Jennifer schlug einen anderen Ton an. »Michael, denk nach. Das ist nicht die erste Untersuchung, die du erlebst. Wie lange dauern sie? Funf Minuten, nachdem der Senator fertig ist, wird er sich einer anderen Sache annehmen, und diese ist vergessen. Die Fabriken, die sie geschlossen haben, werden wieder eroffnet, und wir sind wieder im Geschaft. Auf diese Weise hat es keine Nachwirkungen. Wenn wir es auf deine Weise handhaben, wird es kein Ende nehmen.«

»Ich bin anderer Meinung«, sagte Thomas Colfax. »Ich glaube...«

Michael Moretti fuhr ihn an: »Niemand hat dich um deine Meinung gebeten.«

Thomas Colfax zuckte zusammen, als ware er geschlagen worden. Michael achtete nicht darauf. Colfax wandte sich an Antonio Granelli, um seine Unterstutzung zu erbitten. Der alte Mann war eingeschlafen.

Michael sagte zu Jennifer: »Einverstanden, wir lassen Warner furs erste in Ruhe.«

Jennifer merkte, da? sie den Atem angehalten hatte. Langsam atmete sie aus. »Sonst noch was?«

»Ja.« Michael zundete sich eine Zigarette mit einem schweren Goldfeuerzeug an. »Einer unserer Freunde, Marco Lorenzo, ist wegen Erpressung und Raububerfall verurteilt worden.« Jennifer hatte davon gelesen. Den Zeitungen nach war Lorenzo ein geborener Verbrecher mit einer langen Liste von Festnahmen wegen Gewaltverbrechen. »Mochtest du, da? ich Berufung einlege?«

»Nein, ich mochte, da? du dafur sorgst, da? er ins Gefangnis kommt.«

Jennifer blickte ihn uberrascht an.

Michael legte das Feuerzeug wieder auf den Tisch. »Ich habe gehort, da? Di Silva ihn zuruck nach Sizilien deportieren lassen will. Marco hat Feinde dort unten. Wenn er zuruckgeschickt wird, bleibt er keine vierundzwanzig Stunden am Leben. Der sicherste Ort fur ihn ist Sing Sing. Wenn sich in ein oder zwei Jahren alles abgekuhlt hat, holen wir ihn heraus. Kannst du dich darum kummern?«

Jennifer zogerte. »Wenn wir in einem anderen Gerichtsbezirk waren, vielleicht. Aber Di Silva wird sich mit mir auf keinen Handel einlassen.«

Thomas Colfax sagte rasch: »Vielleicht sollte jemand anderer das in die Hand nehmen.«

»Wenn ich jemand anderen gewollt hatte«, blaffte Michael, »hatte ich das gesagt.« Er wandte sich wieder an Jennifer. »Ich mochte, da? du es ubernimmst.«

Michael Moretti und Nick Vito sahen Thomas Colfax vom Fenster aus in seinen Wagen steigen und davonfahren.

Michael sagte: »Nick, ich mochte, da? du ihn aus dem Weg raumst.«

»Colfax?«

»Ich kann ihm nicht mehr vertrauen. Er lebt mit dem alten Mann in der Vergangenheit.«

»Wie du willst, Mike. Wann soll ich es erledigen?«

»Bald. Ich sage dir Bescheid.«

Jennifer sa? in Richter Lawrence Waldmans Buro. Sie hatte ihn uber ein Jahr lang nicht mehr gesehen. Die freundschaftlichen Telefonanrufe und Einladungen zum Essen hatten aufgehort. Nun, das lie? sich nicht andern, dachte Jennifer. Sie mochte Lawrence Waldman, und sie bedauerte es, seine Freundschaft verloren zu haben, aber sie hatte ihre Wahl getroffen. In unbehaglichem Schweigen warteten sie auf Robert Di Silva und gaben sich nicht die Muhe, unverbindlich miteinander zu plaudern. Als der Staatsanwalt eintraf, begann die Unterredung.

Richter Waldman sage zu Jennifer: »Bobby sagt, Sie wollen einen Handel vorschlagen, ehe ich das Urteil uber Lorenzo verkunde.«

»Das ist richtig.« Jennifer wandte sich an Staatsanwalt Di Silva. »Ich glaube, es ware ein Fehler, Marco Lorenzo nach Sing Sing zu schicken. Er gehort nicht dorthin. Er ist ein illegaler Einwanderer. Ich finde, er sollte nach Sizilien deportiert werden, wo er herkam.«

Di Silva sah sie uberrascht an. Er hatte die Deportierung empfehlen wollen, aber wenn Jennifer Parker das auch wollte, dann mu?te er seine Entscheidung umsto?en. »Warum schlagen Sie das vor?« fragte er. »Aus verschiedenen Grunden. Erstens wird ihn das davon abhalten, hier noch weitere Verbrechen zu begehen, und...«

»Eine Zelle in Sing Sing hatte den gleichen Effekt.« »Lorenzo ist ein alter Mann. Er wird es nicht aushalten, eingesperrt zu werden. Er wird durchdrehen, wenn man ihn ins Gefangnis steckt. Seine ganzen Freunde sind in Sizilien. Dort kann er in der Sonne leben und in Frieden in den Armen seiner Familie sterben.«

