Bisweilen brachten die Schiffe neue Sklaven heran: Menschen mit breiten Schultern, mit Haut wie violett gefarbtes Ebenholz und schwarzem Kraushaar oder stolze, goldbraune Riesen mit feuchten, olivformigen Samtaugen. Die Schwarzhautigen kamen aus einem Land mit schwulen Waldern und gluhenden Sandwusten, die Goldbraunen von den Inseln, die hinter der Meerenge im Osten lagen.

Viele der Sklaven waren genauso schlank, muskulos und schon wie die Atlantisburger. Aber sie mu?ten in Erdhohlen vegetieren. Nur den Geschicktesten war es erlaubt, sich Hutten zu bauen. Unter ihnen gab es Waffenschmiede, deren Schwerter mit einem Schlag faustdicke Kupferstangen durchhieben. Weiter wird berichtet von Mannern, die beinerne Blumen schnitzten, von Steinmetzen, die riesige Platten so kunstgerecht polierten, da?, wenn man zwei aufeinanderlegte, kein Haar dazwischen Platz hatte, und schlie?lich von Schmieden, die fur sich und ihre Bruder Halsbander und Ketten schmiedeten.

Da war keiner, der nicht von der Heimat getraumt hatte. Die einen erinnerten sich an sie, die anderen, die in Atlantis geboren wurden, erfuhren von ihr schon aus den Wiegenliedern. Nachts waren die Sklaven frei. Der Traum fuhrte sie weit fort aufs Meer. Sie ruderten an bekannte Ufer. Die Wellen erfa?ten ihre Boote und setzten sie auf den heimatlichen Strand. Lange lagen sie im feuchten Sand, genossen den Salzgeruch der Luft, erfreuten sich am Anblick des grunlich blauen Waldsaumes und der Rauchsaulen, die uber den Wipfeln der Baume standen. Dort warteten ihre Hutten. Da erhoben sie sich und wanderten weiter, festen Schritts, ohne ein einziges Mal zuruckzuschauen. Sie hatten die Freiheit wiedererlangt.

Am Morgen erschollen die Rufe der Posten. Sie brachten samtliche Traumer auf die Beine. Alles begann von vorn. Die Sklaven mu?ten den Boden umwuhlen, Steine behauen, in Fellbehaltern Wasser tragen. Am Himmel stand unverwandt die Sonne, schaute ihrem Tun teilnahmslos zu und versengte ihnen den Rucken.

Alle schweren Arbeiten wurden von Sklaven verrichtet. Die freien Atlantisburger taten nur, was leicht war und Freude bereitete. In ihren Liedern priesen sie sich als den weisesten, den gro?ten Volksstamm, der die Erde bewohnte, denn sie glaubten, da? nur ein gro?es Volk andere Volker unterwerfen kann. Einmal erschien in ihrer Mitte tatsachlich ein wahrhaft gro?er und weiser Mann, aber er zahlte zu den Sklaven.

Er war hier geboren, auf der Insel Azoris, ein schlanker Mensch, mit biegsamem Korper und Muskeln, die harter waren als Elfenbein. Hoch trug er den Kopf, gar nicht, wie es seinem Stande entsprach, so da? ihn sein Herr, ein Priester des Sonnentempels, gewi? nicht ins Haus gelassen hatte, wenn es mit seiner Sehkraft ein wenig besser bestellt gewesen ware. Denn ein Sklave, der seinem Herrn ins Auge blickt, ist ein schlechter Sklave. Der Priester jedoch war alt, sah schlecht und fand keinen Grund, mit ihm unzufrieden zu sein.

Der Sklave ersetzte ihm Auge und Ohr. Wenn der Priester seine schwach gewordenen Sinne anstrengte, um heilige Schriftzeichen zu malen, stand der Sklave hinter ihm, gehorsam, zu jedem Dienst bereit. Er wurde Zeuge, wie sein Herr mit den anderen Priestern in Streit geriet, aber niemand bemerkte das Lacheln, das um die Lippen des stillen Lauschers huschte, sooft die Priester Unsinn schwatzten. Wahrend der zehn Jahre, die dieser Sklave bei dem Diener des Sonnengottes verbrachte, lernte er mehr, als der Priester in seinem ganzen Leben gelernt hatte.

Er beherrschte zahlreiche Dialekte und entzifferte als erster die Schriftzeichen auf den Steinplatten, die aus einer Zeit stammten, als an die Atlantisburger noch nicht zu denken war. Ihm gelang es auch, das Geheimnis des steinernen Menschen zu ergrunden. Er wu?te, weshalb die Gestalt mit der einen Hand zum Himmel wies und die andere zur Erde hielt, als lie?e sie etwas durch die Finger rieseln.

So erfuhr er von dem unvermeidlichen Schicksal der Atlantisstadte.

In den alten Schriften las er uber das Schicksal verschwundener Volker, der ehemaligen Bewohner dieses Landes. Dreimal hatten sich auf den beiden Inseln Menschen niedergelassen, dreimal war ein Tag gekommen, an dem das Meer zu brodeln begann, die Erde erbebte und gewaltige Wassermassen gegen die Kuste rannten. Aus den Bergen hagelte es Steine und Asche. Ein schwarzer, kochendhei?er Regen prasselte auf die Erde.

Die Menschen verkrochen sich in ihre Hauser und Hohlen. Die Hauser sturzten ein. In den Hohlen barsten die Gewolbe. Die Natur hatte sich gegen den Menschen erhoben. Sie gehorchte ihm nicht mehr.

Wie die Tafeln berichteten, war von den Bergen ein geflugelter Drache aufgestiegen, um die Sonne zu verdunkeln und den Tag in Nacht zu verwandeln.

