Tom Crabbe wurde also auf einem gro?en Karren nach dem Bahnhofe geschafft und gleich einem Frachtstucke in einen Wagen verladen. Als es halb neun Uhr abends schlug, setzte sich der Zug in Bewegung, wahrend die Gruppen von Wettlustigen, die auf dem Perron zuruckblieben, auf einen Partner in so jammerlicher Form nicht die kleinste Summe – nicht einmal funfundzwanzig Cents – zu setzen wagten.
Ein Gluck, da? der Champion der Neuen Welt und sein Traineur nicht die funfundsiebzig Millionen Hektar, die der Staat Texas einnimmt, zu durchmessen hatten. Sie brauchten nur die hundertsechzig Meilen zwischen Galveston und der Hauptstadt des Staates zuruckzulegen.
Es ware ja wunschenswerth gewesen, die von dem prachtigen Rio Grande und so vielen andern Flussen bewasserten Gegenden zu besuchen, den Antonio, den Brazos, den Trinity, der in der Bai von Galveston mundet, und auch den Colorado zu besichtigen, dessen vielfach gewundene Ufer mit Perlenaustern ubersaet sind. Dieses Texas mit seinen endlosen Prairien, wo fruher die Comanchen hausten, ist uberhaupt ein herrliches Stuck Erde. Im westlichen Theile mit Urwaldern bedeckt, die zahllose Magnolien, Sykomoren, Pekan- (Walnu?-)baume, Akazien, Palmen, Eichen, Cypressen und Cedern enthalten, prangen hier auch die uppigsten Felder mit Orangen, Nopal (Cochenille-)pflanzen und mit den wunderbarsten Caeteen, wahrend im Nordwesten stolze Hohen schon an die Felsenberge erinnern. Dabei erzeugt das Land vorzuglicheres Zuckerrohr als das der Antillen, in seinem Tabak von Nocogdoches eine bessere Sorte als die von Maryland oder Louisiana; es enthalt Farmen von vierzigtausend Acres (1 Acre gleich 0•405 Hektar) mit einem Thierbestand von ebensoviel Hauptern, und seine gro?en Ranchos zuchten zu Hunderttausenden die schonsten, edelsten Pferde.
Doch, was konnte das Tom Crabbe interessieren, der niemals etwas sah, oder John Milner, der nie auf etwas anderes als auf Tom Crabbe blickte?
Gegen Abend hielt der Zug zwei Stunden im Bahnhofe von Houston, bis wohin flach gehende Fahrzeuge gelangen konnen. Hier sind gro?e Niederlagen fur die Waaren erbaut, die auf dem Trinity, dem Brazos und dem Colorado zugefuhrt wurden.
Sie sehen theilnahmslos zu, wie die Fischerfahrzeuge mit jeder Ebbe hinausziehen. (S. 127.)
Am nachsten Tage, am 13. Mai, stieg Tom Crabbe am Ziele seiner Reise im Bahnhofe von Austin aus dem Wagen. Ein wichtiger Mittelpunkt der Industrie, begunstigt durch den Strom, der hier durch eine Barre gestaut wird, ist die Landeshauptstadt auf einer Terrasse des Nordufers des Colorado erbaut, in einer Gegend, wo Eisen, Kupfer, Mangan, Granit, Marmor, Gips und Thon in gro?er Menge vorkommen. Eine Stadt von mehr amerikanischem Charakter als viele andre in Texas, und erwahlt zum Sitz der Regierung des Staates, zahlt sie sechsundzwanzigtausend Einwohner fast ausschlie?lich angelsachsischer Herkunft. Sie ist nur eine einfache Stadt, wahrend die am Rio Grande Doppelstadte sind – mit Holzhausern an der einen Stromseite und Luftziegelbauten an der andern – wie die halb mexikanischen Ortschaften El Paso und El Presidio.
Eigentliche Amerikaner gab es in Austin nur solche, die jetzt aus Neugier hergekommen waren, vielleicht um ein paar Wetten einzugehen und den zweiten Partner kennen zu lernen, den die Wurfel aus dem fernen Illinois hierher verschlagen hatten.
Im Ganzen waren die Leute hier mehr vom Gluck begunstigt, als die in Galveston und in Houston. Als er den Fu? auf das Pflaster von Austin setzte, erwachte Tom Crabbe wieder aus der beunruhigenden Stumpfsinnigkeit, die alle Sorgen, alle Bitten, alle Beschworungen John Milner’s nicht zu bannen vermocht hatten. Wohl erschien der Champion der Neuen Welt anfanglich etwas zusammengegangen, etwas schlaff und nicht so recht ungezwungen, doch das war ja nicht zu verwundern, da er, seit der »Sherman« im offenen Meere schaukelte, nichts andres als Seeluft geschluckt hatte. Der Riese hatte sich eben darauf angewiesen gesehen, sich vom eignen Fett zu ernahren; doch auch auf eine solche Kost gesetzt, hatte es ihm gewi? fur langere Zeit noch nicht an Nahrmaterial gefehlt.
