In einem Akt von Selbstverteidigung fuhr der Arzt schlie?lich zu Jennifer hinaus und hielt ihr eine Predigt. »Mrs. Parker, ich habe noch nie ein gesunderes Baby gesehen als Ihren Sohn. Er mag zerbrechlich aussehen, aber er ist stark wie ein Ochse. Freuen Sie sich lieber, statt sich andauernd Sorgen zu bereiten. Denken Sie immer daran - er wird uns beide uberleben.«
Also begann Jennifer sich zu entspannen. Sie hatte Joshuas Zimmer mit Kattunvorhangen und einer Tagesdecke dekoriert, die auf blauem Untergrund wei?e Blumen und gelbe Schmetterlinge zeigten. Es gab eine Kinderkrippe, ein Spielstallchen, eine kleine Spielzeugkiste, einen Tisch, einen Stuhl und ein Schaukelpferd. Die Kiste war bis obenhin voll Spielzeug. Jennifer liebte es, Joshua im Arm zu halten, ihn zu baden, seine Windeln zu wechseln und ihn in seinem glanzenden, neuen Kinderwagen spazierenzufahren. Sie redete ununterbrochen mit ihm, und als er vier Wochen alt war, belohnte er sie mit einem Lacheln. Keine Blahungen, dachte Jennifer glucklich. Ein Lacheln!
Als Ken Bailey das Baby zum erstenmal erblickte, starrte er es lange schweigend an. In einem Anfall plotzlicher Panik dachte Jennifer: Er wird es erkennen. Er wird erkennen, da? es Adams Baby ist.
Aber Ken sagte nur: »Er ist eine richtige Schonheit. Er kommt ganz nach seiner Mutter.«
Sie lie? Ken Joshua auf den Arm nehmen und lachte uber seine Schuchternheit. Aber sie mu?te die ganze Zeit denken: Joshua wird nie einen Vater haben, der ihn in die Arme nimmt.
Sechs Wochen waren verstrichen, und es war allmahlich an der Zeit, wieder zu arbeiten. Jennifer ha?te den Gedanken, von ihrem Sohn getrennt zu sein, selbst fur ein paar Stunden am Tag, aber die Aussicht, wieder ins Buro zuruckzukehren, erfullte sie mit Vorfreude. So lange hatte sie sich von allen Vorgangen au?erhalb des Hauses abgeschlossen. Es war Zeit, wieder in die andere Welt einzutreten. Sie blickte in den Spiegel und beschlo?, da? sie sich als erstes wieder in Form bringen mu?te. Schon kurz nach Joshuas Geburt hatte sie begonnen, Diat zu halten und zu turnen, aber jetzt verstarkte sie ihren Einsatz, und bald ahnelte sie wieder ihrem alten Ich.
Danach begann sie, eine Haushalterin zu suchen. Sie prufte die Kandidatinnen, als waren sie Geschworene, stellte sie auf die Probe, suchte nach Schwachen, Lugen, Unfahigkeit. Mehr als zwanzig Anwarterinnen gingen durch ihr Verhor, bis sie eine gefunden hatte, die sie mochte und der sie vertraute - eine Schottin mittleren Alters namens Mrs. Mackey, die funfzehn Jahre fur dieselbe Familie gearbeitet hatte und erst gegangen war, als die Kinder erwachsen waren. Jennifer lie? Ken ihre Vergangenheit uberprufen, und als er ihr versicherte, da? mit Mrs. Mackey alles in Ordnung war, stellte Jennifer sie ein. Eine Woche spater ging sie wieder ins Buro.
30
Jennifer Parkers plotzliches Verschwinden hatte eine Flut von Geruchten in den Kanzleien in und um Manhattan ausgelost. Die Nachricht, da? sie wieder zuruck war, wurde mit ungeheurem Interesse aufgenommen. Der Empfang, der Jennifer am Morgen ihrer Ruckkehr zuteil wurde, hatte bald den Cha rakter eines Volksfestes, als auch noch Anwalte von benachbarten Buros vorbeikamen, um sie zu besuchen. Cynthia, Dan und Ted hatten Papierschlangen in den Raumen aufgehangt, dazwischen ein gro?es Schild mit der Aufschrift: Willkommen daheim! Es gab Champagner und Kuchen. »Um neun Uhr morgens?« protestierte Jennifer. Aber sie lie?en nicht locker.
»Hier ging es zu wie im Irrenhaus ohne dich«, teilte Dan Martin ihr mit. »Du hast so was nicht noch einmal vor, oder?« Jennifer blickte ihn an und sagte: »Nein, so was habe ich nicht noch einmal vor.«
Mehr und mehr unerwartete Gaste trafen ein, um sich zu vergewissern, da? es Jennifer gut ging, und um ihr Gluck zu wunschen. Fragen danach, wo sie gesteckt hatte, parierte sie mit einem Lacheln und dem Satz: »Wir haben keine Erlaubnis, daruber zu sprechen.«
Sie hielt den ganzen Tag Konferenzen mit ihren Mitarbeitern ab. Hunderte von telefonischen Mitteilungen hatten sich angesammelt.
