Mutter hatte daran nichts Besonderes gefunden, wenn es nicht gerade ihr Gro?er gewesen ware, der sich da mit Zwirn und Nadel versuchte. Aber ausgerechnet Petka, den man nicht anders kannte als mit zerrissenem Kragen, dessen Hemd des Abends verriet, ob am Morgen in Ust-Kamensk jemand den Gartenzaun gestrichen hatte, der seit seiner Bekanntschaft mit den Motorenschlossern in befleckter Hose umherlief, der zu den Fischern ging und auf dem Hemd Hunderte von Schuppen heimbrachte. All diese kleinen Liederlichkeiten hatten ihn nicht gestort. Sie waren in seinen Augen ebenso naturliche Erscheinungen gewesen wie Olflecke auf einem Schlosseranzug. Und plotzlich sollte ihm ein abgerissener Knopf Kopfschmerzen bereiten? Da stimmte doch etwas nicht.
Nach getanem Werk nahm er ein stumpfes Messer und sabelte den Faden durch. Erst als auch dies geschehen war, schaute er zu seiner Mutter auf.
„Der war schon lange ab, aber du bist nie dazu gekommen, ihn anzunahen. Sollte ich ewig so rumlaufen?'
„Warum hast du mir nicht mal einen Ton gesagt?' entgegnete die Mutter verstort.
„Weil du nicht wei?t, wo dir der Kopf steht. Aber wenn du mir einen Gefallen tun willst, Mutti, dann kauf mir ein neues Hemd.'
„Seit wann kummerst du dich um deine Kleidung? Na schon, ich werde dir eins nahen.'
„Nicht nahen, Mutti. Das dauert zu lange. Ich brauche es unbedingt schon morgen. Kaufst du mir eins?'
„Warum hat es damit solche Eile?'
„Ich brauch es eben.'
„Warte wenigstens noch drei Tage. Dann gibt es Geld.'
„Ach, Mutti, du verstehst mich nicht. Ich brauche es sofort. Meinetwegen nur fur morgen. Danach kannst du es wieder verkaufen.'
Die Mutter schuttelte den Kopf und wunderte sich. Petka lie? nicht locker. Schlie?lich zog er die Mutter mit sich fort ins Geschaft.
Das zweite Ereignis fand am gleichen Tage im Haus der Alenows statt.
„Papa', wandte sich Jurka an seinen Vater, „was ist deine Meinung: Kann man einen blinden Menschen heilen?'
„Das hangt ganz von der Art der Krankheit ab. In einigen Fallen ist eine Heilung moglich, in anderen nicht.'
„Wenn er aber aussieht wie ein gesunder Mensch? Sagen wir mal, er hat richtige Augen, und man merkt gar nicht, da? er blind ist?'
„Das wei? ich nicht, Jurka. Ich bin kein Arzt. Warum fragst du?'
„Weil ich spater mal Augenarzt werden will.' „Augenarzt?' Vater Alenow mu?te lachen. „Weshalb nicht Chirurg oder Nervenarzt?'
Jurka war beleidigt. „Ich wei? nicht, was du daran lacherlich findest', sagte er gereizt. „Du kannst dir eben nicht vorstellen, wie das ist, wenn ein Mensch alles sehen mochte und nicht kann.'
„Jurka, ich wette, du hast wieder ein Buch gelesen. Wie war das, wolltest du nicht viel reisen?'
„Das werde ich auch. Arzt sein und reisen. Die Kranken mussen manchmal zehn Jahre warten, bis sie zu einem Professor kommen konnen. Ich werde zu ihnen fahren.'
„Mascha, hast du das gehort? Unser Jurka hat eine neue Leidenschaft entdeckt. Er wird Augenarzt mit Professorentitel und fahrt zu seinen Patienten.'
„Freilich habe ich es gehort', rief Mutter zuruck.
„Meine Herren Professoren, darf ich Sie zu Tisch bitten. Gleich wird die Suppe kalt.'
So war es immer. In den gro?ten Augenblicken seines Lebens, jedesmal wenn Jurka den Wunsch verspurte, edelmutig zu sein, und merkte, da? er vor einer wichtigen, folgenschweren Entscheidung stand, wo er elterlichen Rat brauchte, wurde die Suppe kalt.
Er hatte jetzt keinen Appetit, sondern fuhlte den Drang in sich, eine Heldentat zu begehen. Da kamen sie mit ihrem Essen. Eltern sind gewohnt, den Sohn nicht fur voll zu nehmen. Sie sehen mit gutmutigem Lacheln auf ihn herab und wollen nicht verstehen, da? er es ernst meint. In ihren Augen ist er ein Phantast, auf dessen Gerede man nur zum Spa? eingeht. Naturlich ist das leichter, als eine vernunftige Antwort zu geben.