Di Silvas Mund wurde schmal vor Wut. »Wir reden von einem Verbrecher, der sein Leben damit zugebracht hat, zu rauben, zu toten und Frauen zu vergewaltigen, und Sie machen sich daruber Sorgen, ob er auch bei seinen Freunden in der Sonne sein kann?« Er wandte sich an Richter Waldman. »Sie ist phantastisch!«

»Marco Lorenzo hat ein Recht auf...« Di Silva schlug mit der Faust auf den Tisch. »Er hat uberhaupt keine Rechte! Er ist der Erpressung und des Raubes schuldig gesprochen worden.«

»Wenn in Sizilien ein Mann...«

»Er ist nicht in Sizilien, verdammt noch mal!« schrie Di Silva. »Er ist hier! Er hat die Verbrechen hier begangen, und hier wird er auch dafur bezahlen.« Er stand auf. »Euer Ehren, wir verschwenden Ihre Zeit. Der Staat lehnt jeden Handel in diesem Fall ab. Wir bitten darum, da? Marco Lorenzo nach Sing Sing geschickt wird.«

Richter Waldman wandte sich an Jennifer. »Haben Sie noch etwas zu sagen?«

Sie blickte Robert Di Silva argerlich an. »Nein, Euer Ehren.« Richter Waldman sagte: »Das Urteil wird morgen verkundet werden. Sie sind beide entlassen.«

Di Silva und Jennifer erhoben sich und verlie?en das Buro. Im Korridor wandte sich der Staatsanwalt an Jennifer und lachelte. »Scheint nicht mehr alles zu Gold zu werden, was Sie beruhren, Frau Kollegin.«

Jennifer zuckte mit den Schultern. »Man kann nicht immer gewinnen.«

Funf Minuten spater rief sie Michael Moretti aus einer Telefonzelle an.

»Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen. Marco Lorenzo wird nach Sing Sing kommen.«

41

Die Zeit flo? dahin wie ein Flu? ohne Ufer, Quelle oder Mundung. Sie zerfiel nicht mehr in Winter, Fruhling, Herbst oder Sommer, sondern in Geburtstage und freudige, traurige oder schmerzliche Ereignisse. Es gab gewonnene und verlorene Prozesse, die Wirklichkeit Michaels und die Erinnerung an Adam. Aber in erster Linie war Joshua das Ma? der Zeit, ein taglicher Kalender, an dem sich ablesen lie?, wie schnell die Jahre verstrichen.

Er war unglaublicherweise schon sieben. Uber Nacht, so schien es, hatten Sport und Modellflugzeuge die Buntstifte und Bilderbucher ersetzt. Joshua war gro? geworden, und er ahnelte seinem Vater jeden Tag mehr, aber nicht nur in der korperlichen Erscheinung. Er war sensibel, hoflich, und er hatte einen ausgepragten Sinn fur Fairne?. Wenn Jennifer ihn fur etwas bestrafte, protestierte Joshua trotzig: »Ich bin zwar erst einen Meter zwanzig gro?, aber ich habe auch meine Rechte.«

Er war eine Miniaturausgabe von Adam, mit der gleichen Vorliebe fur Sport. Am Wochenende sah er sich jede Sportsendung im Fernsehen an - Football, Baseball, Basketball, egal was. Am Anfang hatte Jennifer ihn allein zuschauen lassen, aber als er hinterher versucht hatte, mit ihr uber die Spiele zu diskutieren, und als sie dabei vollstandig ins Schwimmen geraten war, hatte sie beschlossen, in Zukunft auch zuzuschauen. Und so sa?en sie nebeneinander vor dem Fernsehapparat, mampften Popcorn und feuerten die Spieler an.

Eines Tages kehrte Joshua von einem Ballspiel nach Hause zuruck, einen nachdenklichen Ausdruck auf dem Gesicht, und fragte: »Mama, konnen wir uns mal von Mann zu Mann unterhalten?«

»Sicher, Joshua.«

Sie setzten sich an den Kuchentisch, und Jennifer bereitete ihm ein Erdnu?buttersandwich und go? ein Glas Milch ein. »Was hast du fur Kummer?«

Seine Stimme klang ernsthaft und sehr besorgt. »Nun, ich habe die anderen Jungs reden gehort, und ich habe mich nur gefragt - glaubst du, da? es noch Sex gibt, wenn ich gro? bin?«

Jennifer hatte einen schmalen Newport-Segler gekauft, und am Wochenende unternahmen sie und Joshua Segeltorns auf dem Sund. Jennifer beobachtete gern sein Gesicht, wenn er im Bug des Boots sa?. Er trug ein aufgeregtes kleines Lacheln, er war ein geborener Segler wie sein Vater. Der Gedanke brachte Jennifer ruckartig wieder in die Wirklichkeit zuruck. Sie fragte sich, ob sie ihr Leben mit Joshua als Adams Stellvertreter zu leben

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