gewisser, unnachgiebiger Regeln gespielt und von dem besseren Spieler gewonnen wurde, und Jennifer war fest entschlossen, dieser Bessere zu sein. Ihre Kreuzverhore waren buhnenreif, ihr Tempo, Rhythmus und Effekte meisterhaft. Sie lernte, die starkste Personlichkeit in einer Jury zu erkennen und sich auf sie zu konzentrieren, denn sie wu?te, da? sie die anderen auf ihre Seite bringen konnte.
Die Schuhe eines Mannes sagten einiges uber seinen Charakter aus. Jennifer hielt Ausschau nach Geschworenen mit bequemen Schuhen, denn die neigten zur Gutmutigkeit. Sie begriff den Wert einer Strategie fur den ganzen Proze? und den Sinn taktischer Manover. Sie verbrachte endlose Stunden damit, jeden Fall vorzubereiten, denn sie wu?te, da? die meisten Prozesse gewonnen oder verloren waren, bevor sie begonnen hatten.
Das Gericht zog sich gewohnlich um vier Uhr nachmittags bis zum nachsten Morgen zuruck, und wenn Jennifer einen Zeugen am Nachmittag ins Kreuzverhor genommen hatte, drosselte sie das Tempo, bis nur noch wenige Minuten Zeit blieben, und dann versetzte sie dem Zeugen einen verbalen Fangschu?, den die Geschworenen die ganze Nacht uber nicht verga?en.
Sie lernte die Signale der Korpersprache deuten. Wenn ein Zeuge im Zeugenstand log, konnte man das an einigen Gesten erkennen, etwa daran, da? er sein Kinn rieb, die Lippen zusammenpre?te, den Mund bedeckte, an den Ohrlappchen zupfte oder sich durch das Haar fuhr. Jennifer erkannte diese Zeichen, horte auf zu kreisen und stie? zu. Eine Frau zu sein war von Nachteil, wenn man Strafrecht praktizierte. Sie befand sich auf mannlichem Territorium. Es gab noch immer sehr wenige weibliche Strafverteidiger, und einige der mannlichen Kollegen begegneten Jennifer mit Ressentiments.
Auch die meisten Geschworenen waren am Anfang voreingenommen gegen Jennifer, denn viele ihrer Falle waren schmutzig, und die Geschworenen tendierten dazu, sie mit ihren Mandanten gleichzusetzen. Man erwartete von ihr, da? sie sich zuchtig wie Jane Eyre kleidete, und dagegen wehrte sie sich; aber sie achtete darauf, sich so anzuziehen, da? sie nicht den Neid der weiblichen Geschworenen erregte und dennoch feminin genug wirkte, um auf die Manner nicht einen lesbischen Eindruck zu machen, der sie gegen sie eingenommen hatte. Fruher hatte Jennifer uber diese Erwagungen gelacht. Aber im Gerichtssaal waren sie harte Realitat. Weil sie sich in ein mannliches Universum gewagt hatte, mu?te sie doppelt soviel arbeiten und doppelt so gut wie die Konkurrenten sein. Sie bereitete nicht nur ihre eigenen Zuge vor, sondern auch die der Gegenseite. Sie lag nachts wach im Bett oder sa? im Buro am Schreibtisch und entwickelte die Strategie ihres Widersachers. Was wurde sie tun, wenn sie auf seiner Seite stunde? Was fur Uberraschungen wurde sie in petto haben? Sie war ein General, der beide Fronten einer todlichen Schlacht inspizierte.
Cynthia meldete sich uber die Sprechanlage. »In Leitung drei ist ein Mann, der mit Ihnen sprechen will, aber er will seinen Namen nicht sagen und auch nicht, worum es geht.« Sechs Monate fruher hatte Cynthia einfach aufgehangt, aber Jennifer hatte ihr beigebracht, niemanden abzuweisen. »Stellen Sie ihn durch«, sagte Jennifer. Einen Augenblick spater horte sie eine Mannerstimme vorsichtig fragen: »Spreche ich mit Jennifer Parker?«
»Ja.«
Er zogerte. »Kann niemand mithoren?« »Nein. Was kann ich fur Sie tun?« »Nicht fur mich. Fur - fur eine Freundin von mir.« »Ich verstehe. Was hat Ihre Freundin fur ein Problem?« »Dieses Gesprach ist streng vertraulich, verstehen Sie?« »Ich verstehe.«
Cynthia kam herein und reichte Jennifer die Post. »Warten Sie«, formte Jennifer mit den Lippen.
»Die Familie meiner Freundin hat sie in ein Irrenhaus gesperrt. Aber sie ist gesund. Es ist eine Verschworung. Die Behorden sind auch daran beteiligt.«
Jennifer horte nur halb zu. Sie pre?te das Telefon in die Schulterbeuge, wahrend sie die Morgenpost durchsah. Der Mann sagte: »Sie ist reich, und die Familie ist hinter ihrem Geld her.«
Jennifer sage: »Weiter«, und fuhr fort, sich mit der Post zu beschaftigen.
