das Atmen vollig unmoglich. Wie ich gelesen habe, flog neulich ein Adler zu hoch. Er verirrte sich in den luftarmen Raum und ist dort elend zugrunde gegangen.'

Die Geschichte hatte er naturlich frei erfunden. „Chokkanen, hast du meine Frage verstanden?' wies ihn die Lehrerin zurecht. „Gib gefalligst eine exakte und deutliche Antwort. Also noch einmal. In welche Schichten gliedert sich die Erdatmosphare? Nun? In die Tropo...'

„Jawohl, Anna Naumowna, wenn in einem Dusenflugzeug die Kabine platzt, wird der Pilot von einer Luftwelle erdruckt. Das ist es ja eben. Unten haben wir sehr dicke Luft.'

Jetzt wurde Anna Naumowna bose. „Schame dich, Chokkanen, diese wichtigen Dinge nicht zu beherrschen. Selbst wenn du im Lehrbuch nicht nachgelesen hast, mu?t du doch wissen, worin sich heutzutage, im Zeitalter der Sputniks, jedes kleine Kind auskennt. Oder liest du etwa auch keine Zeitschriften?'

„Im Zeitalter der Sputniks' ist ein Lieblingsausdruck von Anna Naumowna. Als der erste Satellit gestartet wurde, kam sie, eine Zeitung schwenkend, in die Klasse gesturmt, las die ganze Stunde daraus vor und erklarte die Arbeitsweise der Gerate, mit denen der Satellit ausgerustet war.

Unser Land hatte als erstes einen Sputnik gestartet, au?erdem gab es in der Stunde keine Leistungskontrolle. Es war ein doppelter Grund zur Freude. Seit damals hei?t es bei Anna Naumowna stets „im Zeitalter der Sputniks', sooft sie sich uber uns argert.

Als Stjopka diesen gefurchteten Satz vernahm, wu?te er, da? die Sache fur ihn nicht besonders gut stand. Er machte sich auf eine Drei gefa?t. Zu allem Uberflu? malte Poljanskaja eine Fratze mit einer lang herausgesteckten Zunge auf ihr Loschblatt und ruckte verstohlen zur Seite, damit Stjopka es unmoglich ubersehen konnte. Von jedem anderen Schuler hatte er diesen kleinen Ulk gelassen hingenommen. Da? aber Nina ihren Schabernack mit ihm trieb, brachte ihn auf. Vor Emporung wackelte er sogar mit den Ohren.

Da er nicht wu?te, wie er dem Madchen die Frechheit im Augenblick anders heimzahlen sollte, rachte er sich durch seine Antwort an die Lehrerin: „Doch, Anna Naumowna, Zeitschriften lese ich gern. Neulich stand in einem Artikel, an unserer Schule gibt es alle moglichen Arten von schwachsinnigen Kunstlern.'

Anna Naumowna errotete.

„Wie meinst du das, Chokkanen?'

Stjopka furchtete, sie konnte die Bemerkung auf sich beziehen, und beeilte sich zu erklaren: „Sie sind nicht gemeint, Anna Naumowna. Ehrenwort, an Sie habe ich nicht gedacht.' Das machte alles noch schlimmer.

„Setz dich, Chokkanen. Fur dein Wissen bekommst du eine Drei, fur dein Verhalten eine Funf. Im Mittel ergibt das die Note Vier. Nach dem Unterricht bleibst du hier. Ich habe mit dir zu reden.'

Als die letzte Stunde um war, leistete ich ihm Gesellschaft. Wir warteten auf dem Flur, bis Anna Naumowna kam.

„Chokkanen', sagte sie, „weshalb kannst du deine Zunge nicht im Zaum halten? Wenn man dir eine Frage stellt, faselst du wer wei? was fur ungereimtes Zeug. Was soll dieser Unsinn von Adlern, Piloten und Kunstlern?'

„Na, wenn die immer...' „Wer ist ,die'?'

„Eben die. Sie waren nicht gemeint, Anna Naumowna, Ehrenwort.'

„Deine Geheimnisse kannst du fur dich behalten', entgegnete die Lehrerin. „Mir geht es nur darum, da? du dich zu einem klugen und gebildeten Menschen entwickelst. Morgen wirst du in die Schule kommen und so lange mit mir arbeiten, bis du das gesamte Wochenpensum beherrschst.'

„Morgen ist Sonntag.'

„Denkst du, mir macht es Spa?, mich auch noch an Feiertagen mit dir herumzuplagen, Chokkanen? Ich habe Familie, zwei Kinder, das wei?t du selbst. Aber was sein mu?, mu? sein.'

„Das ist wahr', gab Stjopka zu, „was sein mu?, mu? sein. Im Zeitalter der Sputniks gehen wir sogar sonntags in die Schule.'

Ich stand neben ihm und argerte mich nicht minder als er. Fur morgen hatten wir uns eine Tour nach dem Steinbruch vorgenommen. Wir wollten beim Granitsprengen zusehen. Daraus wurde nun nichts. Trotzdem hatte sich Stjopka den letzten Satz sparen sollen. Es war eine Unverschamtheit.

