»Ja?«
Er sah weg. »Nichts.«
Die nachsten drei Tage war Ken Bailey verschwunden. Als er am vierten Tag in Jennifers Buro kam, war er unrasiert, und seine Augen lagen tief in den Hohlen und hatten rote Rander. Jennifer warf nur einen Blick auf ihn und fragte: »Geht es dir gut?«
»Ich glaube, schon.«
»Kann ich irgend etwas fur dich tun?«
»Nein.« Wenn Gott mir schon nicht helfen kann, Liebes, dann kannst du es noch weniger.
Er gab Jennifer einen Zettel. Darauf stand: Dr. Eric Linden, Memorial Hospital, Charlotte, Nordcarolina. »Ich danke dir, Ken.«
»De nada. Wann willst du es machen lassen?«
»Ich werde dieses Wochenende hinfahren.«
Verlegen fragte er: »Soll ich mitkommen?«
»Nein, danke. Ich schaff's schon allein.«
»Und die Ruckfahrt?«
»Ich schaffe es.«
Er zogerte noch einen Moment, ehe er ging. »Es geht mich ja nichts an, aber bist du sicher, da? du das Richtige tust.«
»Ja. Ich bin sicher.«
Sie hatte keine Wahl. Nichts auf der Welt wunschte sie sich mehr, als Adams Baby behalten zu konnen, aber sie wu?te, da? es Wahnsinn ware, das Kind allein gro?zuziehen.
Sie blickte Ken an und sagte noch einmal: »Ich bin sicher.« Das Hospital war ein freundlich aussehendes, altes, zweistockiges Ziegelgebaude in den Au?enbezirken von Charlotte. An der Pforte sa? eine grauhaarige, etwa sechzigjahrige Frau. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ja«, sagte Jennifer. »Ich bin Mrs. Parker. Ich habe einen Termin bei Dr. Linden fur - fur...« Sie konnte die Worte nicht uber ihre Lippen bringen.
Die Frau nickte verstandnisvoll. »Der Doktor erwartet Sie, Mrs. Parker. Ich hole jemanden, der Ihnen den Weg zeigt.« Eine tuchtige junge Schwester fuhrte Jennifer zu einem Untersuchungsraum am Ende des Flurs. »Ich sage Dr. Linden, da? Sie hier sind. Wurden Sie sich schon einmal ausziehen? Auf dem Bugel hangt ein Krankenhemd.«
Langsam zog Jennifer sich aus und legte das wei?e Klinikgewand an. Ein Gefuhl von Unwirklichkeit erfullte sie. Sie kam sich vor, als binde sie eine Metzgerschurze um. Sie stand kurz davor, das Leben in ihrem Scho? zu toten. Sie sah Blutspritzer auf der Schurze, das Blut ihres Babys. Sie begann zu zittern. Eine Stimme sagte: »Aber, aber. Entspannen Sie sich.« Jennifer blickte auf und sah einen stammigen, kahlkopfigen Mann mit einer horngerahmten Brille, die seinem Gesicht einen eulenhaften Ausdruck gab.
»Ich bin Dr. Linden.« Er blickte auf die Karte in seiner Hand. »Sie sind Mrs. Parker.« Jennifer nickte. Der Doktor beruhrte ihren Arm und sagte beruhigend: »Setzen Sie sich.« Er ging zum Waschbecken und fullte einen Pappbecher mit Wasser. »Trinken Sie das.« Jennifer gehorchte. Dr. Linden sa? in seinem Stuhl und beobachtete sie, bis das Zittern aufgehort hatte. »So. Sie wollen also eine Abtreibung durchfuhren lassen.«
»Ja.«
»Haben Sie daruber mit Ihrem Mann gesprochen?«
»Ja. Wir... wir wollen es beide.«
Er studierte sie. »Sie scheinen gesund zu sein.« «
»Es... es geht mir gut.«
»Ist es ein wirtschaftliches Problem?«
»Nein«, sagte Jennifer scharf. Warum behelligt er sie mit diesen Fragen? »Wir... wir konnen es einfach nicht bekommen.« Dr. Linden forderte eine Pfeife zutage. »Stort es Sie, wenn ich rauche?«
»Nein.«
Dr. Linden zundete die Pfeife an und sagte: »Dumme Angewohnheit.« Er lehnte sich zuruck und paffte ein paar Rauchwolken in die Luft.
