Der Lehrer schien seine Gedanken zu erraten: „Ja, das stimmt, Jungs', sagte er, „oder es stimmt auch nicht, wie man's nimmt. Fruher traumte ich davon, Atlantis zu entdecken. In den Buchern wurde viel gemutma?t. Wirkliche Anhaltspunkte gab es fast gar nicht. Weil ich so viele Fragen hatte und keine Antwort darauf fand, nahm ich die Phantasie zu Hilfe.'

„Dann haben Sie wohl alles erfunden?' fragte Jurka enttauscht.

„Aber nein. Atlantis hat tatsachlich existiert. Versteht ihr? Nur wei? eben niemand, wie es dort ausgesehen hat. Da habe ich versucht, mir ein Bild zu machen, das meinen eigenen Wunschen entsprach. Spater, als ich alter wurde, begriff ich, da? es viel interessanter ist, wirklich etwas zu entdecken, als nur zu traumen. Aber das versteht ihr jetzt nicht, nein? Ich will versuchen, euch alles zu erklaren.'

„Das ist nicht notig', fiel ihm Jurka ins Wort. „Ich wei? genau, was Sie meinen. Ich hatte einen Freund, Pawel Alexejewitsch. Er war sehr mutig und wollte als Seemann auf ein Schiff gehen. Kein Mensch wu?te, wie mutig er war. Jetzt werden die Zeitungen von ihm schreiben.'

Die Jungen blickten den Lehrer an, als sahen sie ihn zum erstenmal. Ihnen schien, da? dort im Bett ebenfalls ein Junge sa?e, der sich zum Spiel ein Land ausgedacht hatte. Auch er hatte gesucht — und nichts gefunden. Vielleicht kam er ihnen deshalb jetzt einfacher und verstandlicher vor.

Das war die zweite Entdeckung, auch wenn sie sich's noch nicht eingestehen wollten. — Als sie aus dem Krankenhaus ins Freie traten, sagte Petka: „Da? es sein Heft ist, hatte ich nie fur moglich gehalten.'

Am Abend dauerte es lange, bis Jurka mude wurde. Er schritt durchs Zimmer und wollte aller Welt erzahlen, was sich zugetragen hatte. Da er aber nicht wu?te, wem er sich anvertrauen sollte, ruckte er schlie?lich einen Stuhl an den Tisch und griff nach dem Notizblock. Lange kaute Jurka am Bleistift. Dann schrieb er: „Unser Stadtchen hei?t Ust-Kamensk. Im Winter ist es sehr kalt, und im Sommer gibt es viele Mucken, weil wir am Jenissej und an der Tunguska liegen.' 

Beim Schreiben merkte er, da? ihm der Bleistift nicht gehorchte. Die Satze, die er aufs Papier kritzelte, waren anders als seine Gedanken. Er wollte kraftiger schreiben, die Menschen packen. Seine Worte sollten drohnen wie Trompeten. 

Er strich alles durch und begann von vorn. Aber auch die neuen Satze erschienen ihm kummerlich und schwach. Sie wirkten kindlich. Man mu?te lernen, wie ein Erwachsener zu schreiben.

Gegen Mitternacht kam die Mutter. Sie steckte ihn ins Bett. „Wei?t du, Mutti, was ich einmal werden mochte?' fragte er. „Schriftsteller.'

Es war seine dritte Entdeckung. 

XVI  Der Weg

Ende August farbten sich die Taigaseen dunkel. Auf dem Wasser schwammen Blatter: goldene Schiffchen mit gezackten Randern, per fruhe Herbst strich die Baume an. In bunten Flammen verbrannte die sommerliche Pracht des Waldes. Die Sonne warmte nicht mehr. Kalter Wind fegte ubers Land. Die Schiffe, die aus dem Norden kamen, heulten mit verschnupftem Ba?, als hatte an der Kuste schon der Winter seinen Einzug gehalten.

Ende August wollte Lena abreisen.

Zusammen mit ihrem Vater und Sergej Michailowitsch traf sie in Ust-Kamensk ein. Als die drei Ankommlinge sich nach dem Haus der Alenows durchgefragt hatten, war es schon Abend. Erstaunt sah Lenas Vater den verlegenen Jungen an, druckte ihm lange die Hand und murmelte: „So siehst du also aus. Ich hatte mir dich anders vorgestellt, gro?er und alter.'

Nachher sa?en Jurka und Lena vor dem Haus auf einem Balken. Jurka erzahlte von dem Waldbrand und vom Hafenmeister. 

Lena war schmal geworden seit ihrer letzten Begegnung. Der volle Zopf, der ihr uber die linke Schulter hing, wirkte unnaturlich lang. Sie machte einen zerfahrenen Eindruck, lachelte hoflich, aber traurig und horte nicht aufmerksam genug zu. Vielleicht fiel ihr der Abschied schwer?

