Wir setzten uns neben ihn. Als wir einige Meter gefahren waren, fragte der Schoffor: „Und was sagen die Arzte? Wird er durchkommen?'
„Er ist nicht mehr', antwortete Stjopka.
„Dann fahrt ihr wohl zum Begrabnis?'
„Nein. Ich habe uberhaupt keinen Bruder.'
Der Fahrer bremste so scharf, da? der Wagen ins Schleudern geriet.
„Raus mit euch! Lausebengel.'
„Genosse Schoffor', flehte Stjopka, „ich meine es ehrlich und hatte bestimmt nicht geschwindelt. Aber wenn wir die Wahrheit sagen, wird uns ja immer nicht geglaubt. Wir mussen wirklich ganz schnell zur Miliz.'
„Und dann wohl zur Schwester?' fragte der Schoffor.
„Nein, das mit der Miliz ist wahr. Ehrenwort.' Stjopka erzahlte ihm, wie sich alles zugetragen hatte.
Danach sagte der Schoffor: „Mu?test du erst schwindeln?? Wenn du ehrlich gewesen warst, hatte ich euch auch mitgenommen.'
„Nein, nein', entgegnete Stjopka, „das wei? ich besser. Es mu? schon jemand tot sein oder im Sterben liegen, sonst ist man verraten und verkauft.'
Der Fahrer lachte und startete erneut. Er konnte sich nicht wieder beruhigen. Um ein Haar ware ihm eine Kuh unter die Rader geraten.
Er brachte uns bis zur Miliz, ging sogar mit uns hinein.
Der diensthabende Offizier war ein junger Leutnant mit roten Wangen. Stjopka erstattete ihm Bericht. Um seine Worte noch eindrucksvoller zu machen, fugte er hinzu: „Sie hatten auch alle einen Dolch bei sich.'
Ich stand neiderfullt neben meinem Freund. Nie im Leben ware ich auf einen so brauchbaren Trick verfallen. Vielleicht hatte es dieser Luge gar nicht bedurft. Der Leutnant funkelte ohnedies mit den Augen.
„Habt ihr die Nummer erkannt?' „Leider nein.' Er setzte sich wieder hin.
„Zu dumm. Wie soll ich nach ihnen fahnden lassen?'
„Leutnant, wei?t du was', schaltete sich der Fahrer ein, „komm in meinen LKW. Die Spitzbuben sind bestimmt aus der Stadt, da konnte ich wetten. Auf der Landstra?e werden wir sie erwischen. Einundsechzig Kilometer von hier ist der Kontrollposten. Die Genossen sollen den Wagen anhalten. Ruf doch an. Welche Farbe hat das Auto?'
„Es ist blau', erwiderte Stjopka.
Alles vollzog sich haargenau so, wie der Fahrer vorausgesagt hatte. Eine Stunde spater waren wir am Ziel. Allerdings erblickten wir nicht nur einen blauen Pobeda, sondern gleich vier. Die Insassen standen auf der Stra?e, gestikulierten und schimpften, was das Zeug hielt. Der eine jammerte, er kame zu spat ins Theater, ein anderer wollte sein Flugzeug nicht verpassen.
Ein dritter griff sich an die Pelzmutze und stie? mit dem Stiefelabsatz gegen die Motorhaube seines Autos.
„Begreifen Sie doch', regte er sich auf, „dieser Wagen ist nicht blau, sondern ultramarin. Nicht blau, ul-tra- ma-rin!'
Unser Fahrer wiegte bedenklich den Kopf. „Na, die werden dir die Holle hei? machen, Leutnant. Sehen ganz danach aus.'
Der Leutnant stieg aus. Sogleich sturzten sich alle auf ihn.
„Haben Sie veranla?t, da? wir hier festgehalten werden?'
„Wie Verbrecher behandelt man uns.'
„Geben Sie mir Ihren Namen.'
„Nicht einmal sonntags hat mein seine Ruhe.'
Stjopka lief um einen Pobeda herum und rief: „Hier sind sie, Genosse Leutnant, kommen Sie her, hier sind sie!'
Die Menschen machten einen Larm wie eine Betonmaschine.
Der Leutnant sprach auf jeden einzelnen ein, aber keiner horte ihm zu. Der Mann mit der Pelzmutze zog ihn am Armel zu seinem Auto. Er schrie ununterbrochen, da? der Wagen nicht blau, sondern ultramarin sei. Ich war im Fahrersitz geblieben und hatte auch jetzt keine Lust auszusteigen. Eigentlich hatten wir ja das Donnerwetter heraufbeschworen und nicht der Leutnant. Zum Gluck eilte der Inspektor herbei, der die blauen Pobedas angehalten hatte.
