»Vorher. Ich wei? noch, da? ich mir wunschte, sie sollten doch aufhoren, daruber zu schreiben. Ich wollte mit Tammy weggehen, und ich hatte Angst, jemand konnte uns aufhalten.«

»Also konnte jeder von der Entfuhrung gelesen und ein Losegeld herauszuschlagen versucht haben?« Jack Scanion rang hilflos die Hande. »Ich wei? nicht. Ich wei? nur, da? ich tot sein mochte.«

Sein Schmerz war offensichtlich, da? Jennifer bewegt war. Wenn er die Wahrheit sagte - und die war eindeutig aus seinem Gesicht abzulesen -, dann verdiente er fur seine Tat nicht den Tod. Er sollte bestraft werden, ja, aber nicht hingerichtet.

Jennifer traf ihre Entscheidung. »Ich werde versuchen, Ihnen zu helfen.«

Er sagte leise: »Ich danke Ihnen, aber in Wirklichkeit ist es mir gleich, was aus mir wird.«

»Aber mir nicht.«

Jack Scanion sagte: »Ich furchte, ich - ich habe kein Geld, um Sie zu bezahlen.«

»Lassen Sie das meine Sorge sein. Bitte, erzahlen Sie mir von sich.«

»Was wollen Sie wissen?«

»Alles, von Anfang an. Wo wurden Sie geboren?«

»In Norddakota, vor funfunddrei?ig Jahren. Ich wurde auf einer Farm geboren. Ich glaube, man kann es eine Farm nennen, auch wenn es nur ein armseliges Stuck Land war, auf dem nicht viel wuchs. Wir waren arm. Ich ging von zu Hause weg, als ich funfzehn war. Meine Mutter habe ich geliebt, aber meinen Vater ha?te ich. Ich wei?, die Bibel sagt, man soll nicht schlecht von seinen Eltern reden, aber er war ein boser Mensch. Es machte ihm Spa?, mich auszupeitschen.« Jennifer konnte sehen, wie sich sein Korper anspannte, als er fortfuhr.

»Ich meine, es machte ihm wirklich Spa?. Wenn ich den kleinsten Fehler beging, schlug er mich mit einem Ledergurtel mit einer gro?en Eisenschnalle am Ende. Dann mu?te ich niederknien und Gott um Vergebung anflehen. Lange Zeit habe ich Gott genauso geha?t wie meinen Vater.« Er schwieg, von seinen Erinnerungen uberwaltigt. »Sie sind von zu Hause weggerannt?«

»Ja. Per Anhalter bin ich nach Chicago getrampt. Ich hatte nicht viel gelernt, aber zu Hause habe ich immer viel gelesen. Wenn mein Vater mich erwischte, war das ein weiterer Grund fur eine Auspeitschung. In Chicago bekam ich einen Job in einer Fabrik. Da traf ich Evelyn. Ich geriet mit der Hand zu nah an eine Frase und verletzte mich. Sie brachten mich zur Poliklinik, und da war sie. Sie war Krankenschwester.« Er lache lte Jennifer an. »Sie war die schonste Frau, die ich je gesehen habe. Es dauerte ungefahr zwei Wochen, bis meine Hand verheilt war, und ich ging jeden Tag zur Behandlung zu Evelyn. Danach gingen wir miteinander. Wir sprachen davon, zu heiraten, aber die Firma verlor einen gro?en Auftrag, und ich wurde zusammen mit dem Rest meiner Abteilung entlassen. Evelyn machte das nichts aus. Wir heirateten, und sie kummerte sich um mich. Das war die einzige Sache, uber die wir jemals gestritten haben. Ich wurde in dem Glauben erzogen, da? ein Mann seine Frau ernahren mu?. Ich kriegte einen Job als Lastwagenfahrer, und die Bezahlung war gut. Das einzige, was ich daran furchtbar fand, war, da? wir oft getrennt waren, manchmal eine ganze Woche lang. Abgesehen davon war ich unheimlich glucklich. Wir waren beide glucklich. Und dann wurde Evelyn schwanger.«

Ein Schauder durchlief ihn. Seine Hande begannen zu zittern. »Evelyn und das Kind starben.« Tranen rannen uber seine Wangen. »Ich wei? nicht, warum Gott das getan hat. Er mu ? einen Grund gehabt haben, aber ich wei? nicht, welchen.« Er wiegte sich in seinem Stuhl vor und zuruck, ohne es zu merken, die Arme gegen die Brust gepre?t, als wollte er seinen Kummer daran hindern, hervorzubrechen. »Ich will dir den Weg weisen, den du gehen mu?t; ich werde an deiner Seite sein.« Jennifer dachte: Den wird der elektrische Stuhl nicht kriegen. »Ich komme morgen wieder«, versprach sie ihm.

Die Kaution war auf zweihunderttausend Dollar festgesetzt worden. Jack Scanion hatte kein Geld, so da? Jennifer es fur ihn auftrieb. Scanion wurde aus dem Gefangnis entlassen, und Jennifer suchte ihm ein kleines Hotel an der West Side.

Sie gab ihm hundert Dollar, damit er sich uber Wasser halten konnte.

