zerkochten Fischgraten, Ru? und angebrannten Graupen dunkt ihn ein ungewohnlich schmackhaftes Gericht. Das Brot ist mit Kiefernnadeln gespickt. In der Suppe schwimmen tote Ameisen. Als Tischtuch dient ein Sack. Zwischen den Zahnen knirscht der Sand. Aber es schmeckt herrlich.
Welche Lust, ein Reisender zu sein! Die Fischsuppe riecht nach Rauch, der Rauch nach Fischsuppe. Ein zerlochertes Zelt mit Tannengrun als Fu?bodenbelag ist sein Haus. Da mag es regnen, bis alles im Wasser fortzuschwimmen droht — wenn der Reisende das Klopfen auf der Leinwand hort, schatzt er sich glucklich, ein Dach uber dem Kopf zu haben. Das ist ja auch nicht derselbe Regen, der auf ungepflasterte Stra?en trommelt und die Wege in Schlammbader verwandelt. Genauso wie das Flu?wasser mit den grunen Fasern darin etwas anderes ist als das, was zu Hause aus der Leitung kommt. Mit hohlen Handen geschopft und gerauschvoll geschlurft, schmeckt es kostlich.
Und eine gekochte Zwiebel in der Suppe ist keine Zwiebel mehr.
Zum erstenmal seit ihrem Bestehen hallte die Insel Azoris von Axtschlagen wider. Da wurden Zweige abgehauen, Pfahle gespitzt. Petka schleppte einen Armvoll Tannenreisig heran. Jeder packte zu. Sogar Dimka, der kein gro?er Freund vom Arbeiten war, muhte sich redlich und schleifte als Feuerholz zwei durre Baumchen uber den Boden.
Die Insel hatten sie inzwischen nach allen Seiten durchstreift, waren aber noch nirgends auf einen Mammutzahn oder einen Bronzeschild gesto?en. Vielleicht lagen die Ruinen der alten Stadte druben hinter den Hugeln, die das Ufer saumten?
Jurka stellte sich vor, wie es ware, wenn er plotzlich eine rissige, grasuberwucherte Steintreppe fande. Die Stufen wurden ihn in die Tiefe fuhren. Auf eisenbeschlagene Truhen, auf ungeordnete Waffenstapel fallt geheimnisvolles Licht. Er, Jurka, aber schreitet weiter. Wozu braucht er diese Schatze? In einem fernen Winkel der Hohle kauert auf marmornem Sockel ein Gotze aus purem Gold. Der erinnert den Eindringling an einen alten Inder. Jurka beruhrt ihn mit der Hand. Da gerat der Gotze in Bewegung. Zwei Steinplatten schieben sich auseinander. Eine zweite Treppe wird sichtbar. Alles vollzieht sich vollig gerauschlos. Die Stufen fuhren Jurka in die Tiefe. Dunkelheit umfangt ihn. Und da...
„Was meinst du, ob sie kommt?' Jurka blickte verstandnislos zu Petka hinuber.
„Wer?'
„Na sie, Lena.'
„Wie soll ich das wissen? Warum bist du so neugierig?'
„Was hei?t neugierig. Mich interessiert, was sie hier treibt.'
„Aber warum?' wollte Jurka wissen. „Sie ist doch blind.'
„Blind.' Petka warf dem Freund einen verachtlichen Blick zu. „Bist du ein Esel. Um ein Haar hatten wir sie umgebracht.'
„Lauf doch zu ihr', entgegnete Jurka wutend. „Du bist ja hier der Kapitan. Nimm das Boot, bitte sehr.'
„Das mache ich auch.'
Petka ergriff die Ruder und ging ans Wasser. Lange schaute er zuruck, machte sich an den Gabeln zu schaffen. Er wollte nicht allein fahren. Was sollte er zu ihr sagen? Es war so ein dicker Baumstamm gewesen. Lena hatte es sicher nicht vergessen. Noch einmal sah Petka nach oben. Jurka drehte sich um und pfiff „Vaterland, kein Feind soll dich gefahrden...' Da stie? Petka entschlossen das Boot ins Wasser und sprang hinein.
Er ruderte ans Ufer. Ein schmaler Pfad fuhrte in die Taiga. Auf dem feuchten Boden hatten kleine Absatze deutliche Spuren hinterlassen. Petka lief etwa hundert Meter. Dann erblickte er Lena und blieb stehen. Sie schritt schnell aus — offenbar war ihr der Weg wohlvertraut —, stutzte aber plotzlich, hob den Kopf und lauschte. Auch Petka erstarrte. Er horte heftiges Fauchen. Sekunden vergingen, ehe er begriff, da? dieses Gerausch von seinem eigenen Atem herruhrte.
„Wer ist dort?' fragte Lena.