»Konnen wir es nicht endlich hinter uns bringen?« Ihre Nerven waren bis zum au?ersten gespannt. Sie fuhlte, da? sie jeden Augenblick zu schreien beginnen konnte. Dr. Linden zog noch einmal lang an seiner Pfeife. »Ich glaube, wir sollten uns ein paar Minuten unterhalten.« Mit ubermenschlicher Willenskraft beherrschte Jennifer ihre Ungeduld. »Wie Sie meinen.«
»Das Dumme an Abtreibungen«, sagte Dr. Linden, »ist ihre Endgultigkeit. Jetzt konnen Sie es sich noch anders uberlegen, hinterher nicht mehr - wenn das Baby tot ist.«
»Ich werde es mir nicht anders uberlegen.« Er nickte und paffte weiter vor sich hin. »Das is t gut.« Der su?e Geruch des Tabaks lie? Jennifer mude werden. Sie wunschte, er wurde die Pfeife weglegen. »Dr. Linden...« Er stand widerstrebend auf und sagte: »Na gut, junge Frau, dann wollen wir Sie einmal anschauen.« Jennifer legte sich im Untersuchungsstuhl zuruck, die Fu?e auf den kalten Metallsteigbugeln. Sie fuhlte seine Finger in ihrem Korper herumtasten. Sie waren sanft und erfahren, und Jennifer fuhlte keine Verlegenheit, nur ein unbeschreibliches Gefuhl der Verlorenheit, einen tiefen Kummer. Unerwunschte Visionen tauchten vor ihren Augen auf, Bilder von ihrem Sohn, denn sie war sicher, es ware ein Sohn geworden, wie er spielte, im Garten herumlief und lachte, wie er aufwuchs, ein Abbild seines Vaters.
Dr. Linden hatte seine Untersuchung beendet. »Sie konnen sich jetzt anziehen, Mrs. Parker. Wenn Sie wollen, konnen Sie die Nacht uber hierbleiben, und morgen fruh werden wir dann die Operation durchfuhren.«
»Nein!« Jennifers Stimme klang scharfer als beabsichtigt. »Ich mochte es sofort gemacht haben.«
Dr. Linden studierte sie noch einmal, einen verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht.
»Ich habe noch zwei Patientinnen vor Ihnen. Ich schicke die Schwester zu Ihnen, damit sie ein paar Laboruntersuchungen durchfuhrt, und lasse Sie dann in Ihr Zimmer bringen. In etwa vier Stunden nehmen wir dann den Eingriff vor. Einverstanden?« Jennifer flusterte: »Einverstanden.«
Sie lag auf dem schmalen Krankenhausbett, die Augen geschlossen, und wartete auf Dr. Lindens Ruckkehr. An der Wand hing eine altmodische Uhr, und ihr Ticken erfullte den ganzen Raum. Aus dem Tick-Tack wurden Worte: Adams Sohn, Adams Sohn, Adams Sohn, unser Kind, unser Kind, unser Kind.
Jennifer konnte sich einfach nicht gegen das Bild des Babys wehren, das in diesem Augenblick in ihrem Leib war, das es gemutlich und warm hatte, das, geschutzt gegen die Welt, in der Fruchthulle in ihrem Scho? lebte. Sie fragte sich, ob es irgendeine instinktive, urzeitliche Furcht vor dem empfand, was mit ihm geschehen wurde. Sie fragte sich, ob es Schmerz empfinden wurde, wenn das Messer es totete. Sie pre?te die Hande gegen die Ohren, um das Ticken der Uhr abzuschalten. Sie stellte fest, da? sie begonnen hatte, heftig zu atmen, und da? ihr Korper schwei?bedeckt war. Sie horte ein Gerausch und offnete die Augen.
Dr. Linden stand uber sie gebeugt, einen besorgten Ausdruck auf dem Gesicht. »Geht es Ihnen gut, Mrs. Parker?«
»Ja«, flusterte Jennifer. »Ich mochte es nur hinter mich bringen.«
Dr. Linden nickte. »Genau das werden wir jetzt tun.« Er nahm eine Spritze von dem Tisch neben ihrem Bett und bewegte sich auf Jennifer zu. »Was ist darin?«
»Demerol und Phenergan, damit Sie sich entspannen. In ein paar Minuten gehen wir in den Operationssaal.« Er injizierte Jennifer den Inhalt der Spritze. »Ist das Ihre erste Abtreibung?«
»Ja.«
»Dann will ich Ihnen erklaren, wie wir vorgehen. Es ist eine schmerzlose und relativ einfache Prozedur. Im Operationssaal erhalten Sie eine vollstandige Narkose. Wenn Sie bewu?tlos sind, werden wir einen Spiegel in Ihre Vagina einfuhren, damit wir sehen konnen, was wir tun. Dann werden wir den Gebarmutterhals mit verschieden gro?en Metalldilatatoren erweitern und anschlie?end den Uterus mit einer Kurette auskratzen. Noch irgendwelche Fragen?«
»Nein.«
Ein warmes Gefuhl von Schlafrigkeit beschlich sie. Sie konnte spuren, wie ihre Spannung wie durch Zauberei verschwand und die Wande des Zimmers zu verschwimmen begannen. Sie hatte den Arzt noch etwas fragen wollen, aber sie wu?te nicht mehr, was es war... irgend etwas wegen des Babys... es schien nicht langer wichtig. Wichtig war einzig und allein, da? sie tat, was sie zu tun hatte. In ein paar Minuten wurde alles vorbei