Jennifer hatte immer geahnt, da? sie ein gro?es Risiko eingehen wurde, wenn sie fur die Organisation arbeitete, aber, wie die meisten Au?enseiter, hatte sie eine falsche Vorstellung von der Beschaffenheit dieser Organisation. Die meisten Menschen stellten sich die Mafia als einen Haufen von Schurken vor, die im Hinterzimmer einer Kneipe herumsa?en, Mordauftrage vergaben und das Geld zahlten, das Bordelle und Buchmacher ihnen einbrachten. Aber das war nur ein Teil des Bildes. Die Konferenzen, bei denen Jennifer anwesend war, verschafften ihr Einblicke in den Rest: Sie hatte es mit Geschaftsleuten zu tun, die auf einer atemberaubenden Bandbreite operierten. Ihnen gehorten Hotels und Banken, Restaurants und Casinos, Versicherungsgesellschaften und Fabriken, Baufirmen und ganze Krankenhausketten. Sie kontrollierten Gewerkschaften und Schiffahrtslinien. Sie waren im Plattengeschaft und verkauften Automaten. Ihnen gehorten Beerdigungsinstitute, Backereien und Ingenieurburos. Ihr jahrliches Einkommen bezifferte sich auf Milliarden. Wie sie sich all diese Geschaftszweige angeeignet hatten, ging Jennifer nichts an. Sie war nur fur die Verteidigung zustandig, wenn einer von ihnen Arger mit dem Gesetz bekam.

Robert Di Silva erhob gegen drei von Michael Morettis Mannern Anklage, weil sie eine Gruppe von Imbi?stuben um Schutzgebuhren angegangen waren. Sie wurden der Verschworung zum Zweck der Geschaftsstorung durch Erpressung beschuldigt sowie sieben weiterer Anklagepunkte der Rubrik Einmischung in den Handelsverkehr. Die einzige Zeugin gegen die Manner war eine Frau, der einer der Imbi?stande gehort hatte.

»Sie wird uns aus den Schuhen pusten«, sagte Michael zu Jennifer. »Wir mussen uns ihrer annehmen.«

»Dir gehort doch ein Teil von einem Zeitschriftenverlag, oder?« wollte Jennifer wissen. »Ja. Aber was hat das mit Imbi?standen zu tun?«

»Das wirst du schon merken.«

Jennifer kummerte sich darum, da? ein Magazin der Zeugin eine gro?e Summe fur ihre Geschichte anbot. Die Zeugin ging darauf ein. Vor Gericht benutzte Jennifer das, um die Motive der Frau ins Zwielicht zu rucken, und die Beschuldigungen wurden fallengelassen.

Jennifers Verhaltnis zu ihren Partnern in der Kanzlei hatte sich verandert. Als das Buro immer mehr Mafiafalle ubernahm, kam Ken Bailey eines Tages in ihr Buro und sagte: »Was geht hier eigentlich vor? Du kannst nicht dabei bleiben, diese

Halunken zu verteidigen. Sie werden uns ruinieren.« »Mach dir daruber keine Sorgen, Ken. Sie werden bezahlen.« »Du kannst doch nicht so naiv sein. Am Ende wirst du bezahlen mussen. Spatestens dann, wenn sie dich am Haken haben.«

Weil sie wu?te, da? er im Recht war, sagte Jennifer argerlich: »Ich will nichts mehr daruber horen, Ken.« Er sah sie lange an und sagte dann: »Einverstanden. Du bist der Bo?.«

Die Gerichtsszene war eine kleine Welt, und Neuigkeiten verbreiteten sich schnell. Als bekannt wurde, da? Jennifer Parker Mitglieder der Organisation verteidigte, tauchten wohlmeinende Freunde bei ihr auf und wiederholten dasselbe, was ihr schon Richter Lawrence Waldman und Ken Bailey erzahlt hatten.

»Wenn du dich mit solchen Leuten einla?t, wirst du mit derselben Burste gestriegelt werden.«

Jennifer sagte allen das gleiche: »Jeder hat ein Recht auf einen fairen Proze?.«

Sie wu?te ihre Warnungen zu schatzen, aber sie fand sie in ihrem Fall nicht zutreffend. Sie gehorte nicht zur Organisation, sie verteidigte lediglich einige ihrer Mitglieder. Sie war ein Anwalt wie ihr Vater und sie wurde nichts tun, das ihn dazu gebracht hatte, sich fur sie zu schamen. Es gab den Dschungel, naturlich, aber sie war immer noch drau?en.

Pater Ryan war zu Besuch gekommen. Diesmal bat er nicht um Hilfe fur eines seiner Schafchen.

»Ich mache mir Sorgen um Sie, Jennifer. Ich habe gehort, da? Sie - nun, die falsche n Leute vertreten.«

»Wer sind die falschen Leute? Haben Sie die Menschen gerichtet, die Sie um Hilfe gebeten haben? Halten Sie Leute von Gott fern, weil sie gesundigt haben?«

Pater Ryan schuttelte den Kopf. »Naturlich nicht. Aber es ist eine Sache, wenn ein Mensch einen Fehler begeht. Eine ganz andere Sache ist es dagegen, wenn Korruption und Verbrechen organisiert sind. Wenn Sie diesen Leuten helfen, billigen Sie damit ihr Tun. Sie tragen dazu bei.«

»Nein, Pater Ryan. Ich bin Anwalt. Ich helfe Leuten aus ihren Schwierigkeiten.«

Jennifer lernte Michael Moretti besser kennen als jeder vor ihr. Ihr gegenuber gab er sich Blo?en, die er niemals zuvor jemandem gezeigt hatte. Im Grunde war er ein einsamer, verschlossener Mann, und Jennifer hatte es als einzige geschafft, ihn aus seinem Schneckenhaus hervorzulocken. Sie hatte das Gefuhl, da? er sie brauchte, und dieses Gefuhl hatte sie bei Adam nie gehabt. Michael hatte sie auch dazu gebracht, zuzugeben, wie sehr sie ihn brauchte. Er hatte Regungen in ihr blo?gelegt - wilde, atavistische Leidenschaften -, die sie immer unterdruckt und vor denen sie Angst gehabt hatte. Bei Michael hatte sie keine Hemmungen. Wenn sie zusammen im Bett waren, gab es kein Halt, keine Barrieren. Nur Lust und Befriedigung in einem Ausma?, da s Jennifer nie fur moglich gehalten hatte.