„Aber Genossen, beruhigen Sie sich doch', sprach er auf die erregten Menschen ein. „Der Leutnant erfullt nur seine Pflicht. Warum machen Sie ihm das Leben schwer? Es lag der Befehl vor, jeden blauen Pobeda zu stoppen. Eine halbe Stunde haben Sie hier zugebracht, Burger, langer nicht, aber durch dieses kleine Ungemach beigetragen, eine Verbrecherbande dingfest zu machen. Jetzt konnen Sie Weiterreisen — au?er diesem Wagen da, der bleibt hier. Schonen Dank', sagte er, zog den Handschuh aus und streckte jedem die Hand hin, „schonen Dank auch Ihnen, und Ihnen gleichfalls.'
Sie wechselten noch ein paar Worte miteinander, dann stiegen alle in die Autos und fuhren davon. Nicht einmal den Namen des Leutnants hatten sie notiert. Der mit dem Ultramarin-Pobeda hinterlie? sogar seine Anschrift fur den Fall, da? ein Zeuge gebraucht wurde.
„Nun, Leutnant', sagte der Inspektor, „das Weitere besorgen Sie wohl selbst?'
„Jawohl, Genosse Hauptmann.'
„Alles Gute.'
Der Inspektor setzte sich auf sein Motorrad und brauste davon.
Bis jetzt waren die Wilddiebe in ihrem Wagen geblieben. Als der Leutnant herantrat, kletterten sie heraus und sahen ihn bose an. „Ihre Papiere.'
„Bitte sehr', sagte Sergej Sergejewitsch herablassend.
Der Leutnant prufte die Dokumente und fachelte damit in der Luft.
„Hier ist das Wort Verbrecher gefallen', lie? sich Sergej Sergejewitsch hochmutig vernehmen. „Offenbar waren wir damit gemeint?' Er spielte die gekrankte Leberwurst.
Die beiden anderen standen grimmig lachelnd neben ihm.
„Zeigen Sie mir Ihre Jagderlaubnis', verlangte der Leutnant.
„Vielleicht sind Sie so liebenswurdig, mir zu erklaren, was dies nun wieder zu bedeuten hat. — Freunde, versteht ihr das?' wandte er sich an seine Kumpane.
„Kein Wort', erwiderten die mit Unschuldsmiene, „der reinste Zirkus.'
Der Leutnant sagte: „Im Wald haben Sie einen Elch geschossen. Diese beiden Jungen haben es gesehen.'
„Diese beiden Rowdys', entgegnete Sergej Sergejewitsch blasiert. Viel hatte nicht gefehlt und er ware vor lauter Vornehmheit geplatzt. „Niemand bestreitet, da? die beiden Strolche eine bluhende Phantasie haben. Aber geradestehen fur alles, was uns angetan wurde, mussen Sie. Wir waren tatsachlich im Wald. Von einem Elch haben wir allerdings nichts bemerkt und auch keinen einzigen Schu? abgegeben. Ich sehe zwar keinerlei Veranlassung, mich vor Ihnen zu rechtfertigen, bin jedoch bereit, einen Beweis zu liefern.' Er klappte sein Jagdgewehr auf und sagte: „Sehen Sie sich die Laufe innen an. Die sind spiegelblank. Oder meinen Sie, ich hatte sie unterwegs gereinigt?'
Der Leutnant wandte sich an Stjopka. „Kannst du mir die Stelle zeigen, wo der Elch liegt?'
„Von der Stra?e aus nicht. Aber wenn wir zuerst nach Hause gehen und dann an den Marmorsee, ist es eine Kleinigkeit.'
Die Wilddiebe wurdigten Stjopka keines Blickes. „Da haben Sie es', geiferte Sergej Sergejewitsch, „die Strolche wissen selbst nicht, wie sie sich rausreden sollen. Ich will gar nicht bestreiten, da? irgendwo im Wald ein toter Elch liegt. Nehmen wir an, Sie begehen tatsachlich die Torheit, dort hinzufahren. Was gedenken Sie weiter zu tun? Wollen Sie das Tier fragen, wer es erschossen hat?'
„Sie haben es erschossen', schrie Stjopka aufgebracht, „er hat noch die Frechheit, den Mund aufzurei?en. — Mischa, gib du's ihm', forderte er mich auf.
Ich stand wie vom Donner geruhrt. In meinem Leben war mir noch nie ein Mensch begegnet, der so kaltschnauzig gelogen hatte wie dieser Sergej Sergejewitsch. Der Leutnant blickte gleichfalls betroffen drein. Freilich, selbst wenn wir den Elch fanden — wie sollte den drei Spitzbuben das Verbrechen nachgewiesen werden? Wir hatten damit gerechnet, da? die Wilddiebe ihre Tat gestehen wurden, sobald man sie ihnen auf den Kopf zusagte.