Richtung, in der die Rettung lag.
Eine halbe Stunde spater fuhrte ihn der Bach an den Flu?. Dort stand das Boot. Es schien auf ihn zu warten. Am Ufer spurte er den kalten Wind, der ihm heftig um die Ohren sauste. Das war wie im Traum, wie ein gro?es, unfa?bares Wunder.
Dann fielen ihm Dimka und Petka ein. Es wollte ihm scheinen, nicht seine Freunde hatten ihn, sondern er habe sie im Stich gelassen. Er dachte daran, da? es schrecklich und einfach unmoglich ware, ohne sie nach Hause zu kommen, und er beschlo?, hier zu warten — sei es einen ganzen Monat.
Endlich kamen die Tranen. Jetzt hatte er genugend Zeit zu weinen.
Da? Jurka verschwunden war, merkten Dimka und Petka fast gleichzeitig.
„Halt', schrie Petka, „wo ist Jurka?'
„Eben war er noch hier.'
„Los, zuruck!'
„Geh du, ich warte hier', erwiderte Dimka.
Petka machte kehrt. Er erinnerte sich: Als der Baum im Weg lag, waren er und Dimka drubergeklettert.
Jurka hatte einen Bogen gemacht. Petka ging um den Baum herum. Er sah die Mulde und suchte. Unten war niemand.
„Jurka!' rief er.
Der Rauch dampfte seine Stimme. Im Wald war alles wie taub. Kein Echo klang zuruck.
Petka kehrte um.
„Nichts. Komm mit, wir suchen beide.'
„Wie konnen wir suchen?' stie? Dimka hastig hervor. „Siehst du nicht, was hier los ist? Wir kommen selber nicht mehr raus. Wei?t du, Petka, er wird schon vor uns sein.'
Diese Erklarung leuchtete Petka ein. Er glaubte, da? Dimka recht hatte, ja er war davon uberzeugt — weil er wunschte, da? es so sei. Auf einer Stelle stehen war schlimmer als sich bewegen. Sie liefen weiter. Der Qualm wurde dichter. Er schien aus dem Boden zu steigen. Die Stamme waren dick verschleiert, sahen unwirklich aus, verschwommen, trube, grau. Bald wu?ten die Jungen nicht mehr, ob die Richtung noch stimmte. Sie drehten sich in einem gro?en Kreis. Den Punkt, der am weitesten vom Feuer entfernt war, hatten sie langst durchlaufen. Sie naherten sich der Brandstatte.
Bald wurde es heller. Das machte ihnen neuen Mut. Sie sturzten formlich vorwarts. Der Rauch war jetzt nur noch hinter ihnen. Sie sahen die Flammen. Dicht uber dem Waldboden brannte das Feuer nur sparlich, es kroch trage von Busch zu Busch, auf gewundenen Bahnen, immer dort entlang, wo es Nahrung fand. Doch oben in den Kiefern und Zedern sprang es von Wipfel zu Wipfel, und in der Tiefe des Waldes loderte es mit dunkelroten Zungen empor, wie aus einem riesenhaften Scheiterhaufen. Der Rauch stieg in die Hohe, wurde uber den Baumen vom Wind erfa?t und nach unten gedruckt. Hinter den Kindern ging er in dichten Schwaden zu Boden.
Die beiden standen auf einer gro?en Lichtung. Auch hier war die Luft hei?, kratzte in der Kehle, stach die Gesichter wie mit tausend Nadeln. Die Haut war zum Zerrei?en gespannt.
Dimka und Petka wandten sich ab. Sie rasten zuruck in den schmutzig wei?en Nebel, aus dem sie gekommen waren. Beim Rennen klopfte in den Schlafen das Blut, immer arger, immer lauter, je langer sie liefen.
Unerwartet verlor Petka das Gleichgewicht. Mit vollem Schwung sturzte er in einen Strauch. Die Zweige waren biegsam und frisch. Er klammerte sich daran fest, hing sekundenlang reglos uber der Erde.
„Dimka!'
Dimka wandte den Kopf. Er blieb stehen, um zu sehen, was los war, kam sogar einen Schritt zuruck.
„Dimka!' rief Petka noch einmal, aber jetzt klang seine Stimme merkwurdig dumpf und schwach. Dimka furchtete sich vor dieser Stimme. Ein heftiges, unwiderstehliches Mitleid mit sich selber uberkam ihn. Wenn nun plotzlich auch er hilflos im Gebusch liegen und so schrecklich schreien mu?te? Soweit durfte es nicht kommen. Noch konnte er fortrennen, fliehen. Zwar schmerzte der Kopf, in den Schlafen hammerte das Blut, aber er wurde sich retten. Die Angst trieb ihn unerbittlich vorwarts. Aufs neue begann er den sinn- und endlosen Lauf im Kreis.