Dann rollte eine Woge heran, die den Himmel verdeckte. Sie walzte sich bis ans Gebirge und ri? beim Zuruckfluten alles, was sie auf ihrem Wege fand, mit sich fort ins Meer.

Da brachten die Gotter, die im Innern der Erde wohnten, vor Zorn die Berge zum Schwanken. Der Boden tat sich auf, stie? feurigen Atem aus. Ganze Inseln mit Stadten, Waldern und allem, was darauf war, versanken im Wasser. Lange wahrte die Nacht, die Finsternis.

Als es endlich Tag wurde, eilten diejenigen, die am Leben geblieben waren, von Entsetzen gepackt davon. Sie ruderten ubers Meer, das des Nachts im Licht zweier Monde lag. Die letzten mei?elten vor der Flucht ihre Erlebnisse in steinerne Tafeln. Auch schufen sie ein Standbild des Gottes, dessen Zorn sich uber ihnen entladen hatte.

Die Inschriften sprachen davon, da? der Weg nach Westen fuhrte. Aber es stand auch geschrieben, alle, die dieses Land spater besiedelten, wurde das gleiche Schicksal ereilen.

Als der Sklave dies erfuhr, ergriff ihn derart die Furcht, da? er gegen das Gesetz verstie? und ungefragt seinen Herrn ansprach.

,Noch ist es nicht zu spat', sagte er, ,die See ist ruhig.

Wir konnen fliehen. Befreie mein Volk. Auf fremder Erde werdet Ihr neue Sklaven finden.'

Als der verbluffte alte Priester aus seiner Erstarrung erwachte, uberzeugte er sich davon, da? der Sklave ihn nicht belogen hatte. Da packte ihn kaltes Grauen.

,Du hast es weiter gebracht als ich', sagte er leise, doch aus seiner Stimme klang das Zischen einer Schlange. ,Nun gut. Du hast ergrundet, was mir, einem Diener Gottes, zu ergrunden nicht gegeben war. Nun gut. Doch soll au?er dir niemand das Geheimnis erfahren. Da du ein geschwatziger Sklave bist, wirst du noch heute sterben.'

Auf das Drohnen des Gongs eilte die Wache herbei. Der Sklave wehrte sich verzweifelt. In dieser Minute war er stark wie eine ganze Elefantenherde, denn er wu?te, wie notig ihn sein Volk jetzt brauchte. Dieser Weise war ein Sklave, doch in seinem Herzen wohnte die Liebe zu den Menschen. Sie war es, die ihm diese urgewaltigen Krafte verlieh. So entkam er ins Gebirge. Zehn der tapfersten Krieger von Atlantis lagen in ihrem Blut.

Als die Dammerung auf das Land sank, schlich sich der Fluchtling hinab in die Behausungen der Sklaven, wo er die Nacht verbrachte. Bevor die Sonne aufging, verschwand er wieder, diesmal fur lange Zeit.

Seit jenem Tage wu?ten die Atlantisburger, was Furcht ist. Sie sangen die alten Lieder, und sie lachten, als ware nichts geschehen, als hoffte ein jeder, da? man den Warnungen des Sklaven keinen Glauben zu schenken brauchte. Aber in den Hafen lagen abfahrbereit die Schiffe der Priester und des Herrschers. Da die Burger dies sahen, verstarkte sich in ihren Herzen die Angst, und wenn sie lachten, blieben die Augen ernst. Mit dem Entsetzen wuchs der Zorn auf die Priester, die ihnen bei Todesstrafe verboten hatten, das Land zu verlassen. Um das Volk seine Unzufriedenheit vergessen zu machen, veranstalteten die Gottesdiener Feste und opferten der Sonne noch haufiger als zuvor. Diejenigen aber, die am Fu?e der Berge wohnten, vernahmen aus der Erde ein dumpfes Stampfen. Bald horte es sich an wie metallene Schlage auf Gestein, bald klang es wie das Getose einer niedergehenden Steinlawine. Alle dachten, das seien die Gotter, die dort unten lebten, sie bahnten sich einen Weg durch die Felsen. Von Entsetzen gepackt, verlie?en die Leute ihre Hauser.

Was da in einer Hohle unter den Bergen lebte, war jedoch ein Mensch. Er hatte nur wenig zu essen, haufig qualte ihn der Durst, doch Tag und Nacht schuf er an seinem steinernen Reiter. Er arbeitete schnell, denn an den Hohlenwanden war zu horen, wie es in den tieferen Schichten des Erdinnern rumorte. Daher wu?te der Sklave, da? das Ende nahe war.

Und eines Tages kehrte er zuruck.

Er schritt durch die ganze Stadt, doch niemand wagte, sich ihm zu nahern. Er war dorther gekommen, von wo es keine Ruckkehr gab. Die Menge folgte ihm auf den Fersen. An der Kuste machte er halt. Zu seinen Fu?en leuchtete das Meer.

,Bald ist es soweit', erklarte er mude. ,Wie ich sehe, seid ihr nicht dem weisen Rat jener gefolgt, die vor euch hier lebten, sondern im Lande geblieben. Doch nicht euretwegen, nur meines geknechteten Volkes wegen habe ich dies getan. Es kommt der Tag, da die Erde erbebt, das Meer gegen die Kuste rennt und die Felsen bersten werden. So war es schon dreimal, so wird es auch ein viertes Mal sein. So steht es geschrieben. Auf einem Berg aber wird sich dann ein steinerner Reiter erheben, um denen, die noch am Leben sind, den Weg zu weisen. Diejenigen jedoch, die nach Osten zu entkommen suchen, werden von den Fluten verschlungen werden,

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