„Was wird im Kino gespielt?'

„Jetzt lauft ein deutscher Film', erwiderte Wenka, „fur Jugendliche unter sechzehn nicht zugelassen.'

„Und in dem andern?'

„Ein italienischer, auch erst ab sechzehn.'

Der Steuermann lachte. „Pech fur dich.'

„Was hei?t Pech?' Wenka tat erstaunt. „Ich war schon drin. Es ist gro?er Quatsch. Nichts als Knutschen.'

Die leichte Brise trieb das Boot vom Trawler ab. Man mu?te wieder schreien. Wenka fuhlte sich geschmeichelt. Seinetwegen hatte das Schiff in der Mitte der Bucht gestoppt. Von ihm, ausgerechnet von ihm wollte die Mannschaft samtliche Neuigkeiten erfahren.

Als nach vielem Hin und Her die Sirene heulte und der Trawler seine Fahrt zum Heimathafen fortsetzte, fiel Wenka ein, da? er vergessen hatte zu fragen, wann das Schiff seines Vaters vom Fang zuruckkehrte.

Er stohnte, wendete und ruderte weiter. Der Bug bohrte sich durch die Sonnenstra?e. Hinter dem Heck glitzerten Tausende scharfkantiger Funken. Die Sonnenstra?e sah aus, als ware ein Verschwender hier entlanggekommen und hatte Diamanten und Edelsteine hingeschuttet, damit ein lichtspruhender Pfad entstand.

Hinter dem Halbrund der Bucht erhoben sich blaue Berge. An ihrem Fu?e standen die Gebaude des Staatlichen Fischkombinats. Wenka brauchte noch eine Stunde, um das Ufer zu erreichen. Als er angekommen war, nahm er das in Wachstuch gehullte Paket mit den Briefen und sprang aus dem Boot.

Offenbar hatten ihn die Leute schon von weitem erspaht. Als er durch die Hauserreihen schritt, wurden zu beiden Seiten die Fenster aufgerissen.

„Wenka, ist fur mich nichts dabei?'

„Leider nein.'

„Hast du was fur mich?'

„Nein, nein, heute kriegt nur einer was.'

Aus der Werkstatt kam Ilja Sykow, ein Maschinist, heraus.

„Tag, Seemann. Bist du zu den Brieftragern ubergelaufen?'

„Jawohl', erwiderte Wenka. „Ilja Iwanowitsch, wo finde ich Schawrow? Ich habe einen Einschreibebrief fur ihn. Er soll wohl hier arbeiten. Ich habe ihn nie gesehen.' „Zeig mal her.'

Der Maschinist drehte den Brief in der Hand. Um besser sehen zu konnen, lie? er das Licht darauffallen. Uber sein Gesicht huschte ein zufriedenes und — wie es Wenka schien — schadenfrohes Lacheln.

„Sieh mal an', meinte er, ,,P. E. Schawrow. Ja, das hat seine Richtigkeit. Da hat sie ihn also doch noch aufgespurt.' Er beugte sich zu Wenka herab und flusterte ihm ins Ohr: „Er ist in der Werkstatt, bringt gerade Schwimmer an. Geh rein und la? ihn eigenhandig unterschreiben. Er wird bestimmt versuchen, die Annahme zu verweigern. Du mu?t Ruckgrat zeigen.'

„Warum will er den Brief nicht haben?' wunderte sich Wenka.

„Das ist seine Art. Ein komischer Kerl.'

In der Werkstatt war ein Netz aufgespannt. Davor stand ein Mann, der drei?ig Jahre alt sein mochte. Da er bis zum Gurtel nackt war, konnte Wenka die Tatowierung auf seiner Brust erkennen: eine Katze, die eine Maus jagt.

„Guten Tag', gru?te Wenka, „Sie haben Post.'

Der Mann streckte die Hand aus, warf einen Blick auf den Absender und reichte den Brief zuruck.

„Wer sagt dir denn, da? er an mich gerichtet ist?'

„Dort steht P. E. Schawrow. Das sind Sie.'

„Na und?'

„Na ja, das ist eben Ihr Brief', erklarte Wenka unsicher.

„Und wer bist du?'

„Wie soll ich das sagen?'

„Doch nicht der Brieftrager?' „Ach wo, ich helfe nur aus.'

„Wenn du nicht der Brieftrager bist, brauchst du dir keine grauen Haare wachsen zu lassen. Verwandte habe ich nicht, und ich wu?te nicht, wer mir schreiben sollte. Also, es hat mich sehr gefreut.'