Petka zogerte mit der Antwort. Nach einer Weile sagte er: „Ich bin es. Erinnerst du dich, vorgestern haben wir zusammen gesprochen?'
„Seid ihr aus Ust-Kamensk?'
„Ja.'
„Was macht ihr hier?'
„Wir, wir suchen was. Und du?'
„Wir suchen auch was. Erdol. Ich bin aus dem Lager.' Lena trat naher.
Petka musterte neugierig ihr Gesicht. Sie hatte graue Augen. Die sahen uberhaupt nicht blind aus, sondern waren gro? und schon, nur da? sie ein wenig an ihm vorbeischauten.
„Erdol? Nein, wir suchen was anderes. Komm doch mit zu uns', schlug er, fur sie unerwartet, vor.
„Ist es weit?'
„Bis zu der Insel dort druben, siehst du — das hei?t, ich meine, es ist ganz nah', verbesserte sich Petka stotternd. „Vielleicht dreihundert Meter.'
„Gut. Ich fahre mit. Aber wir bleiben nicht lange? Mich suchen sie immer gleich.'
Petka ging ans Ufer. Mehrmals drehte er sich um. Das Madchen kam hinterher. Wiederum setzte ihn Lenas Ruhe in Erstaunen. Sie trat sicher auf, als gabe es keine herabhangenden Zweige, als ware dort vorn nicht ein steiler Hang, wo man ausgleiten konnte. Petka hatte Lena sogar in Verdacht, da? sie gar nicht blind war, sondern ihn narrte.
„Um mich brauchst du dir keine Gedanken zu machen', beruhigte sie ihn, als er auf sie wartete. „Ich kenne den Weg gut. Gleich kommt ein Zweig. Daran halte ich mich immer fest, wenn es zum Flu? runtergeht.'
„Dort steht eine Kiefer. Es ist kein Zweig, sondern eine Wurzel', erklarte Petka. „Sie wachst aus der Erde.'
„Und ich dachte, es ware ein Zweig.'
Auf der Insel wurden sie von Jurka und Dimka mit neugierigen Blicken empfangen. Petka stand unschlussig neben dem Boot. Ob er dem Madchen die Hand reichen sollte? Er entschied sich fur ein Ruder. Das war besser. Lena stieg hastig aus, und sie gingen beide zum Zelt.
„Das sind Dimka und Jurka', stellte Petka vor, indem er in die Richtung zeigte, wo seine Freunde standen. Dimka hob fassungslos die Schultern. Petka drohte mit der Faust.
„Was treibt ihr hier blo??' wunderte sich Lena. Jetzt schnitt auch Jurka eine schreckliche Grimasse. Er schuttelte den Kopf und starrte Petka an: Vergi? nicht, da? es ein Geheimnis ist!
„Wir wollten nur eine kleine Reise machen.'
Lena lachte. „Nur eine Reise? Gibt es das? Sergej Michailowitsch, Tonja und die anderen reisen auch, aber sie suchen Erdol. Ihr sucht gar nichts?'
Sie ist blind und lacht noch, ging es Jurka durch den Kopf.
„Wer sucht Erdol?' fragte er, um sie von ihrer Frage abzulenken. „Was fur eine Tonja?'
„Aus unserm Lager. Dort arbeitet eine Expedition.
Mein Vater ist auch dabei. Aber nicht fur lange. Im Herbst fahren wir nach Odessa zu Professor Filatow.
Wenn es mir besser geht, kommen wir wieder.'
„Bist du krank?' wunderte sich Dimka.
„Ich bin blind. Professor Filatow hat schon vielen Menschen das Augenlicht geschenkt.'
Von ihrer Blindheit sprach Lena wie von einer leicht zu heilenden Krankheit. Dimka schuttelte den Kopf, behielt aber seine Zweifel fur sich.
„Der hat noch keinen entlassen, der nicht geheilt war', fuhr das Madchen fort. „Aus dem ganzen Land kommen sie zu ihm.'
„Toll', sagte Jurka. In Wahrheit dachte er: Wie kann ein einziger Professor so viele Blinde heilen? Das reden sie ihr nur ein.
Lena jedoch vertraute diesem Professor Filatow offenbar vollkommen. Sie sprach naturlich und lachelte ungezwungen, nicht wie jemand, der sich unglucklich fuhlt. Bald horten die Jungen auf, ihr Gesicht zu mustern. Das leichte Unbehagen, das sie bisher empfunden hatten, war gewichen. Als der Kessel vom Feuer kam, wurde Lena eingeladen. Das Madchen lehnte nicht ab, sondern sagte nur: „Ich habe kein Besteck bei mir.'
Schon schlugen zwei Aluminiumloffel vor ihrem Gesicht zusammen. Einen Augenblick spater klapperte schuchtern ein dritter dagegen: der von Dimka, und Lena entschied sich fur den letzten.