»Ich wei? nicht, wie, aber ich zahle Ihnen jeden Cent zuruck«, sagte Jack Scanion. »Ich werde mir einen Job suchen, ganz egal, was fur einen. Ich werde alles annehmen.«

Als Jennifer ihn verlie?, las er gerade die Stellenangebote.

Der Staatsanwalt Earl Osborne war ein gro?er, stammiger Mann mit einem weichen, runden Gesicht und tauschend sanften Manieren. Zu Jennifers Uberraschung hielt sich auch Robert Di Silva in Osbornes Buro auf. »Ich habe gehort, da? Sie den Fall ubernommen haben«, sagte Di Silva. »Ihnen ist nichts zu dreckig, was?« Jennifer wandte sich an Earl Osborne. »Was hat der hier zu suchen? Dies ist Bundessache.«

Osborne erwiderte: »Scanion hat das Madchen im Wagen ihrer Eltern entfuhrt.« »Autodiebstahl«, sagte Di Silva.

Jennifer fragte sich, ob er auch dann hier gewesen ware, wenn sie nichts mit dem Fall zu tun hatte. Sie wandte sich wieder an Earl Osborne.

»Ich schlage Ihnen einen Handel vor«, sagte Jennifer. »Mein Mandant...«

Earl Osborne hob die Hand. »Vergessen Sie's. Diese Sache ziehen wir bis zum Ende durch.« »Es gibt Umstande...«

»Daruber konnen Sie uns alles bei der Voruntersuchung erzahlen.«

Di Silva grinste sie an.

»Gut«, sagte Jennifer. »Ich sehe Sie vor Gericht.«

Jack Scanion fand einen Job in einer Werkstatt an der West

Side in der Nahe seines Motels, und Jennifer schaute auf einen

Sprung herein.

»Die Voruntersuchung ist ubermorgen«, informierte sie ihn. »Ich werde versuchen, die Anklage dazu zu bringen, da? sie einem Schuldbekenntnis in einem geringeren Vergehen zustimmt. Sie werden einige Jahre sitzen mussen, Jack, aber ich werde dafu r sorgen, da? es so kurz wie moglich ausfallt.« Die Dankbarkeit in seinem Gesicht war Belohnung genug. Auf Jennifers Vorschlag hatte Scanion einen Anzug gekauft, damit er bei der Voruntersuchung einen respektablen Eindruck machte. Er hatte sich das Haar schneiden lassen und den Bart gestutzt, Jennifer war mit seiner Erscheinung zufrieden.

Earl Osborne hatte sein Beweismaterial vorgelegt und um eine formelle Anklageverfugung gebeten. Richter Barnard wandte sich an Jennifer.

»Mochten Sie irgend etwas dazu sagen, Mi? Parker?«

»Ja, Euer Ehren. Ich mochte der Regierung die Kosten fur einen Proze? sparen. Es gibt mildernde Umstande, uber die noch nicht gesprochen wurde. Ich mochte die Anklage in eine weniger schwere Beschuldigung abgemildert sehen, derer mein Mandant sich schuldig bekennen wurde.«

»Auf keinen Fall«, sagte Earl Osborne. »Die Regierung verweigert ihre Zustimmung.«

Jennifer wandte sich an Richter Barnard. »Konnten wir das in Ihren Raumen besprechen, Euer Ehren?«

»Einverstanden. Ich setze den Termin fur die Verhandlung fest, nachdem ich gehort habe, was die Verteidigung zu sagen hat.«

Jennifer wandte sich an Jack Scanion, der verwirrt auf seinem Platz stand.

»Sie konnen wieder an Ihre Arbeit gehen«, erklarte Jennifer ihm. »Ich komme vorbei und lasse Sie wissen, wie es ausgegangen ist?«

Er nickte und sagte leise: »Danke, Mi? Parker.« Jennifer sah ihn den Gerichtssaal verlassen.

Jennifer, Earl Osborne, Robert Di Silva und Richter Barnard sa?en im Buro des Richters.

Osborne sagte zu Jennifer: »Ich verstehe nicht, wie Sie mich auch nur fragen konnten, ob ich mit einem solchen Handel einverstanden ware. Kidnapping fur Losegeld ist ein Kapitalverbrechen. Ihr Mandant ist schuldig, und er wird fur seine Tat bezahlen.«

»Glauben Sie doch nicht alles, was Sie in den Zeitungen lesen, Earl. Jack Scanion hat nichts mit der Losegeldforderung zu tun.«

»Wen wollen Sie denn jetzt auf den Arm nehmen? Wenn es nicht wegen des Losegeldes war, weswegen dann?«

»Das werde ich Ihnen sagen«, meinte Jennifer. Und sie erzahlte ihnen von der Farm und den Prugeln und der Liebe zwischen Jack und Evelyn und ihrer Heirat und dem Tod seiner Frau und des Babys bei der Geburt. Sie horten schweigend zu, und als Jennifer fertig war, fragte Di Silva:

»Also hat Jack Scanion das Madchen entfuhrt, weil es ihn an das Kind erinnerte, das er bekommen hatte? Und Jack Scanions Frau starb im Kindbett?«

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