Nur seine Augen verrieten, wie ihm wirklich zumute war.

Jurka sah ihn furchtsam an. Dann wanderte sein Blick flu?ab. Vor den Strdmschnellen schimmerten schaumbedeckte Steine. Sergej Michailowitsch wu?te, was in dem Jungen vorging. 

„Trinkst du Lebertran, Jurka?' fragte er. 

Jurka schwieg. Er war nicht zum Scherzen aufgelegt. Sergej Michailowitsch erwartete auch keine Antwort. Beim Erzahlen hatte er sich einen dicken Strick um die Huften gebunden. 

Jetzt trat er ans Ende des Decks. Einen Augenblick schien es Jurka, er wollte den Spa? nur auf die Spitze treiben.

Dann freilich, als Sergej Michailowitsch tatsachlich sprang, bekam er eine Gansehaut. Die Stromung ri? den Schwimmer fort. Als sein Kopf wieder auftauchte, sah man, da? er dem Ufer zustrebte. Die Welle, die sich beim Aufschlag gebildet hatte, trieb schon vor ihm. Jurka meinte, im Vergleich zur Geschwindigkeit des Wassers seien die Armbewegungen viel zu langsam.

Der Strick spannte sich in einem weiten Bogen. Wie irrsinnig zerrte die Stromung daran, und Ljoscha gab nach. Den Strick langer festzuhalten, hatte bedeutet, Sergej Michailowitsch am Weiterschwimmen zu hindern.

Eine Minute verstrich, vielleicht auch mehr.

Weit von der Barke entfernt, kurz vor den Steinen, zeigten sich auf den Wellen zwei Arme und ein Kopf.

Der Strick zog in einer geraden Linie hinterher. Dann bemerkte Jurka, da? Sergej Michailowitsch nicht mehr auf das Ufer zuschwamm, sondern in die Flu?mitte getrieben wurde.

Bis der Schwimmer die Stelle erreicht hatte, wo das Wasser schaumte und brodelte, sah er die Arme, die sich in langsamem, gleichma?igem Rhythmus aus dem Wasser hoben. 

Dann war von Sergej Michailowitsch nichts mehr zu erblicken. 

„Ist er schon am Ufer?' fragte Lena. 

„Er hat sich losgebunden', erwiderte Ljoscha niedergeschlagen.

„Ljoscha!' schrie Jurka, weiter nichts, nur dieses eine Wort, doch Ljoscha regte sich auf und begann gleichfalls zu schreien.

„Was hei?t Ljoscha? Was willst du damit sagen? Ich kann nicht schwimmen. Verstehst du? Ich bin in der Steppe aufgewachsen. Hast du gehort? Denkst du, ich hatte es sonst nicht selber besorgt!' Er schwieg eine Weile. Als er wieder sprach, klang seine Stimme bose: „Dann gehen wir eben hier zugrunde. Ich kann es auch nicht andern.'

Lena stand mit zitternden Lippen dabei.

„Wo ist Onkel Serjoscha?' fragte sie.

Jurka sah sie an. Er empfand keine Angst mehr. In ihm regte sich eine gro?e Wut, genau wie in Ljoscha, ein unbandiger Zorn auf den rei?enden Flu?, die Stromschnellen, den untauglichen selbstgefertigten Anker. Jurka verspurte den Wunsch, von der Barke zu springen und mit geballten Fausten auf die verha?ten Wellen einzuschlagen.

„Ich kann schwimmen', sagte er. 

„Na und?' meinte Ljoscha gleichmutig. Kaum hatte er es gesagt, horchte er auf und flusterte: „Was denn, Junge, du willst es doch nicht etwa versuchen?'

„Ich bin ein guter Schwimmer', erwiderte Jurka.

„Ich wei? genau Bescheid. Man mu? in der Fahrrinne bleiben und nicht mit Gewalt ans Ufer wollen. Da kommt man schon durch. Ich hole Hilfe.' 

„Ja', sprach Ljoscha leise, „tu das.' Er beugte sich zu Jurka herab, um ihm ins Ohr zu flustern: 

„Schwimme, Junge, schwimme. Hier gehen wir doch blo? vor die Hunde. Vielleicht kannst du das Madchen retten.' 

Fur einen Augenblick bedauerte Jurka, da? Lena ihn jetzt nicht sehen konnte.

Aber als er am Heck stand, hatte er wieder Angst. Der Flu? zischte und tobte wie ein gereiztes Ungeheuer.

„Gleich springe ich', sagte Jurka kleinlaut. Ljoscha stand an seiner Seite. Er machte keine Bewegung, sagte weder „spring!' noch „spring nicht!'