Ab und zu bewegte sie die Lippen, als wollte sie seine Worte wiederholen. Als Jurka dies bemerkte, dachte er, da? es schon sein mu?te, mit Lena in eine Klasse zu gehen. Dann fragte er sich, wie er eigentlich aussehe. Gut? Er verspurte den Wunsch, ein hubscher Junge zu sein.

Als er ihr sein gro?es Geheimnis anvertraute, den letzten Entschlu?, Schriftsteller zu werden, geschah es in der Erwartung, einen Begeisterungssturm auszulosen.

Lena nahm die Neuigkeit ohne jede Gemutsbewegung auf. Sie verzog nicht einmal die Lippen, als sie sagte: „Ach? Petka hat mir erzahlt, da? er Flieger werden will. Das ist auch ein schoner Beruf.'

Jurka war entsetzt. 

Etwas spater kam Petka. Er setzte sich zu ihnen, als ware es sein Balken. „Guten Abend, Lena.'

„Guten Abend', erwiderte das Madchen, „morgen reise ich ab.'

„Mit der ,Irtysch'', sagte Petka. „Kommst du zum Hafen?' fragte Lena.

„Ehrensache, da? wir kommen.'

„Das Schiff geht um neun.'

„Um neun Uhr zwanzig', verbesserte Petka.

Hierauf verstummte das Gesprach. Jurka meinte, die beiden schwiegen, weil er dabeisa?. Er war tief gekrankt, stand auf und ging ins Haus. Sie hielten ihn nicht zuruck.

Als er Minuten spater durchs Fenster lugte, sa?en beide auf der gleichen Stelle. Sie schwiegen noch immer. Als er zum zweitenmal ans Fenster trat, war der Balken leer. Das setzt allem die Krone auf, fand Jurka. Zu Tode beleidigt verkroch er sich ins Bett, ohne vorher die Sachen auszuziehen. Ubrigens schlief er traumlos und fest.

Am Morgen kam Petka, um ihn abzuholen. Sie gingen zusammen zum Hafen.

Sergej Michailowitsch, Lena und ihr Vater waren bereits da. Dimka hatte sich nicht eingefunden.

„Wo bleibt Dimka?' fragte Lena. Sogleich waren alle aufgeregt und au?erten die verschiedensten Vermutungen, wo Dimka stecken konnte und warum er nicht gekommen war, als hatte es im Augenblick nichts Wichtigeres gegeben.

Die Dampfersirene heulte einmal.

„Also', sagte Sergej Michailowitsch, „verabschieden wir uns. Dimka kommt sicher nicht mehr.' 

Lenas Vater druckte ihm kraftig die Hand. „Dann bleib gesund. Ich danke dir fur alles.' 

„Und was soll nun werden, wo geht es anschlie?end hin?' fragte Sergej Michailowitsch. „Wieder zu uns?' 

„Das wei? ich noch nicht genau. Daheim habe ich ein Haus. Das kann man naturlich verkaufen.' 

„Wieso wei?t du es plotzlich noch nicht?' meldete sich Lena. „Bei uns gibt es keine zehnklassige Schule, nicht einmal eine siebenklassige. Ich will lernen.'

„Ich sage ja, das Haus konnen wir verkaufen.'

Jurka kam dem Madchen zu Hilfe. „Unsere Schule ist ganz gro?e Klasse.' 

Die Dampfersirene heulte zweimal. 

Lena ging mit ihrem Vater uber die Schiffstreppe. Oben angekommen, stellten sie sich an die Reling. 

Die Dampf ersirene heulte dreimal. Die Maschine stohnte auf. Ein Zittern lief durch das Schiff. Unter dem Heck schaumte und brodelte das Wasser. 

Der Abstand zum Ufer betrug schon einen halben Meter, als Petka an Jurka und Sergej Michailowitsch vorubersauste. Mit einem Satz war er an Bord.

„Die Adresse', schrie er Lena ins Ohr, „ich habe vergessen, dir die Adresse zu geben. Swerdlowstra?e achtzehn.'

Ein zweiter Sprung brachte ihn auf die Anlegestelle zuruck. An Bord larmten und lachten die Leute. Aus dem Lautsprecher am Mast plarrte Marschmusik. Alle anderen Gerausche gingen darin unter. Bald fuhr der Dampfer in den Jenissej ein. Vom Wasser stiegen die Mowen auf, ihm das Geleit zu geben. Jetzt erst traf im Hafen Dimka ein, schwei?bedeckt, au?er Atem, das Gesicht gerotet vom schnellen Lauf. Fassungslos und beleidigt sah er die anderen an.

„Ist das dumm!' jammerte er. „Funf Rubel habe ich fur den da ausgegeben und auch noch ein Halsband gekauft.' Er knopfte das Hemd auf. Ein Hundchen kam zum Vorschein. Es war schmutzig wie eine Krote. „Extra

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