eingeschlafen war, hatten alle Lichter gebrannt. Sie fuhlte ihr Herz rasend klopfen, und sie dachte: Kein Grund zur Aufregung, Schwester Gallagher muss hereingekommen sein und die Lichter geloscht haben.
Dann horte sie das Gerausch. Es kam durch die Halle… ein Quietschen… Quietschen… Toby s Rollstuhl. Er bewegte sich auf ihre Schlafzimmertur zu. Jill straubten sich die Nackenhaare. Es ist nur ein Ast, der im Wind gegen das Haus klopft, oder ein Knarren im Dachgebalk, sagte sie sich. Doch sie wusste, dass es das nicht war. Sie hatte dieses Gerausch schon zu oft gehort. Quietschen… Quietschen… wie die Musik des Todes. Es kann nicht Toby sein, dachte sie. Er liegt hilflos in seinem Bett. Ich verliere noch den Verstand. Sie horte, wie das Gerausch naher kam. Jetzt war es an ihrer Tur. Nun war es nicht mehr zu vernehmen. Dann folgte plotzlich ein Splittern und dann Stille.
Jill verbrachte den Rest der Nacht in der Dunkelheit in ihren Sessel gekauert, zu verstort, um sich zu bewegen.
Am Morgen fand sie vor ihrer Schlafzimmertur eine zerbrochene Vase auf dem Boden, die von einem Stander in der Diele heruntergesto?en worden war.
Jill sprach mit Dr. Kaplan. »Glauben Sie, dass der Geist den Korper beherrschen kann?« fragte sie.
Er sah sie fragend an. »Wie meinen Sie das?«
»Wenn Toby – unbedingt aus seinem Bett heraus wollte, wurde er das fertigbringen?«
»Sie meinen ohne Hilfe? In seiner augenblicklichen Verfassung?« Er warf ihr einen unglaubigen Blick zu. »Er ist absolut unfahig, sich zu bewegen, vollkommen unfahig.«
Jill gab sich nicht zufrieden. »Wenn – wenn er wirklich entschlossen ware aufzustehen – wenn es irgend etwas gabe, was ihn dazu zwingen konnte…«
Dr. Kaplan schuttelte den Kopf. »Unser Verstand gibt dem Korper Befehle, aber wenn der physische Bewegungsapparat blockiert ist, wenn die Befehle des Gehirns nicht an die Muskeln ubermittelt werden konnen, dann bleiben die Signale ohne Folgen.«
Sie musste es genau wissen. »Glauben Sie, dass Gegenstande durch den Geist bewegt werden konnen?«
»Meinen Sie Telekinese? Es werden eine Menge Experimente damit gemacht, aber niemand konnte bisher Beweise vorlegen, die mich uberzeugt hatten.«
Da war aber die zerbrochene Vase vor ihrer Schlafzimmertur.
Jill wollte ihm davon erzahlen, von der kalten Luft, die ihr immer nachwehte, von Tobys Rollstuhl vor ihrer Tur, aber Dr. Kaplan wurde nur denken, dass sie verruckt sei. War sie es? War etwas mit ihr nicht in Ordnung? Verlor sie den Verstand?
Als Dr. Kaplan gegangen war, trat Jill vor den Spiegel, um sich anzusehen. Sie war uber ihren Anblick entsetzt. Ihre Wangen waren eingefallen, und ihre Augen standen riesig in einem blassen, knochigen Gesicht. Wenn ich so weitermache, dachte Jill, werde ich vor Toby sterben. Sie sah ihr strahniges, glanzloses Haar und ihre sproden, rissigen Fingernagel an. David darf mich nie so sehen. Ich muss auf mich achten. Von jetzt an, sagte sie sich, gehst du einmal in der Woche in den Schonheitssalon, und du wirst drei Mahlzeiten taglich essen und acht Stunden schlafen.
Am nachsten Morgen vereinbarte Jill einen Termin mit dem Schonheitssalon. Sie war erschopft, und als sie unter der warmen, bequemen Trockenhaube sa?, wurde sie von dem monotonen Summen eingeschlafert, und der Alptraum begann wieder. Sie lag im Bett und schlief. Sie konnte Toby horen, wie er in seinem Rollstuhl in ihr Schlafzimmer kam… Quietschen… Quietschen. Langsam richtete er sich in seinem Stuhl auf, stellte sich auf die Beine und bewegte sich auf sie zu, grinsend, die skelettartigen Hande nach ihrer Kehle ausgestreckt. Jill wachte wild schreiend auf und versetzte den Schonheitssalon in Aufruhr. Sie fluchtete, ohne sich das Haar auskammen zu lassen.
Nach diesem Erlebnis hatte Jill Angst, das Haus wieder zu verlassen. Und Angst, darin zu bleiben.