„Aber Sie sind doch P. E. Schawrow?' vergewisserte sich Wenka leise.

„Ob ich P. E. bin oder XYZ, das kann dir doch vollig gleichgultig sein.'

Geknickt schlich Wenka davon.

,,Er war wohl sauer?' fragte Sykow.

„Er will den Brief nicht haben', erwiderte Wenka zerknirscht.

Sykow trat an die Werkstattur und sprach in das Halbdunkel hinein: ,,Paschka, warum machst du es dem Jungen so schwer? Er tut nur seine Pflicht. Nimm den Brief. Ja?'

„Seit wann hast du mir Vorschriften zu machen?' Paschkas Stimme klang bose. „Kummere dich darum, da? dein Motor in Ordnung ist. Ob ich den Brief annehme oder nicht, geht dich einen Dreck an.'

Sykow lachte. „Falls ich dir nicht genuge, trommeln wir die Brigade zusammen. Wenn die Jungs dich vornehmen, wirst du schon sehen, wen es angeht.'

Schawrow warf Wenka eine giftigen Blick zu und stiefelte hinaus. Wenka, der kein Wort verstand, spurte, wie ihm der Gaumen trocken wurde. Er fuhlte sich ungerecht behandelt. So war bisher noch niemand mit ihm umgesprungen.

 „Du darfst nicht lockerlassen', ermutigte ihn Sykow. „Das ist jetzt sehr wichtig. Klar?'

 „Ich habe die Nase voll', sagte Wenka.

 „Wie du meinst. Nur mu?t du wissen, da? er in Leningrad einen funfjahrigen Sohn hat. Weil er kein Geld schicken will, verkriecht sich der Bursche vor seiner Frau und dem Kleinen. Neulich hat er geprahlt, da? sie ihn hier nicht finden werden. Wie du siehst, hat seine Frau es trotzdem geschafft. Sie ist viel zu gut, schickt ihm noch Briefe, statt die Angelegenheit dem Gericht zu ubergeben.'

 Stimmte denn das alles? Wenka blickte Sykow an. Der Maschinist machte ein ernstes Gesicht. Da gab es also tatsachlich einen Mann, der sich verborgen hielt, weil ihm das Geld leid tat, das er Frau und Kind schicken sollte! Wie war so etwas moglich? Wenka stellte sich vor, was ware, wenn sein Vater plotzlich auf den Gedanken kame, sich zu verstecken, und die Mutter am Tisch sa?e, um einen Brief zu schreiben Aber das war Unsinn. Vater wurde dergleichen nie fertigbringen.

Wenka pre?te den Brief in der Hand, die auf einmal feucht geworden war, und rannte los, um Schawrow zu suchen.

Er traf ihn im Wohnheim, allein.

„Nehmen Sie bitte den Brief', sagte Wenka. Schawrow lachte. Er ging an die Tur und machte sie zu.

„Du bist doch ein kluger Junge', begann er heiter, „noch dazu einer mit Charakter. Wei?t du, wir machen es folgenderma?en. Du schreibst ,Empfanger verzogen' auf die Quittung. Schon ist alles in Butter. Na komm, sei kein Spielverderber.'

„Nein, das geht nicht.'

„Du brauchst nicht zu denken, da? es umsonst sein soll. Das verlangt kein Mensch.' Schawrow kniff ein Auge zu. „Da, steck ein, das ist deins.'

Auf dem Tisch lag ein Jagdmesser mit roter Scheide und einem Griff aus Kunststoff. Auf der Klinge war eine Rinne angebracht. Damit das Blut abflie?en kann, uberlegte Wenka. Er brauchte nur die Hand auszustrecken, und schon gehorte das Messer fur immer ihm. Der Gedanke an die Blutrinne lie? ihn erschauern.

„Nehmen Sie den Brief', flehte er, „ich mu? weiter.'

„Wie du willst.' Schawrow lie? das Messer im Tischkasten verschwinden. „Warte einen Augenblick.' Er ging hinaus.

Wenka wartete eine halbe Stunde. Als noch immer niemand kam, verlie? er das Heim. Von der Au?entreppe aus sah er die Menschen, die bei den Booten standen und sich anschickten, auszufahren. Zwischen den vielen Kopfen leuchtete Schawrows wei?e Schirmmutze.

Mit einem Satz war Wenka unten. Er lief zum Ufer. „Nehmen Sie den Brief', rief er Schawrow zu, als er die Boote erreicht hatte.

„Mach nicht solchen Larm', zischte Schawrow ungehalten. „Gib ihn mir morgen.'

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