Petka sah seinen Rucken. Bald verschwand auch der. Da rappelte er sich, von namenlosem Entsetzen gepackt, hoch, lie? die Zweige fahren und fuhlte, wie unter ihm der Boden zu rasen begann.
Auch Petka lief im Kreis.
Er wu?te nicht, wieviel Zeit vergangen war, als er stolperte und hinschlug. Seine Hand griff in etwas Warmes, Weiches. Das war Dimka.
Die beiden gro?en Kreise hatten sich an diesem Punkt geschnitten.

Dimka war bewu?tlos. Vielleicht ist er tot, dachte Petka, aber die Freude daruber, da? er nun nicht mehr allein zu sein brauchte, uberwog alles. Er knuffte und schuttelte den Freund. Dimka ruhrte sich nicht. Schlie?lich schleifte Petka ihn an den Armen fort. Er war selber schwach und alles andere als ein Held, aber er brauchte Dimka. Einen Freund bei sich zu wissen — wenn auch einen reglosen und stummen wie jetzt Dimka —, war immer noch besser als allein zu sein.
Nach hundert Schritten verlie?en Petka die Krafte. Er sank neben Dimka auf den Waldboden. So lagen sie beide in der Taiga, horten nichts von dem Scharren der Schaufeln, vom Klopfen der Axte. Sie sahen die Menschen nicht, die herbeigeeilt waren, um eine Schneise zu schlagen und dem Feuer Einhalt zu gebieten, vernahmen die Stimmen nicht, die ihre Namen riefen.
Undeutlich wie im Traum spurte Petka, da? ihn jemand an den Schultern ruttelte. „Alenow', klang es an sein Ohr, „Alenow', schwach, leise, als summte eine Mucke. Noch immer wurde er geschuttelt.
Als Petka endlich die Augen aufschlug, erblickte er uber sich das Gesicht des Lehrers. Daran war weder etwas Erfreuliches noch etwas Besonderes. Viktor Nikolajewitsch hatte ein wachsames Auge auf Issajew. Petka wu?te das aus Erfahrung. „Alenow — Petka, wo ist Alenow? Horst du? Wo ist Jurka Alenow?'
„Dort', flusterte Petka kaum horbar. „Wo? Zeig es mir.'
Es war nur noch ein Piepsen. Dann wurde es still. Das Gesicht des Lehrers verwandelte sich in das der Mutter und verschwand.
XIII
Derselbe Wind, der das Feuer durch den Wald gejagt hatte, schob vom Ozean drohende Regenwolken heran. Uber der Tunguska farbte sich der Himmel grau. Im Gebiet des Mittellaufs gingen schwere Regengusse nieder. Die Mitteilungen der Wetterwarten waren an diesen Tagen einformig und kurz.
„Regen', meldete Tura.
„Regen', hie? es in Iskup.
„Regen', bestatigte trostlos auch Bachta.
Das Wasser rann in alle Mulden und Senken. Es flo? in die angeschwollenen Bache. Die Bache wurden zu Flu?chen, die Flu?chen zu Flussen. Die Flusse ergossen sich in die Tunguska, die ihre trube, stark gestiegene Flut hastig auf den Jenissei zuwalzte, um die ungeheure Burde loszuwerden.
Von den Wolken blieb Ust-Kamensk verschont, die zogen weiter ostlich voruber, nicht aber vom Regenwetter. Dafur sorgte die Tunguska. Sie erreichte einen Stand fast wie im Fruhling, wirbelte die an ihren Ufern lagernden Holzstapel durcheinander, ri? einen zur Reparatur aufgestellten Kutter um, wurde, falls das so weiterging, oberhalb der Stromschnellen sicher noch das Tau einer Barke kappen.
Auf dieser Barke befand sich Lena.
Sie sa? inmitten von Drahtrollen, Schlafsacken und Kissen in der kleinen Kajute und lauschte dem Glucksen des Wassers, dem Klappern des Sperrholzes auf dem Dach. Die Barke legte sich auf eine Seite, rutschte scharrend uber die Steine, stie? gegen das Ufer.
Lena bi? sich auf die Lippen.,,Von mir aus', flusterte sie, „von mir aus. So ist es richtig.'