Heute Morgen nahm er aber eine tuchtige Mahlzeit ein – eine Mahlzeit, die gleich bis zum Abend dauerte – Rehkeulen, Hammel-und Rindfleisch, verschiedene Leckereien, Gemuse, Fruchte, Kase, dazu Half and Half, Gin, Wisky und auch noch Thee und Kaffee! John Milner empfand schon einen leisen Schreck wenn er an die Hotelrechnung dachte, die ihnen bei Beendigung ihres Aufenthaltes zugestellt werden wurde.
Dieses Spiel wiederholte sich am nachsten wie am ubernachsten Tage, und so kam der 16. Mai endlich heran.
Tom Crabbe war wieder die erstaunliche menschliche Maschine geworden, vor der Corbett, Fitzsimons und andere nicht minder beruhmte Boxer so vielmals hatten in den Staub bei?en mussen.
Neuntes Capitel.
Eins und eins macht zwei.
An demselben Tage empfing ein Hotel – oder richtiger ein nicht zu den renommierteren gehoriger Gasthof, der der Sandy Bar – als Gaste zwei Reisende, die mit dem ersten Zuge nach Calais, einem einfachen kleinen Orte im Staate Maine gekommen waren.
Die beiden Reisenden, ein Mann und eine Frau, die von einer langen und beschwerlichen Fahrt sehr angegriffen aussahen, schrieben sich als Herr und Frau Field ins Fremdenbuch ein. Dieser Name gehort etwa mit den Namen Smith, Johnson und mehreren andern in den Familien angelsachsischen Ursprungs zu den haufigsten. Man mu? schon mit ganz besondern Eigenschaften ausgestattet sein, in der Politik, den Kunsten oder dem Waffenhandwerk eine hervorragende Stellung erklommen haben oder mit einem Wort ein Genie sein, um die offentliche Aufmerksamkeit zu erregen, wenn man diesen weitverbreiteten Namen fuhrt. »Herr und Frau Field«, das sagte also gar nichts, wies nicht auf bedeutendere Personlichkeiten hin, und der Gastwirth ubertrug die Namen in sein eignes Buch ohne sich weitere Gedanken uber deren Trager zu machen.
Zur Zeit waren ubrigens in den Vereinigten Staaten keine Namen weiter verbreitet oder wurden von Millionen Lippenpaaren ofter wiederholt, als die der Partner und der des phantastischen Mitglieds des Excentric Club. »Field« hie? aber keiner von den »Sieben«. In Calais kummerte man sich um die beiden Fields also ebensowenig, wie um beliebige andere Fremde. Die in Rede stehenden machten au?erlich keinen besondern Eindruck, und der Gastwirth fragte sich vielleicht heimlich, wie es mit der Bezahlung stehen werde, wenn die Stunde der Abrechnung schlug.
Was wollte das Ehepaar hier in der kleinen, dicht an der Grenze des Staates und auch im au?ersten Nordosten der Union gelegenen Stadt? Warum hatten sie die sechshunderteinundsechzigtausend Einwohner des Staates, der die Halfte des gewohnlich Neuengland genannten Gebietes einnimmt, um zwei Einheiten vermehrt?
Das Zimmer im ersten Stockwerke, das Herrn und Frau Field im Gasthofe der Sandy Bar zugewiesen worden war, gehorte nicht zu den stattlichsten und bequemsten – ein Bett fur zwei Personen, ein Tisch, zwei Stuhle und ein Waschtisch bildeten seine ganze Ausstattung. Das Fenster darin lag nach dem Saint-Croixflu?e zu, dessen linkes Ufer zu Canada gehort. Ein einziger Koffer, der in der Hausflur stand, war von einem Bahnbediensteten gebracht worden. In einer Ecke standen zwei dicke Regenschirme und lehnte ein alter Reisesack.
Als Herr und Frau Field, nachdem der Gastwirth, der sie nach diesem Zimmer gefuhrt hatte, wieder fortgegangen war, sich allein sahen, schlossen sie die Thur ab, schoben den Riegel vor und legten das Ohr an die Thurfullung, um zu prufen, ob sie auch niemand horen konne.
»Endlich, sagte der eine, waren wir ja am Ziele!…
– Ja, antwortete die andere, nach wohlgezahlten drei Tagen und drei Nachten seit unsrer Abreise!
– Ich furchtete schon, die Fahrt nahme gar kein Ende, fuhr Herr Field fort, indem er die Arme herabsinken lie?, als ob alle seine Muskeln den Dienst versagten.
– Nun, die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende, meinte Frau Field.
– Und wird uns noch ein Heidenstuck Geld kosten!
– Es kommt hier nicht darauf an, was die Sache kosten wird, entgegnete die Dame scharf, sondern darauf, was sie einbringen kann…
– Jedenfalls, fiel der Herr ein, war es von uns ein glucklicher Gedanke, unter angenommenem Namen zu