Vater und Mutter blickten schmunzelnd das Sohnchen an, nicht etwa herablassend, ach wo, eher zartlich. Aber gerade deswegen sollten sie nie etwas von dem blonden Madchen erfahren, das immer aussah, als suchte es etwas in der Ferne.
Am Abend traf Jurka seinen Freund Petka auf der Stra?e. Sie sprachen uber dies und jenes. Ihre Geheimnisse aber behielten sie fur sich, wie es richtigen Mannern geziemt. Der eine verriet nichts von seinem neuen Hemd, der andere nichts von seinem Entschlu?, Arzt zu werden.
Sie suchten Dimka auf, um mit ihm zu vereinbaren, am nachsten Morgen schon eher aufzubrechen. Das Haus von Dimkas Eltern stand am Rande der Stadt, dort, wo die Taiga beginnt. In dieser Gegend war es still. Auf dem Weg stand dunnes Gras. In der Mitte verrieten Autospuren, da? der Tankwagen des Flughafens hier ofter durchfuhr.
Sie fanden Dimka am Zaun sitzend, den Rucken gegen die Latten gelehnt. In der Linken hielt er eine tonerne Katze mit einem Schlitz auf der Stirn. Das war seine Sparbuchse. Mit einem leimbeschmierten Stockchen stocherte er in dem Spalt.
„Was machst du da eigentlich?'
„Ich will mein Geld zahlen. Die Munzen habe ich rausgeschuttelt, aber die Scheine kommen nicht durch. Soll ich die schone Katze zerschlagen? Das ware doch ein Jammer.'
„Wieviel hast du denn?'
„Es werden ungefahr acht Rubel sein.'
„Wir haben gar nicht gewu?t, da? du so reich bist', sagte Petka. „Als wir fur das Boot sammelten, hast du drei Rubel gegeben. Du bist gemein, Dimka.'
„Das ist nicht wahr. Ich spare fur ein Gewehr. Wenn ich genug beisammen habe, seid ihr die ersten, die schie?en wollen.'
„Du kannst sparen, soviel du willst, aber nicht still und heimlich. Das ist unanstandig.'
„Was hangst du dich in fremde Angelegenheiten!' begehrte Dimka auf. „Ist es dein Geld?'
„Einen Augenblick, Petka', platzte Jurka dazwischen. Er befurchtete mit Recht, das Gesprach konnte einen unerwunschten Ausgang nehmen. „Dimka, wir wollen zwei Tage fortbleiben.'
„Wenn ihr es so gut habt, da? eure Eltern einverstanden sind. Ich darf bestimmt nicht.' „Wir durfen auch nicht. Aber von uns aus kann kommen, was will. Wir fahren eben. Damit basta. Diesmal geht es nicht auf die Insel, sondern in die Taiga. Dort finden wir eher was.' „Bestimmt', sagte Dimka gedehnt. „Fragt sich blo?, was. Ich dachte, wir hatten beschlossen, auf der Insel zu bleiben. Schon, fahren wir fur zwei Tage, dann setzt es wenigstens was, und dann war alles umsonst.'
„Wie meinst du das?'
„Nur so.'
„Nein, sag, wieso war dann alles umsonst?' beharrte Petka.
„Wieso, wieso.' Dimka zog behutsam einen Dreirubelschein heraus und legte ihn neben sich ins Gras. „Weil ihr nur hinter diesem Madchen her seid. Da habt ihr ja das richtige Dornroschen gefunden.'
„Sag das noch einmal.'
„Denkst du, ich traue mich nicht?'
„Na los!'
„Dornroschen.'
„Los, noch mal!'
„Dorn...'
Batz! Dimkas Sparbuchse flog ins Gras. Er sprang zur Seite. Dann uberkam ihn die Scham, weil er ausgewichen war, und er sturzte sich auf Petka. Ihre Fauste prallten aufeinander, in den Fingern knackten die Knochel. Vor Schmerz verdoppelten beide ihre Krafte. Wie irrsinnig hammerten sie aufeinander los und fuchtelten blindlings mit den Armen, als ware es ein Gefecht auf Leben und Tod. Alle Regeln eines ehrlichen Kampfes waren vergessen. Dimka versetzte Petka einen Tritt. Petka packte seinen Gegner am Hals. Als staubbedecktes Knauel walzten sich die ehemaligen Freunde auf der Erde. Jurka fuhlte sich verpflichtet, einzugreifen. Er bekam einen von