Als Ken Bailey mit Jennifer allein in ihrem Buro war, sagte er: »Wei?t du, wer uns wahnsinnig gemacht hat, weil er dich unbedingt erreichen wollte?« Jennifers Herz tat einen Sprung. »Wer?«
»Michael Moretti.«
»Ach.«
»Er ist wirklich lastig. Als wir ihm nicht erzahlen wollten, wo du bist, lie? er uns schworen, da? es dir gutgeht.«
»Vergi? Michael Moretti.«
Jennifer informierte sich uber alle Falle, die die Kanzlei ubernommen hatte. Das Geschaft ging blendend. Sie hatten eine Menge wichtiger neuer Mandanten bekommen. Einige der alteren Klienten weigerten sich, mit irgend jemand au?er Jennifer zusammenzuarbeiten, und hatten auf ihre Ruckkehr gewartet.
»Ich rufe sie so bald wie moglich an«, versprach Jennifer. Sie sah den Rest der telefonischen Nachrichten durch. Ein Dutzend Anrufe von Mr. Adams waren verzeichnet. Vielleicht hatte sie Adam wissen lassen sollen, da? es ihr gutging und da? ihr nichts zugesto?en war. Aber sie wu?te, da? sie es nicht ertragen konnte, seine Stimme zu horen, zu wissen, da? er in der Nahe war, da? sie ihn aber nicht sehen, beruhren, umarmen konnte. Oder ihm von Joshua erzahlen. Cynthia hatte einige Zeitungsartikel ausgeschnitten und zusammengeheftet, von denen sie glaubte, sie konnten Jennifer interessieren. Unter den Ausschnitten befand sich eine Fortsetzungsserie uber Michael Moretti, in der er als der wichtigste Mafiabo? des Landes bezeichnet wurde. Unter einem Foto von ihm stand die Legende: Ich bin nur ein Versicherungskaufmann.
Es dauerte drei Monate, bis Jennifer ihren Ruckstand aufgearbeitet hatte. Sie hatte es schneller schaffen konnen, aber sie legte Wert darauf, das Buro jeden Tag um vier Uhr zu verlassen, was auch immer anstand. Joshua wartete. Morgens, bevor Jennifer ins Buro ging, bereitete sie personlich Joshuas Fruhstuck und spielte so lange wie moglich mit ihm, ehe sie das Haus verlie?.
Wenn sie nachmittags nach Hause zuruckkehrte, widmete sie Joshua ihre ganze Zeit. Sie zwang sich, ihre beruflichen Sorgen im Buro zuruckzulassen, und lehnte alle Falle ab, die sie von ihrem Sohn fernhalten konnten. Nichts durfte in ihre private Welt eindringen. Sie liebte es, Joshua laut vorzulesen. »Er ist ein Saugling, Mrs. Parker«, protestierte Mrs. Mackey. »Er versteht nicht ein einziges Wort von dem, was Sie sagen.« Aber Jennifer antwortete nur: »Joshua versteht.« Und sie las weiter.
Joshua war ein niemals endendes Wunder. Als er drei Monate alt war, begann er zu gurren und versuchte, mit Jennifer zu sprechen. Er spielte in seiner Krippe mit einem gro?en, rasselnden Ball und einem Spielzeughasen, den Ken ihm mitgebracht hatte. Als er sechs Monate war, versuchte er bereits aus seiner Krippe zu krabbeln, neugierig auf die Welt au?erhalb. Jennifer hielt ihn in den Armen, und er griff mit seinen winzigen Handen nach ihren Fingern, und sie fuhrten lange, ernsthafte Gesprache.
Jennifers Tage im Buro waren ausgefullt. Eines Morgens erhielt sie einen Anruf von Philip Redding, dem Prasidenten einer gro?en Olgesellschaft.
»Ich wurde mich gern mit Ihnen treffen«, sagte er. »Ich habe ein Problem.«
Jennifer brauchte ihn nicht zu fragen, um welches Problem es sich handelte. Seine Gesellschaft war beschuldigt worden, Bestechungsgelder gezahlt zu haben, um im Nahen Osten ihren Geschaften nachgehen zu konnen. Die Vertretung der Firma wurde ihr ein hohes Honorar einbringen, aber Jennifer hatte einfach keine Zeit.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich stehe nicht zur Verfugung, aber ic h kann Ihnen einen Kollegen empfehlen, der sehr gut ist.«
»Man hat mir gesagt, ich durfe kein Nein akzeptieren«, erwiderte Philip Redding. »Wer hat das gesagt?«
»Ein Freund von mir. Richter Lawrence Waldman.« Jennifer glaubte, sich verhort zu haben. »Richter Waldman hat Sie gebeten, mich anzurufen?«
»Er sagte, Sie seien der beste Anwalt, den ich kriegen konnte, aber das wu?te ich schon vorher.«
Jennifer hielt den Horer in der Hand und dachte an ihre fruheren Erfahrungen mit Richter Waldman und daran, wie sicher sie gewesen war, da? er sie ha?te und erledigen wollte. »Einverstanden. Wir konnen morgen miteinander fruhstucken«, sagte Jennifer.
Nach dem Gesprach mit Redding rief sie Richter Waldman an. »Nanu, wir haben ja schon lange nicht mehr miteinander gesprochen, junge Dame«, klang die vertraute Stimme aus dem Horer.
»Ich mochte mich bedanken, weil Sie Philip Redding an mich verwiesen haben.«