»Was ist mit Stefan Bjork?«
»Alles ist vorbereitet. Er wird morgen fruh entlassen.« Der Inspektor sagte etwas auf chinesisch zu dem Fahrer, und der Wagen wendete mitten auf der Stra?e. »Sie haben die Kallang-Stra?e noch nicht gesehen. Sie werden sie au?erst interessant finden.«
Der Wagen bog nach links in die Lavender Street, dann einen Block weiter nach rechts in Richtung Kallang Bahru. Gro?e Abbildungen warben fur Blumenzuchter und Sarghersteller. Einige Blocks weiter wendete der Wagen erneut. »Wo sind wir?«
Inspektor Touh blickte sie an und sagte leise: »Wir sind auf der Stra?e ohne Namen und ohne Ruckkehr.« Der Wagen fuhr jetzt sehr langsam. Zu beiden Seiten der Stra?e gab es ausschlie?lich Bestattungsunternehmen, eins neben dem anderen- Tan Kee Seng, Clin Noh, Ang Yung Long, Goh Soon. Direkt vor ihnen fand eine Beerdigung statt. Die Trauernden waren wei? gekleidet, und eine aus Tuba, Saxophon und Schlagzeug bestehende Kapelle spielte. Der Leichnam lag auf einem von Blumengewinden umgebenen Tisch, und ein gro?es Foto des Verstorbenen stand auf einer Staffelei vor der Fassade. Die Trauergaste sa?en vor dem Tisch und a?en.
»Was ist das?« fragte Jennifer den Inspektor. »Dies sind die Hauser des Todes. Die Eingeborenen nennen sie Sterbehauser. Das Wort Tod ist fur sie zu schwer auszusprechen.«
Er sah Jennifer an und sagte: »Aber der Tod ist ja nur ein Teil des Lebens, nicht wahr?«
Jennifer blickte in seine kalten Augen und hatte plotzlich Angst.
Sie gingen ins Golden Phoenix, und erst als sie a?en, hatte Jennifer eine Gelegenheit, die Fragen zu stellen, die sie bewegten.
»Inspektor Touh, haben Sie mich aus einem bestimmten Grund zu der Krokodilfarm und den Sterbehausern gefuhrt?« Er sah sie an und sagte geradeheraus: »Naturlich. Ich dachte, sie wurden Sie interessieren. Besonders, da Sie hierher gekommen sind, um Ihren Klienten, Mr. Bjork, zu befreien. Viele unserer jungen Leute sterben an den Drogen, die in unser Land geschmuggelt werden, Mi? Parker. Ich hatte Sie zu den Krankenhausern fuhren konnen, wo wir sie zu behandeln versuchen, aber ich hielt es fur informativer, Ihnen zu zeigen, wo sie enden.«
»All das hat nichts mit mir zu tun.«
»Das scheint mir eine Frage des Standpunkts zu sein.« Jede Freundlichkeit war aus seiner Stimme verschwunden. Jennifer sagte: »Horen Sie, Inspektor Touh, ich bin sicher, Sie werden gut dafur bezahlt, da?...«
»Auf der ganzen Welt gibt es nicht genug Geld, um mich zu bezahlen.«
Er stand auf und nickte jemandem zu, und Jennifer drehte sich um. Zwei Manner in grauen Anzugen naherten sich dem Tisch.
»Mi? Jennifer Parker?«
»Ja.«
Es bestand keine Notwendigkeit, da? sie ihre FBI-Ausweise zuckten. Jennifer wu?te Bescheid, bevor sie das erste Wort sagten. »FBI. Wir haben einen Auslieferungsbescheid sowie einen Haftbefehl gegen Sie. Wir bringen Sie mit der Mitternachtsmaschine nach New York zuruck.«
57
Michael Moretti blickte auf die Uhr. Schon am Grab seines Schwiegervaters hatte er festgestellt, da? er eine Verabredung, die er fur den spaten Vormittag getroffen hatte, nicht mehr einhalten konnte. Er beschlo?, sein Buro anzurufen und den Termin verlegen zu lassen. Er hielt auf dem Weg in die Stadt an einer Telefonzelle und wahlte die Nummer. Das Telefon klingelte einmal, dann meldete sich eine Stimme: »Bauunternehmen Vollkommenheit.« Michael sagte: »Hier spricht Mike. Sag...«
»Mr. Moretti ist nicht da. Rufen Sie spater noch einmal an.« Michaels Korper versteifte sich. Er sagte nur noch: »Tony's Place.« Dann hangte er auf und rannte zum Wagen. Rosa warf einen Blick auf sein Gesicht und fragte: »Ist alles in Ordnung, Michael?«
»Das wu?te ich selber gern. Ich setze dich bei deiner Cousine ab. Bleib da, bis du von mir horst.«
Tony folgte Michael in das Buro im hinteren Teil des Restaurants.
»Ich habe gehort, da? es in deinem Haus und dem Buro in Manhattan von Bundespolizisten nur so wimmelt, Mike.« »Danke«, sagte Michael. »Ich mochte nicht gestort werden.« »Ich sorge dafur.«
Michael wartete, bis Tony den Raum verlassen und die Tur hinter sich geschlossen hatte. Dann hob er den Telefonhorer ab und begann wutend zu wahlen.
