbleiben, bis Schwester Gordon kommt.« Jill schenkte ihr ein kurzes, beruhigendes Lacheln. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde bei ihm bleiben.«
»Ich glaube, das ware fur mich eine willkommene Gelegenheit, um einzukaufen, und -«
»Fein«, sagte Jill. »Dann gehen Sie nur.«
Jill stand unbeweglich da, bis sie die Haustur zufallen und Schwester Gallaghers Wagen abfahren gehort hatte. Als das Motorengerausch in der Sommerluft erstorben war, drehte sich Jill zu Toby um.
Seine Blicke waren beharrlich auf ihr Gesicht geheftet. Sie zwang sich, ans Bett zu treten, schlug die Bettdecke zuruck und blickte auf die ausgezehrte, gelahmte Gestalt mit den kraftlosen Beinen hinunter.
Der Rollstuhl stand in einer Ecke. Jill fuhr ihn neben das Bett und schob ihn so hin, dass sie Toby hineinsetzen konnte. Sie streckte die Arme nach ihm aus und hielt plotzlich inne. Sie musste ihre ganze Kraft zusammennehmen, um ihn zu beruhren. Das ausgemergelte Gesicht mit dem idiotisch grinsenden Mund und den hellen, Gift spruhenden blauen Augen war nur wenige Zentimeter von ihr entfernt. Sie beugte sich vor und zwang sich, Toby an den Armen hochzuheben. Er war fast gewichtslos, aber Jill konnte es wegen ihrer korperlichen Erschopfung kaum bewaltigen. Als sie seinen Korper beruhrte, hatte sie das Gefuhl, von eisiger Luft eingehullt zu werden. Der Druck in ihrem Kopf wurde unertraglich. Vor ihren Augen erschienen helle, farbige Punkte, und sie begannen zu tanzen, immer schneller, bis ihr schwindlig wurde. Sie glaubte, ohnmachtig zu werden, wusste aber, dass sie das nicht zulassen durfte. Nicht, wenn sie am Leben bleiben wollte. Mit ubermenschlicher Anstrengung zerrte sie Tobys schlaffen Korper in den Rollstuhl und gurtete ihn fest. Sie blickte auf ihre Uhr. Ihr blieben nur noch zwanzig Minuten.
Jill brauchte funf Minuten, um in ihr Schlafzimmer zu gelangen, sich einen Badeanzug anzuziehen und in Tobys Zimmer zuruckzukehren.
Sie loste die Bremse am Rollstuhl und schob Toby durch den Gang in den Lift. Sie stand hinter ihm, wahrend sie abwarts fuhren, damit sie seine Augen nicht sehen musste. Aber sie konnte sie fuhlen. Und sie konnte die ungesunde, feuchte Kalte der Luft spuren, die sich im Fahrstuhl ausbreitete, sie einhullte, uberwaltigte, ihre Lungen mit Faulnis anfullte, bis sie zu wurgen begann. Sie konnte nicht atmen. Sie sank keuchend in die Knie, kampfte darum, nicht bewusstlos zu werden, solange sie mit ihm in dem Lift gefangen war. Sie war der Bewusstlosigkeit nahe, als sich die Fahrstuhltur offnete. So schnell sie konnte, kroch sie in das warme Sonnenlicht hinaus, lag tief atmend auf dem Boden und sog die frische Luft ein. Langsam kam sie wieder zu Kraften. Sie drehte sich zum Fahrstuhl um. Toby wartete lauernd im Rollstuhl. Jill schob ihn rasch aus dem Lift und auf das Schwimmbecken zu. Es war ein herrlicher, wolkenloser Tag, warm und balsamisch, und die Sonne funkelte auf dem blauen, klaren Wasser.
Jill rollte den Krankenstuhl an den Rand des Beckens, wo das Wasser tief war, und legte die Bremse vor. Sie trat vor den Rollstuhl. Tobys Augen waren wachsam und verwirrt auf sie gerichtet. Jill griff nach den Gurten, die Toby im Stuhl hielten, und zurrte sie so fest, wie sie konnte; zog mit aller ihr noch verbliebenen Kraft und spurte, dass ihr von der Anstrengung wieder schwindlig wurde. Dann war es geschafft. Jill sah, wie Tobys Augen sich veranderten, als er begriff, was geschah, und wie sie sich mit panischer Angst fullten.
Jill loste die Bremse, packte den Griff des Rollstuhls und schob ihn auf das Wasser zu. Toby versuchte, seine gelahmten Lippen zu bewegen, versuchte zu schreien, doch er brachte keinen Laut heraus, und die Wirkung war entsetzlich. Sie konnte es nicht ertragen, in seine Augen zu blicken. Sie wollte nicht wissen, was er empfand.
Sie schob den Rollstuhl ganz an das Becken heran.
Dort blieb er hangen. Er wurde von einer Betonschwelle am Rand zuruckgehalten. Sie druckte kraftig, aber er rollte nicht uber die Schwelle. Es war, als ob Toby durch seine blo?e Willenskraft den Rollstuhl zuruckhielt. Jill bemerkte, wie er, um sein Leben kampfend, sich in dem Stuhl aufzurichten versuchte. Er wurde loskommen, sich befreien, mit seinen knochigen Fingern nach ihrer Kehle greifen… Sie konnte horen, wie er schrie: Ich will nicht sterben… Ich will nicht sterben, und sie wusste nicht, ob es ihre Einbildung war oder ob es tatsachlich geschah. Unter dem Ansturm des Entsetzens kehrte plotzlich ihre Kraft zuruck, und sie stie?, so kraftig sie konnte, gegen die Rucklehne des Rollstuhls. Er sprang nach vorn und aufwarts in die Luft und hing dort, wie es schien, bewegungslos eine Ewigkeit, ehe er laut aufklatschend ins Schwimmbecken sturzte. Der Rollstuhl schien noch lange auf dem Wasser zu schwimmen, ehe er langsam zu sinken begann. Die Wasserwirbel drehten den Stuhl um, so dass Jill als letztes Tobys Augen sah, die sie in die Holle verfluchten, ehe sich das Wasser uber ihnen schloss.
Sie stand eine Ewigkeit da, schauderte in der warmen Mittagssonne und lie? die Kraft in ihren Geist und Korper zuruckflie?en. Als sie endlich fahig war, sich wieder zu bewegen, stieg sie uber die Schwimmbadtreppe ins Wasser hinunter, damit ihr Badeanzug nass wurde. Dann ging sie ins Haus, um die Polizei zu rufen.
35.
Toby Temples Tod machte Schlagzeilen in der ganzen Welt. Und wenn Toby wie ein Volksheld gefeiert wurde, verehrte man Jill wie eine Heldin. Hunderttausende von Wortern wurden uber sie gedruckt, ihre Bilder erschienen in allen Medien. Ihre gro?e Liebesgeschichte wurde wieder und wieder berichtet, und das tragische Ende gab ihr eine noch gro?ere Eindringlichkeit. Briefe und Beileidstelegramme stromten in ihr Haus: von Staatsoberhauptern, Hausfrauen, Politikern, Millionaren, Sekretarinnen. Die Welt hatte einen personlichen Verlust erlitten; Toby hatte die Gabe seines Lachens mit seinen Verehrern geteilt, und sie wurden ihm ewig dankbar sein. Die Atherwellen waren voller Lobpreisungen uber ihn, und jeder Sender wurdigte ihn.