Und Jurka loste sich vom Deck.

Als er aus dem Wasser auftauchte, sah er zuruck. Die Barke erschien ihm winzig wie ein Spielzeugschiff. Er schwamm. Wieder zogen die Ufer vorbei. Die Unterwasserstromung knuffte ihn in den Leib wie mit aufgeblasenen Luftballons.

Unweit von ihm drehte sich ein Strudel, kreiselte auf ihn zu. Jurka strebte zur Seite, aber der Strudel folgte, holte ihn ein, glitt an seinen Beinen weiter und zerrann. 

Jurka richtete den Blick nach vorn, wo zwischen den Steinen die enge Rinne auftauchen mu?te. Hinter den Wellen war nichts zu sehen. Er fuhlte nur, da? die Stromung zunahm. Sie schmiegte sich fest an den Korper wie Gummi und drang mit tausend kalten Wirbeln auf ihn ein. 

Dann kam die Pforte auf ihn zu. Ganz dicht standen die beiden steinernen Wande beieinander. Dahinter verschwanden die Ufer. Hoch spritzte der Schaum in die Luft. Er peitschte das Gesicht. Da — unmittelbar vor den Augen war ein Felsblock, gro?, glatt, und verschwand hinter dem Gischt einer daraufprallenden Welle. Unbeweglich, eine Saule gleich, stand das wei?e Wasser vor dem Stein.

Als Jurka ans Land getrieben wurde und aus dem Wasser stieg, sah er diese Gischtsaule noch vor sich. Sie stand erstarrt in der Luft, als hatte er sie mit einer Kamera aufs Bild gebannt. Ware er gefragt worden, ob es schlimm gewesen sei, durch die Stromschnellen zu schwimmen, hatte er keine Antwort gewu?t. Er konnte nicht sagen, ob er Angst gehabt hatte, erinnerte sich uberhaupt an nichts als an die eigenartige Empfindung der zunehmenden Geschwindigkeit, an das ins Gesicht klatschende Wasser und jene sonderbare, reglos in der Luft stehende Gischtsaule, die den Felsblock verdeckte.

Jurka lief uber eine Landzunge, kroch die Boschung hoch, war schon in der Taiga. Weil er es so eilig hatte, ubersah er die Fu?spur, die sich nicht weit entfernt von seiner eigenen durch den Sand zog. 

XIV  Sturm

Der Wind, der die Wolken herbeitrieb, fegte auch uber den Jenissej. Auf der kilometerbreiten Flache konnte er sich nach Herzenslust austoben. Wo die Tunguska mundete und Stromung mit Stromung zusammenstie?, schlugen die Wellen besonders hoch. Hier herrschte ein wildes Getummel von aufeinanderprallenden Wassermassen. Ein gro?er Teil der Wogen wurde den Jenissej hinuntergetrieben, aber es gab auch welche, die ins Bett der Tunguska rollten. Sie ubersturzten sich formlich, schossen die Anlegestelle empor und teilten weithin schallende Schlage aus.

Das Rumoren des Sturmes storte den Hafenmeister bei der Arbeit. Er sa? im zweiten Stock in seinem Zimmer und konnte sich nicht konzentrieren. Vor ihm stand die Schreibmaschine, die er sich fur einen halben Tag geliehen hatte.

Pawel verfa?te seine neueste Eingabe.

Drau?en schlugen die Wellen gegen den Uferrand. Das Gerausch veranla?te den Hafenmeister, die Stirn zu runzeln und aufzustehen. Er wanderte durchs Zimmer, setzte sich wieder auf die Kante des Stuhls. Unsicher tippten seine Finger die letzten Worter. Nach vollbrachtem Werk las er das Gesuch noch einmal durch und schickte sich an, den Briefbogen auszuspannen. Wenn es hierzu nicht kam, so nur, weil in diesem Augenblick, ohne anzuklopfen, der Matrose ins Zimmer platzte. 

„Die Boje, Pawel, die rote Boje hat sich losgerissen. Sie ist abgetrieben. Fehlt nur, da? jemand die Fahrrinne nicht kennt. Dann gibt's Arger.' 

Der Hafenmeister nahm den Feldstecher und eute nach drau?en. Weit von der Anlegestelle entfernt schaukelte eine rote Pyramide auf dem Wasser. Sie bewegte sich auf das linke Ufer zu. Es ware halb so schlimm gewesen, wenn dort unten nicht eine Sandbank lage. Darauf konnte die Boje hangenbleiben. Ein Dampfer, der ordnungsgema? zwischen Ufer und Markierungszeichen hindurchsteuern wollte, mu?te unweigerlich auf Grund laufen. 

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