Mit ihrem Kopf schien etwas nicht zu stimmen. Jetzt waren es nicht mehr nur die Kopfschmerzen. Sie wurde vergesslich. Sie ging aus irgendeinem Grund nach unten in die Kuche, stand da und wusste nicht mehr, was sie hier gewollt hatte. Ihr Gedachtnis begann ihr Streiche zu spielen. Einmal kam Schwester Gordon, um etwas mit ihr zu besprechen; Jill war erstaunt, eine Schwester hier zu sehen, und dann fiel ihr plotzlich ein, warum sie da war. Der Regisseur wartete auf den Einsatz von Jill. Sie versuchte, sich an ihren Text zu erinnern. Ich furchte, nicht sehr gut, Doktor. Sie musste mit dem Regisseur sprechen und herausbekommen, wie sie es seiner Meinung nach sagen sollte. Schwester Gordon hielt ihre Hand und sagte: »Mrs. Temple! Mrs. Temple! Fuhlen Sie sich nicht wohl?« Und Jill kehrte wieder in ihre Umgebung, in die Gegenwart zuruck, von Schreck gepackt uber das, was mit ihr vorging. Sie wusste, dass sie so nicht weitermachen konnte. Sie musste unbedingt herausbekommen, ob ihr Verstand gelitten hatte oder ob Toby doch in der Lage war, sich irgendwie zu bewegen, ob er einen Weg gefunden hatte, sie anzugreifen, und sie umzubringen versuchte.
Sie musste ihn sehen. Sie zwang sich, durch den langen Gang zu To-bys Schlafzimmer zu gehen. Einen Augenblick stand sie davor, straffte sich, und dann betrat Jill Tobys Zimmer.
Toby lag im Bett, und die Schwester wusch ihn mit dem Schwamm ab. Sie blickte auf, sah Jill und sagte: »Nanu, da ist ja Mrs. Temple. Wir nehmen gerade ein hubsches Bad, nicht wahr?«
Jill wandte ihren Blick der Gestalt auf dem Bett zu.
Tobys runzlige Beine und Arme waren zu strickahnlichen Anhangseln an einem zusammengeschrumpften, verkrummten Rumpf geworden. Zwischen seinen Beinen lag wie eine lange, obszone Schlange sein nutzloser Penis, schlapp und hasslich. Die gelbe Farbung war aus Tobys Gesicht verschwunden, aber das starrende, idiotische Grinsen war immer noch da. Der Korper war tot, aber die Augen waren erschreckend lebendig. Durchbohrend, forschend, abwagend, planend, hassend; arglistige blaue Augen, in denen die geheimen Plane, die todliche Entscheidung standen. Es ist wichtig, stets daran zu denken, dass sein Verstand nicht gelitten hat, hatte der Arzt zu ihr gesagt. Er konnte denken und fuhlen und hassen. Dieser Verstand hatte nichts anderes zu tun, als seine Rache zu planen, sich einen Weg auszudenken, um sie zu vernichten. Toby wunschte ihren Tod, wie sie seinen Tod wunschte.
Als Jill jetzt auf ihn hinabblickte, in diese vor Abscheu lodernden Augen starrte, konnte sie ihn sagen horen: Ich werde dich toten, und sie konnte die Wellen des Hasses fuhlen, die sie wie korperliche Schlage trafen.
Jill starrte in diese Augen, und sie erinnerte sich an die zerbrochene Vase, und sie wusste, dass keiner der Alptraume Einbildung gewesen war. Er hatte einen Weg gefunden.
Sie wusste jetzt, dass es Tobys Leben gegen das ihre galt.
34.
Nachdem Dr. Kaplan Toby eingehend untersucht hatte, kam er zu Jill. »Meiner Meinung nach sollten Sie die Therapie im Schwimmbecken aufgeben«, sagte er. »Es ist reine Zeitverschwendung. Ich hatte gehofft, wir konnten damit eine gewisse Starkung der Muskulatur erreichen, aber es schlagt nicht an. Ich werde mit dem Heilgymnastiker sprechen.«
»Nein!« Es war ein schriller Schrei.
Dr. Kaplan blickte sie uberrascht an. »Jill, ich wei?, was Sie schon einmal fur Toby getan haben. Aber diesmal ist es hoffnungslos. Ich -«
»Wir durfen nicht aufgeben. Noch nicht.« In ihrer Stimme schwang Verzweiflung mit.
Dr. Kaplan zogerte und hob dann die Schultern. »Nun, wenn es Ihnen soviel bedeutet, aber -«
»Es ist mir sehr wichtig.«
In diesem Augenblick war es das Wichtigste auf der Welt. Es wurde Jill das Leben retten.
Sie wusste jetzt, was sie tun musste.
Der folgende Tag war ein Freitag. David rief Jill an, um ihr zu sagen, dass er geschaftlich nach Madrid musse.
»Moglicherweise kann ich dich am Wochenende nicht anrufen.«
»Du wirst mir fehlen«, sagte Jill. »Sehr.«
»Du mir auch. Geht es dir gut? Du klingst so anders. Bist du mude?« Jill zwang sich, die Augen offenzuhalten, den entsetzlichen Schmerz in ihrem Kopf zu vergessen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letztemal gegessen oder geschlafen hatte. Sie war so schwach, dass sie kaum stehen konnte. Sie legte alle Kraft