Michael hatte Jennifer gestanden, da? er Rosa nicht liebte, aber es war offensichtlich, da? Rosa ihn verehrte. Sie war ihm immer zu Diensten und stand bereit, wenn er etwas brauchte. Jennifer traf die Frauen anderer Mafiosi und war fasziniert von ihrem Leben. Ihre Ehemanner gingen in Restaurants und Bars, trieben sich mit Geliebten herum, wahrend sie zu Hause blieben und auf sie warteten.

Die Frau eines Mafioso erhielt immer ein gro?zugig bemessenes Haushaltsgeld, aber sie mu?te sehr genau aufpassen, wie und wofur sie es ausgab, damit sie nicht die Aufmerksamkeit des Finanzamtes auf sich zog.

Es gab eine Hackordnung, die vom einfachen soldato bis zum capo di tutti capi reichte, und eine Frau besa? niemals einen teureren Pelz oder Wagen als die Frau des unmittelbaren Vorgesetzten ihres Mannes.

Die Frauen gaben Parties fur die Geschaftsfreunde ihrer Manner, aber sie durften niemals verschwenderischer sein, als ihre Position es ihnen im Vergleich zu den anderen gestattete. Bei Hochzeiten oder Kindstaufen durfte eine Frau nie mehr Geld fur Geschenke ausgeben als die Frau eine Stufe uber ihr in der Hierarchie. Die Etikette war nicht weniger streng als die von U. S. Steel oder einem anderen gro?en Konzern. Die Mafia bestand aus zwei gleichwertigen Elementen: Geld und Macht.

»Die Organisation ist gro?er als die meisten Regierungen der Welt«, sagte Michael oft. »Wir setzen mehr um als ein halbes Dutzend der bedeutendsten amerikanischen Konzerne zusammen.«

»Es gibt nur einen Unterschied«, meinte Jennifer. »Sie stehen auf dem Boden der Gesetze, wahrend...« Michael lachte. »Du meinst, die sind noch nicht geschnappt worden. Dutzende der gro?ten Konzerne dieses Landes haben schon vor Gericht gestanden, weil sie ein Gesetz gebrochen haben. Mach dir nichts vor, Jennifer. Der Durchschnittsamerikaner kann dir keine zwei Astronauten nennen, die im Weltall waren, aber jeder kennt die Namen Al Capone und Lucky Luciano.«

Auf seine Weise setzte Michael sich fur seine Ziele mit der gleichen Entschlossenheit ein wie Adam Warner fur die Seinen. Der Unterschied bestand darin, da? ihre Wege in entgegengesetzter Richtung verliefen.

Wenn es um Geschafte ging, war Michael vollig gefuhllos, und darin lag seine Starke. Er traf Entscheidungen ausschlie?lich auf der Basis, ob sie der Organisation nutzten oder nicht. In der Vergangenheit hatte Michael sich ausschlie?lich darum gekummert, seine Ziele zu erreichen und seine Ambitionen zu erfullen. Fur Gefuhle einer Frau gegenuber war in seinem Leben kein Platz gewesen. Weder Rosa noch seine Freundinnen hatte er jemals wirklich gebraucht. Bei Jennifer verhielt es sich anders. Er brauchte sie, wie er noch nie eine Frau gebraucht hatte. Er hatte niemals jemanden wie sie gekannt. Sie erregte ihn korperlich, aber das hatten auch Hundert andere getan. Das Besondere an Jennifer war ihre Intelligenz, ihre Unabhangigkeit. Rosa gehorchte ihm; andere Frauen furchteten ihn; Jennifer forderte ihn heraus. Sie war ein gleichberechtigter Partner. Er konnte mit ihr reden, Geschafte mit ihr diskutieren. Sie war mehr als intelligent. Sie war klug. Er wu?te, da? er sie nie gehen lassen wurde.

Gelegentlich unternahm Jennifer Geschaftsreisen mit Michael, aber sie vermied lange Abwesenheiten, wenn sie konnte, weil sie soviel Zeit wie moglich mit Joshua verbringen wollte. Er war jetzt sechs und wuchs unglaublich schnell. Jennifer hatte ihn in eine nahe gelegene Privatschule gegeben, und der Unterricht bereitete ihm Spa?. Er hatte ein Fahrrad, besa? eine Flotte von Spielzeugautos und fuhrte lange, ernsthafte Gesprache mit Jennifer und Mrs. Mackey. Jennifer wollte, da? Joshua als Erwachsener stark und unabhangig war, und deswegen wog sie ihr Verhalten ihm gegenuber sorgfaltig ab, lie? ihn wissen, wie sehr sie ihn liebte und da? sie immer fur ihn da war, wenn er sie brauchte, und lie? ihn dennoch ein Gefuhl eigener Unabhangigkeit entwickeln. Sie lehrte ihn die Liebe zu guten Buchern und die Freude an der Musik. Sie nahm ihn mit ins Theater, mied aber Premierenabende, um

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