auftauchte. Sie lag mitten im Flu?. An ihrer Spitze ragte eine hohe Klippe aus dem Wasser. Sie war mit gradstammigen Kiefern bewachsen. Die Jungen steuerten an den Steinen vorbei, stiegen aus und kletterten auf den steil abfallenden Felsen.
Unten schlangelte sich dunkel die Tunguska heran.
Zwischen Festland und Insel spruhte die Sonne goldene Funken hinein. Bald wurde an dieser Stelle ein breites, feuriges Band aufleuchten.
„Unsere Insel!' rief Jurka aus. „Wir haben sie entdeckt. Wollen wir sie nicht Azoris nennen?'
Der „Kapitan' erteilte folgende Anweisung: „Hier wird das Zelt aufgeschlagen. Wir mussen uns beeilen. Es ist schon spat. Morgen kommen wir wieder. An unsern Sachen wird sich niemand vergreifen.'
Die Jungen stiegen nach unten. Sie ruderten hinuber ans Ufer. Dimka blieb beim Boot. Petka und Jurka kletterten auf einen Hugel. Sie wollten frisches Tannengrun holen. Das eignete sich gut als Unterlage fur das Zelt. Auf der Insel gab es nur Kiefern.
Die beiden Freunde waren ein Stuck uber die Kuppe des Hugels gelaufen, als sie ein Madchen entdeckten. Die Kleine sa? unten am Wasser und hatte die Beine unters Kinn gezogen. Weil sie sich nicht bewegte, dachten die Jungen zunachst, es ware ein Stein. Petka war der erste, der die lose uber den Schultern hangende Jacke bemerkte und den dicken, mit einem grunen Band umwickelten Zopf.
„Guck mal, wer dort sitzt!' sagte er verwundert. „Das ist doch die, die mit dem Dampfer gekommen ist. Wei?t du, die Kuh. Was will sie hier?'
Tatsachlich war es mehr als sonderbar, so fern von der Stadt auf einen Menschen zu sto?en, der weder in einem Boot sa? noch ein Gewehr uber der Schulter trug, sondern einfach am Ufer kauerte und ins Wasser starrte.
„Sie hat uns noch nicht gesehen', flusterte Petka. „Komm, wir bringen ihr das Gruseln bei.'
„Gut. Aber wie?'
Petka blickte sich um. Am Rande des Hanges lag ein Baumstamm, den das Hochwasser angeschwemmt hatte.
„Siehst du, den lassen wir auf sie los.'
„Aber wenn sie was abkriegt?'
„Unsinn. Blod ist sie ja nun auch nicht. So einen Brocken ubersieht keiner. Es sind mindestens funfzig Meter. Bis das Ding unten ist, vergeht eine Weile. Au?erdem konnen wir schreien.'
Ein Lacheln stahl sich uber Jurkas Gesicht. Die Sache war harmlos, und es schadete nichts, wenn dieses eingebildete Madchen mal einen kleinen Schreck bekam.
Die beiden packten den Baumstamm an, stemmten sich mit aller Kraft dagegen und brachten ihn in Bewegung. Er rollte nach unten, langsam zuerst, mit ungleichma?igen Sprungen von einem Ende auf das andere holpernd, dann schneller. Seine federnden Wurzeln zappelten in der Luft wie die Beine einer riesigen Spinne.
„He, du, schlaf nicht!' rief Petka.
Mit einem Sprung war das Madchen auf den Beinen. Unaufhaltsam rollte der Baum auf sie zu. Losgerissene Erdbrocken und kleine Steine kollerten hinterher. „Pa? auf!' schrie Petka aus Leibeskraften, schon gar nicht mehr frohlich, eher entsetzt.
Wie zur Salzsaule erstarrt stand das Madchen am Fu?e des Hangs. Erst als der Baumstamm in bedenklicher Nahe vorubersauste und gleich darauf gerauschvoll ins Wasser schlug, sprang sie ungeschickt zur Seite.
„Ist die blode!' heulte Petka mit einem Unterton von Entzucken. „He, du', grolte er, „du schlafst wohl mit offenen Augen?'
„Los', hauchte Jurka.
„Los!' Mit gro?en Satzen flog Petka den Hang hinab.
Jurka folgte in erheblichem Abstand. Er hatte in die entgegengesetzte Richtung laufen wollen.
„Sag mal, du bist wohl lebensmude?' schimpfte Petka, als er vor dem Madchen stand. „Siehst die Lawine kommen und ruhrst dich nicht vom Fleck. Uns standen die Haare zu Berge.'