Anna Naumowna ging kopfschuttelnd davon.

„Die wird mich noch kennenlernen', sagte Stjopka.

„Gib nicht an, Stjopka. Was willst du denn machen.'

„Ich meine nicht Anna Naumowna. Nina.'

„In die bist du doch verliebt.'

„Seit zwei Stunden hasse ich sie', knurrte Stjopka.

Auf unserem Heimweg grubelte ich immerfort daruber nach, wie ich ihm klarmachen konnte, da? es besser gewesen ware, sich diese Bemerkung mit dem „Zeitalter der Sputniks' zu verkneifen. Stjopka aber hatte die Ungezogenheit bereits vergessen. Das ist bei ihm immer so. Unangenehmes vergi?t er schnell und bildet sich ein, da? alle anderen auch nicht mehr daran denken.

Sonntag morgen holte ich Stjopka ab. Es bestand fur mich keine Notwendigkeit, mit in die Schule zu gehen. Da ich zu Hause jedoch nichts anzufangen wu?te, begleitete ich ihn. Bis zu unserer Schule ist es nicht weit. Wenn man sich anstrengt, kann man es in funf Minuten schaffen. Stjopka uberredete mich jedoch, einen Umweg durch den Wald zu machen, am Marmorsee vorbei bis zur Bahnlinie, und von dort ist es nur ein Katzensprung. Zur Begrundung seines Vorschlags fuhrte er an, ein wenig frische Luft tue ihm gut, nach einem Spaziergang arbeite sein Kopf immer viel besser. Au?erdem wolle er den gesamten Stoff noch einmal laut wiederholen.

Im Wald lag hoher Schnee. Als wir uns zu einem Pfad durcharbeiteten, drang er in die Filzstiefel. Naturlich dachte Stjopka nicht daran, auch nur einen Satz zu wiederholen. Er lief voraus und hatte weiter nichts im Kopf, als heimlich die Zweige zu schutteln, damit ich die Schneedusche abkriegte. Als ihm das zu langweilig wurde, jaulte er ein Lied, das er im Radio gehort hatte: „Der Ring mein's Feinsliebchens sank auf den Meeresgrund...'

Er kannte nur eine Zeile. Die wiederholte er mit unermudlichem Eifer. „Feinsliebchen' hatte es ihm besonders angetan. Jedesmal, wenn er an diese Stelle gelangte, glitt ein Lacheln uber sein Gesicht. Ich meinte, er sollte endlich ans Lernen denken, das konnte nicht schaden. Aber wenn Stjopka vom Feinsliebchen singt, ist mit ihm nichts anzufangen.

Spater hob er die Nase in die Luft und staunte. „Ist die Atmosphare aber blau! Wie kommt das eigentlich, Mischa?'

Am Marmorsee sa? auf einer kleinen Halbinsel ein Angler. Jeden Sonntag kommen Leute aus der Stadt zu uns auf die Karelische Landzunge, um hier zu angeln, aber wir haben noch nie erlebt, da? jemand im Marmosee etwas gefangen hatte au?er Krebsen.

„Bei?en sie?' erkundigte sich Stjopka hohnisch.

Der Angler zeigte sich hocherfreut uber die Frage. Wahrscheinlich ging ihm die Einsamkeit auf die Nerven.

„Und wie', erwiderte er, „vorhin war es ein Vergnugen.' Er klopfte auf den Rucksack. „Drei Kilo werden schwerlich reichen, lauter kleine Dinger. Auf einmal klappt es nicht mehr. Es ist wie verhext.'

Wir konnten uns das Lachen kaum verbei?en, denn im Marmorsee gibt es keinen Stichling, das wu?ten wir genau. Dazu ist das Wasser viel zu faulig. Stjopka meinte mit einem Blick auf den Rucksack, das sei kein Wunder, hier wimmle es ja bekanntlich nur so von Spiegelkarpfen.

Auf diese frohe Kunde antwortete der Mann mit einem Seufzer. „Nein, Karpfen habe ich noch nicht gefangen', flusterte er, „nur Barsche.'

Wir gingen weiter. Er blieb sitzen und harrte gespannt auf den ersten Spiegelkarpfen. Uns sollte es recht sein. Angler haben alle einen kleinen Vogel. Sie hocken von fruh bis spat an der gleichen Stelle und warten verbissen auf ein Wunder. Die Hoffnung ist ihr gro?er Troster.

Stjopka und meine Wenigkeit waren kaum zwischen den Baumen untergetaucht, als wir einen Schu? horten. Gleich darauf schrie jemand aus Leibeskraften: „Halte ihn, halte ihn, er entkommt!'

„Spa?vogel', sagte Stjopka. „Den soll ich wohl mit blo?en Handen fangen?' Er dachte, es ware ein Hase.

Gleich darauf krachte es zu unserer Rechten im Unterholz. Ein Elch trat heraus, sah uns stehen und wendete sich zur Seite. Wir waren nicht weniger erschrocken als er. Seine Augen hatten wild gefunkelt. Offenbar war es ein boser Elch, oder er hatte einfach Angst.

Вы читаете Die Geschichte von Atlantis
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату