„Lena', fuhr Jurka fort, „noch haben wir nichts gefunden. Wir wissen nicht, wo wir das Land suchen sollen. Vielleicht liegt es auch gar nicht in unserer Gegend. Es ist am besten, wenn ich jetzt anfange.'

Jurka schlug das Heft auf und las vor. Er las sehr ausdrucksvoll, wie ein Sprecher im Radio. Die Atlantisburger begannen zu leben, schritten ihren Weg zu Blute und Untergang. Petka betrachtete aufmerksam Lenas Gesicht. Sooft Jurka stockte, runzelte sie die Stirn. Der ,,Kapitan' rutschte hin und her. Ich wurde viel besser lesen, dachte er. Als Jurka bei der Stelle anlangte, wo der Sklave vor dem Abgrund zuruckschauderte, zuckte Lena zusammen, als stande sie selber am Rande eines Felsens.

Schlie?lich verlor Petka die Selbstbeherrschung. Er war rasend vor Neid, sprang hoch, hob einen Stein auf und schleuderte ihn aus Leibeskraften gegen den Stamm einer Kiefer.

„Was ist denn in dich gefahren?' knurrte Jurka und klappte das Heft zu.

„Nichts. Kummere dich um deine eigenen Angelegenheiten.'

„Palmen', sagte Lena, „wie sehen die aus?'

„Ahnlich wie Kiefern', erklarte Jurka, „nur haben sie Blatter auf dem Wipfel, und oben hausen Affen.'

„Wie eine Kiefer aussieht, wei? ich nicht. Wo wir fruher wohnten, gab es viel Fichten. Wenn ich mir einen Baum vorstelle, ist es immer eine Fichte. Sie hat rote und grune Nadeln.'

„Grune im Sommer', sagte Petka, „braune im Herbst. Mu?t du schon nach Hause?'

„Ich mu? nicht. Aber sie sind bestimmt schon unruhig. Fahrt ihr mich ruber?'

„Mach ich', entgegnete Jurka eilfertig.

„Hast du dir gedacht', fuhr Petka auf. Er tippte sich an die Stirn.

„Komm, Lena.'

,,Du bist vorhin schon gewesen. Ich mochte auch mal rudern.'

„Schwachheiten.' Petka schuttelte den Kopf.

Diesmal gab Jurka nach. Schlie?lich war nicht er, sondern Petka vom Felsen gesprungen. Das Boot durchschnitt den Flu?. Petka setzte Lena an Land.

„Besucht uns im Lager', sagte das Madchen beim Abschied. Es war eine Einladung. „Wenn ihr diesen Pfad nehmt, konnt ihr uns nicht verfehlen. Er fuhrt direkt ins Lager. Kommt ihr?'

„Ja', erwiderte Petka und stie? vom Ufer ab. Er hatte das Boot mit einigen Ruderschlagen auf den Flu? getrieben, als er laut hinzufugte: „Wir kommen unbedingt. Aber alle zusammen.'

Lena lachte. „So hatte ich es auch gemeint. Alle, nicht nur du.'

Petka horte sie nicht mehr. Er hielt auf die Insel zu. Zischend bohrte sich der Bug in die Wellen und zerteilte sie. Wie schon war es, die Ruder in den Handen zu halten, den Widerstand des Wassers zu spuren und dabei zu fuhlen, da? es immer schneller ging. Mit Schwung scho? das Boot aus dem Flu?. Es lag fast zur Halfte auf dem Trockenen. 

IX  Von denen, die suchen

Noch war Atlantis unentdeckt geblieben.

Dabei mu?te es ganz in der Nahe liegen. Irgendwo auf dem ehemaligen Meeresboden, wo jetzt die Taiga war. Man mu?te tiefer ins Innere des Nadelwaldgurtels vordringen, dann fand man vielleicht, was zu finden allen anderen bisher nicht beschieden war, weil sie nicht grundlich genug gesucht hatten oder zu bequem waren oder nicht zu traumen verstanden. Auf eine zweitagige Reise verzichteten die drei Freunde schweren Herzens. Ihre Eltern hatten angedroht, die Bootsfahrten uberhaupt zu unterbinden, wenn die Ausrei?er am Abend nicht wieder zu Hause waren. Es gab lange Diskussionen. Die Eltern blieben unerbittlich. Sie waren wie jene, die Atlantis nicht gefunden hatten, weil sie nicht traumen konnten.

Wieder naherten sich die Jungen der Insel, auf der ihr zerlochertes Zelt stand. Diesmal nahmen sie Kurs aufs Ufer. Sie verlie?en ihr Boot an der Stelle, wo Tage zuvor Lena gesessen hatte.

Der Pfad, auf dem die Absatze von Kinderschuhen zahlreiche Spuren hinterlassen hatten, fuhrte auf eine Lichtung. Vorsichtig bogen die Jungen das Gebusch auseinander.

Am Ende der Wiese sahen sie zwei Zelte, daneben ein Holzhauschen auf Kufen mit davorgespanntem Traktor. Die Teilnehmer der Expedition schienen ausgeflogen zu sein. Der Anblick des Lagers erweckte eine Vorstellung geistiger Leere, Gefuhle der Tragheit und Schwere. Nur da? neben dem Hauschen ein Motor lief. Er zitterte und spuckte, als sei er emport uber die Zumutung, bei dieser Hitze zu arbeiten.

Etwas spater bemerkten die Jungen den Mann, der auf der Lichtung neben einem grunen Kasten lag und rauchte.

Aus einer Schneise kamen zwei Arbeiter. Sie trugen eine gro?e Rolle, von der ein langer Draht abgespult wurde. Sie bewegten sich schweigend und unentwegt vorwarts, als ahnten sie nicht, da? hinter ihrem Rucken der Draht von der Rolle ins Gras glitt, oder als sei ihnen dies hochst gleichgultig.

Als die beiden naher kamen, sah man, da? sie sehr mude waren.

An einem in die Erde gerammten Pfahl setzten sie vorsichtig einen runden Behalter von der Gro?e einer Konservendose ab. Dann wanderten sie weiter.

Der Mann neben dem grunen Kasten erhob sich, trat auf die beiden zu und sagte etwas. Einer zeigte auf seine Uhr. Daraufhin ging der Mann wieder zuruck, sprach ein paar Worte ins Telefon und gab denen mit der Rolle ein Zeichen, weiterzulaufen. Da stampften sie mit schweren, gleichma?igen Schritten in den Wald.

Wenige Minuten spater kam ein Madchen im Turnhemd uber die Lichtung. Die Hosenbeine hatte sie in die Stiefel gestopft. Sie verschwand in der Bretterbude. Nun kam Leben in den Mann am Telefon. Er lag nicht mehr, er kniete und schrie aufgeregt in die Sprechmuschel. Nach dem Gesprach rannte er gleichfalls in die Hutte, kam jedoch wenige Augenblicke spater wieder heraus und telefonierte abermals.

Es versprach interessant zu werden. Etwas lag in der Luft.

Gleich nach dem Mann sprang auch das Madchen ins Freie. Sie lief an der Leitung entlang, buckte sich mehrmals und betrachtete den Draht aus der Nahe.

Dann traten die beiden Manner aus dem Wald. Ihre Rolle war leer. Aus der entgegengesetzten Richtung kamen zwei andere Arbeiter, die gleichfalls eine Rolle trugen. Danach trabte ein jungerer Mensch in Windjacke herbei und verschwand in der Hutte. Fast im selben Augenblick sturzten zwei Manner heraus. Der eine verfolgte den Draht in der einen Richtung, der zweite in der anderen. Schlie?lich rannte der Bursche mit der Windjacke zuruck in die Taiga.

Jetzt geriet alles in Bewegung. Es war, als drehte sich uber der Lichtung eine riesige Spirale, die immer weitere Bereiche erfa?te und in deren Zentrum der Mann mit dem Telefon stand.

Die Aufregung teilte sich den Jungen mit. Sie hatten es in ihrem Versteck nicht ausgehalten und sich langst aus dem Gras erhoben.

Auch sie wollten etwas tun, wollten hin und her hetzen und zupacken.

Aber plotzlich kam alles zur Ruhe. Wie durch Zauberschlag verstummte das nervenpeitschende Summen des Motors. Die Jungen sahen sich erstaunt an. Wo war auf einmal der rasende Eifer, mit dem die Menschen sich in die Arbeit gesturzt hatten?

Der Mann am Telefon schaute zur Hutte. Fast alle Arbeiter hatten sich inzwischen dort eingefunden. Jemand steckte den Kopf zur Tur heraus.

„Fertig?' wurde leise gefragt.

In der Taiga war es so still, da? man auch ein Flustern verstanden hatte.

„Fertig.' „Los!'

Der Mann am Telefon reckte sich in die Hohe, schlug mit der flachen Hand durch die Luft und schrie:

„Feuer!'

Etwas schien zu bersten. Es klang wie gewaltiges, anhaltendes Drohnen von Kesselpauken. Unter einem leichten Sto? erzitterte die Erde. Gleich darauf grollte der Donnerschlag einer Explosion durch den Wald. Von den Baumen erhoben sich die Vogel. Sie stiegen steil in die Hohe, als hatte jemand aus einem Katapult auf sie geschossen.

Die Jungen ruckten enger zusammen. Auf die erste Sprengung, meinten sie, wurde eine zweite folgen, vielleicht sogar in noch gro?erer Nahe. Sie erwarteten einen ohrenbetaubenden Knall.

Doch blieb alles ruhig.

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