»Vielleicht wurden sie mich auch einzusperren versuchen, wenn sie herausfanden, da? ich ihr helfen will. Es konnte gefahrlich fur mich werden, Mi? Parker.« Ein Verruckter, dachte Jennifer. Sie sagte: »Ich furchte, ich kann nichts fur Ihre Freundin tun, aber ich schlage vor, da? Sie einen guten Psychoanalytiker damit beauftragen.«
»Sie verstehen nicht. Die sind auch an der Verschworung beteiligt.«
»Ich verstehe durchaus«, sagte Jennifer besanftigend. »Ich...«
»Werden Sie ihr helfen?«
»Es gibt nichts, was ich - ich will Ihnen etwas sagen. Warum geben S ie mir nicht den Namen und die Adresse Ihrer Freundin, und wenn ich Zeit habe, kummere ich mich darum.« Ein langes Schweigen entstand. Schlie?lich sagte der Mann: »Dies ist vertraulich, denken Sie daran.« Jennifer wunschte, er wurde endlich auflegen. Ihr erster Mandant wartete im Empfangsraum. »Ich denke daran.«
»Cooper. Helen Cooper. Sie hatte eine gro?e Besitzung in Long Island, aber sie haben sie ihr weggenommen.« Widerstrebend kritzelte Jennifer eine Notiz auf den Block vor ihr. »Fein. In welchem Sanatorium war sie noch, sagten Sie?« Es gab ein Klicken, und die Leitung war tot. Jennifer warf die Notiz in den Papierkorb. Sie und Cynthia tauschten einen Blick. »Eine merkwurdige Welt da drau?en«, sagte Cynthia. »Mi? Marsha l wartet auf Sie.«
Jennifer hatte mit Loretta Marshal bereits eine Woche zuvor telefoniert. Mi? Marshal hatte Jennifer gebeten, sie in einer Vaterschaftsklage gegen Curtis Randall, einen reichen Unternehmer, zu vertreten.
Jennifer hatte mit Ken Bailey gesprochen. »Wir brauchen Informationen uber Curtis Randall. Er lebt in New York, aber soweit ich wei?, verbringt er ziemlich viel Zeit in Palm Beach. Ich mochte etwas uber seine Vergangenheit wissen und ob er mit einem Madchen namens Loretta Marshal geschlafen hat.«
Sie hatte Ken die Namen der Palm- Beach-Hotels gegeben, die Loretta Marshal ihr genannt hatte. Zwei Tage spater hatte Ken Bailey Bericht erstattet.
»Es trifft zu. Sie haben zwei Wochen zusammen in Hotels in Palm Beach, Miami und Atlantic City verbracht. Vor acht Monaten hat Loretta Marshal eine Tochter bekommen.« Jennifer lehnte sich zuruck und blickte ihn nachdenklich an. »Das klingt nach einem Fall fur uns.«
»Glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Die Sache hat einen Haken. Loretta Marshal hat ungefahr mit jedem, einschlie?lich der Mannschaft der New York Yankees, geschlafen.«
»Du meinst, als Vater kommt eine ganze Anzahl von Mannern in Frage?« »Ich meine, die halbe Welt kommt als Vater in Frage.«
»Ist irgendeiner der anderen reich genug, um das Kind unterstutzen zu konnen?«
»Nun, ich schatze, die Yankees sind ziemlich reich, aber an Curtis Randall kommt keiner ran.« Er uberreichte ihr eine lange Namensliste.
Loretta Marshal betrat das Buro. Jennifer war nicht sicher gewesen, was sie erwartete. Eine hubsche, hohlkopfige Prostituierte aller Wahrscheinlichkeit nach. Aber Loretta Marshal war eine echte Uberraschung. Sie war nicht nur nicht hubsch, sondern beinahe hausbacken. Ihre Figur war gewohnlich. Von der Zahl ihrer romantischen Eroberungen her hatte Jennifer eine sinnliche, hinrei?ende Schonheit erwartet. Loretta Marshal war der Prototyp der Volksschullehrerin. Sie trug einen karierten Wollrock, eine Bluse mit Kragenknopfen, eine dunkelblaue Strickjacke und einfache Schuhe. Am Anfang war Jennifer sicher gewesen, da? Loretta Marshal plante, Curtis Randall fur ein Kind zahlen zu lassen, das gar nicht von ihm war. Nach einem einstundigen Gesprach mit der jungen Frau hatte ihre Meinung sich geandert. Loretta Marshal war offensichtlich ehrlich.
»Naturlich habe ich keinen Beweis, da? Curtis Melanies Vater ist«, sagte sie mit einem schuchternen Lacheln. »Curtis ist nicht der einzige Mann, mit dem ich geschlafen habe.«
»Weswegen glauben Sie dann, da? er der Vater Ihres Kindes ist, Mi? Marshal?«
»Ich glaube es nicht. Ich bin sicher. Es ist schwer zu erklaren, aber ich wei? sogar, in welcher Nacht Melanie gezeugt wurde. Manchmal kann eine Frau so was fuhlen.« Jennifer beobachtete sie, auf der Suche nach irgendeinem Zeichen von Schuld oder Falschheit. Es gab keins. Das Madchen war ohne jede Verstellung. Vielleicht, dachte Jennifer, ist das ein Grund fur ihre Anziehungskraft auf Manner. »Lieben Sie Curtis Randall?«
»O ja, und Curtis hat gesagt, er liebt mich auch. Naturlich bin ich nicht mehr sicher, da? er es immer noch tut, nachdem das passiert ist.«
Wenn Sie ihn geliebt haben, dachte Jennifer, wie konnten Sie dann mit all den anderen Mannern ins Bett gehen? Die Antwort mochte in dem traurigen, hausbackenen Gesicht und der einfachen Figur liegen.
»Konnen Sie mir helfen, Mi? Parker?« Jennifer sagte vorsic htig: »Vaterschaftsklagen sind immer schwierig.