Jetzt schlenderte auch Dimka herbei. Der Larm hatte ihn angelockt.
Das Madchen schwieg. Wie die mich anstiert, dachte Petka, kaltschnauzig und frech — abgebruht!
„Wo kommt ihr her?' fragte sie endlich. „Doch nicht aus dem Lager?'
„Aus was fur einem Lager?'
„Nein, ihr seid nicht von uns. Ich kenne euch nicht.'
Sie stand mit dem Rucken zum Flu?. Die Sonne vergoldete ihr Haar und breitete einen lichten Schleier daruber. Auf dem Wasser schaukelte der Baumstamm. Die Stromung ri? ihn hin und her. Seine Wurzeln glichen jetzt noch mehr einer riesigen strampelnden Spinne.
Die Jungen umringten das Madchen und wu?ten nicht, was sie sagen sollten. Soviel Kaltblutigkeit war ihnen unverstandlich. Wenn die „Kuh' wenigstens kreischen oder schimpfen wurde. Auf alles waren sie gefa?t gewesen, nur nicht auf diese sonderbare Ruhe.
Das Madchen grubelte. „Doch', sagte sie nach einer Weile an Petka gewandt, „Dich kenne ich. Wir haben uns schon einmal getroffen, gleich nach meiner Ankunft. Aber was ist da eigentlich runtergekommen, ein Stein?'
„Hast du es denn nicht gesehen?' „Nein. Ich bin blind.'
Nie zuvor hatte Dimka seine Freunde so besturzt gesehen.
„Richtig blind?' fragte Jurka dumm.
Das Madchen nickte. Petka, der sich stets brustete, in keiner Lebenslage die Farbe zu wechseln, errotete bis an die Haarwurzeln. Das Blut stieg ihm so heftig zu Kopf, da? es aussah, als wollten die Wangen platzen. Jurka erging es nicht besser. Nur Dimka, der noch nicht wu?te, woran er war, verspurte lediglich Unbehagen.
„Also, gehen wir.' Petka scharrte schwerfallig auf der Erde. „Gehen wir?' wiederholte er unsicher. Fast klang es, als bate er das Madchen um Erlaubnis.
„Wir mussen nach Hause. Also, auf Wiedersehen.'
Die Jungen gingen auf ihr Boot zu, eilig, mit gro?en Schritten, ohne sich umzusehen. Ihr Aufbruch glich einer Flucht. Nach einigen Schritten blieb Petka stehen.
„Wie hei?t du?' rief er zuruck.
„Lena. Kommt ihr wieder?'
„Morgen', erwiderte Petka in bestimmtem Ton, „spatestens ubermorgen. Schlaf gut.'
Er hatte ihr eine gute Nacht gewunscht, obwohl die Sonne noch uber dem Horizont stand und es ganz hell war.
„Komisch.' Das war alles, was Dimka sagen konnte, als sie ins Boot kletterten. Er fuhlte, da? er etwas hinzufugen mu?te, aber ihm fiel beim besten Willen nichts ein.
Das apfelsinenfarbene Boot stie? vom Ufer ab. Es scho? durch die feurig gluhenden Fluten, der untergehenden Sonne entgegen.
VIII
Die Insel Azoris beherbergte nun ein Zelt. Die drei „Forscher' hatten es am Fu?e der Klippe aufgeschlagen. Auf der Sonnenseite lagen leuchtende Flecke. Dort sah das Leinen wie ein Leopardenfell aus.
Der Rettungsring mit der Aufschrift ,,Sach...' hing an einem Ast. Uber der Feuerstelle — wie konnte es anders sein — schaukelte ein Kessel. Tropfen einer braunlichen Bruhe spritzten ins Feuer.
Ein Reisender unterscheidet sich von den ubrigen Menschen dadurch, da? er unbekannte Gebiete durchforscht. Hinzu kommt, da? er immer hungrig ist. Reisende essen sehr viel. Bisweilen stirbt auch mal einer vor Hunger, das jedoch nur selten und hochstens in der Wuste. Nie in der Taiga. Hier wimmelt es in den Flussen von Fischen. Die gehen auf Wurmer, Fliegen, Brot, verdorbenes Fleisch. Auch strolchen zutrauliche Elche herum. Auf den Zedern hocken Auerhahne. Wie konnte da jemand verhungern.
Zu Hause speist ein Reisender von sauberen Tellern, makelt, fischt jedes Stuckchen Zwiebel aus der Suppe, dreht Brotkugeln. In der Taiga verbrennt er sich beim Essen die Zunge. Doch was tut's? Dieses Gemisch von