Michael Moretti brauchte weniger als zwanzig Minuten, um herauszufinden, da? ein mittleres Erdbeben stattfand. Mit steigendem Unglauben empfing er die Berichte von den Razzien und Verhaftungen im ganzen Land. Seine Soldaten und Leutnants wurden von der Stra?e weg festgenommen. Bullen tauchten an geheimen Treffpunkten auf; Glucksspieloperationen wurden gesprengt, vertrauliche Hauptbucher und geheime Unterlagen beschlagnahmt. Ein Alptraum nahm seinen Lauf. Die Polizei mu?te von jemandem innerhalb der Organisation mit Informationen versorgt werden. Michael rief andere Familien im ganzen Land an, und alle wollten wissen, was eigentlich vorging. Ihnen wurden schwere Verluste zugefugt, und niemand wu?te, wo das Leck war. Jeder vermutete es bei der Moretti-Familie. Jimmy Guardino in Las Vegas stellte ihm sogar ein Ultimatum. »Ich rufe im Auftrag der Kommission an, Michael.« In Krisenzeiten war die Kommission die hochste Instanz, der sich jede einzelne Familie unterzuordnen hatte. »Die Polizei hebt alle Familien aus. Diesmal singt eins von den gro?en Tieren. Dem Gerucht nach soll es einer deiner Jungs sein. Wir geben dir vierundzwanzig Stunden, ihn ausfindig zu machen und zum Schweigen zu bringen.«
In der Vergangenheit waren bei Razzien immer nur die kleinen Fische, auf die man verzichten konnte, ins Netz gegangen. Jetzt wurden zum erstenmal die Manner an der Spitze an Land gezogen. Diesmal singt eins von den gro?en Tieren. Dem Gerucht nach soll es einer von deinen Jungs sein. Wahrscheinlich hatten sie recht. Seine Familie war am schwersten getroffen worden, und die Polizei war ihm auf den Fersen. Irgend jemand mu?te ihnen hieb- und stichfestes Beweismaterial geliefert haben, sonst hatten sie es niemals gewagt, soviel Staub aufzuwirbeln. Aber wer konnte es sein? Michael lehnte sich zuruck und dachte nach.
Wer immer die Behorden belieferte, verfugte uber Insiderwissen, das nur ihm selber und seinen beiden Vertrauensmannern Joseph Colella und Salvatore Fiore zuganglich war. Nur sie drei wu?ten, wo die Bucher versteckt gewesen waren, und die Polizei hatte sie gefunden. Der einzige, der noch Bescheid gewu?t haben konnte, war Thomas Colfax, aber Colfax lag unter einem Mullhaufen in New Jersey. Michael dachte uber Salvatore Fiore und Joseph Colella nach. Es fiel ihm schwer, zu glauben, da? einer von ihnen die omerta, das sizilianische Gesetz des Schweigens, gebrochen haben sollte. Sie waren von Anfang an dabei gewesen, er selber hatte sie mit der Lupe ausgesucht. Er hatte ihnen gestattet, nebenbei ihre eigenen Kreditgeschafte zu betreiben und einen kleinen Prostituiertenring aufzuziehen. Warum sollten sie ihn verraten? Die Antwort war naturlich einfach: sein Stuhl. Sie wollten seinen Stuhl. Wenn er drau?en war, konnten sie einziehen und den Laden ubernehmen. Sie waren ein Team; sie steckten zusammen dahinter.
Michael war plotzlich von morderischer Wut erfullt. Diese verdammten Bastarde wollten ihn von seinem Thron sto?en, aber sie wurden nicht mehr lange ge nug leben, um die Fruchte ihrer Arbeit zu genie?en.
Als erstes mu?te er diejenigen unter seinen Mannern, die verhaftet worden waren, auf Kaution herausholen. Er brauchte einen Anwalt, dem er vertrauen konnte. Colfax war tot, und Jennifer - Jennifer! Michael spurte wieder das eisige Gefuhl in der Herzgegend. Er konnte sich noch sagen horen: Komm so schnell wie moglich zuruck. Du wirst mir fehlen. Ich liebe dich, Jennifer. Er hatte so zu ihr gesprochen, und sie hatte ihn verraten. Dafur wurde sie bezahlen.
Michael machte einen Anruf und wartete dann, bis funfzehn Minuten spater Nick Vito in den Raum geeilt kam. »Wie sieht es aus?« fragte Michael.
»Die FBI-Kerle schwarmen immer noch im ganzen Haus herum, Mike. Ich bin ein paarmal um den Block gefahren, habe mich aber an deine Worte gehalten. Ich bin nicht hineingegangen.«
»Ich habe einen Job fur dich, Nick.«
»Klar. Bo?. Was kann ich fur dich tun?«
»Kummere dich um Salvatore und Joe.« Nick Vito starrte ihn an. »Ich - ich verstehe nicht. Wenn du kummere dich um sie sagst, meinst du doch nicht etwa...« Michael brullte: »Ich meine, blas ihnen das verdammte