reisen.
– Ein Gedanke, der von mir herruhrt…
– Und der ein ganz vortrefflicher war! Stelle Dir nur vor, wie wir sonst auf Gnade und Ungnade den Hoteliers, den Gastwirthen, allen den Leuteschindern preisgegeben gewesen waren, allem Volke, das sich von denen mastet, die in seine Hande geriethen, und das unter dem Vorwande, da? uns ja doch die Dollars millionenweise zufallen wurden!
– Ja, wir haben recht gethan, erklarte Frau Field, und werden auch spaterhin alle Ausgaben so viel wie moglich beschranken. Wir haben unser Geld seit drei Tagen auch nicht an den Buffets der Bahnhofe weggeworfen, und ich hoffe, das wird so weiter gehen…
– Wenn auch… kluger war’s doch gewesen, von der ganzen Geschichte abzusehen.
– Schweig davon. Hermann! rief Frau Field befehlerischen Tones. Haben wir nicht ebensoviel Aussicht wie die andern, als die ersten anzukommen?
– Gewi?, Kate; das Vernunftigste war’ es aber dennoch gewesen, den Vertrag zu unterzeichnen… sich die Erbschaft zu theilen…
– Das meine ich nicht. Uebrigens erhob ja der Commodore Urrican dagegen Einspruch, und jener X. K. Z. war auch nicht da, seine Zustimmung geben zu konnen…
– Ja, unterbrach sie Herr Field, ich mu? Dir gestehen, da? ich diesen X. K. Z. am meisten furchte. Man wei? nicht, wer er ist, noch wo er sich heute oder morgen befindet. Niemand kennt ihn. Er nennt sich X. K. Z…. Ist denn das uberhaupt ein Name?… Kann es erlaubt sein, sich X. K. Z. zu nennen?«
In dieser Weise machte Herr Field seinem Herzen Luft. Und doch, wenn er sich nicht hinter den Anfangsbuchstaben seines Namens versteckte, hatte er sich ja selbst Field statt Titbury genannt – der Leser wird ihn aus den wenigen, zwischen ihm und der Frau Field gewechselten Worten, aus denen der Geiz der beiden Leute genugend hervorleuchtete, leicht genug erkannt haben.
Es war in der That Hermann Titbury, der dritte Partner, den der Fall der Wurfel – eins und eins – nach dem zweiten Felde, dem Staate Maine, verwiesen hatte. Und welches Pech, da dieser Wurf ihn nur um zwei Schritte von dreiundsechzigen vorwarts brachte, wahrend er sich dabei nach der au?ersten Nordostspitze der Union begeben mu?te!
Maine grenzt namlich schon an das Dominium von Canada und an Neubraunschweig. In den Bundesstaat seit 1820 aufgenommen, hat es als Ostgrenze den Meerbusen von Passamaquoddy, in den der Saint Croixstrom ausmundet, und der in zwolf Grafschaften zertheilte Staat sendet zwei Senatoren und funfzig Deputierte in den Congre?, jene nationale Bai, konnte man nicht mit Unrecht sagen, in die sich alle politischen Strome der Vereinigten Staaten ergie?en.
Herr und Frau Titbury hatten am Abend des 5. Mai ihr Haus in der Robey Street verlassen und wohnten jetzt in diesem recht mittelma?igen Gasthofe von Calais. Die Grunde, weshalb sie sich eines andern Namens bedienten, sind ja bekannt. Da sie niemand Tag und Stunde ihrer Abreise verrathen hatten, erfolgte diese im strengsten Incognito, ganz wie – nur aus andern Grunden – die Max Real’s.
Das brachte die Wettlustigen etwas in Verlegenheit, denn wir mussen gestehen, da? man Hermann Titbury bei diesem Wettrennen um Millionen ziemlich gute Aussichten andichtete. Im Laufe der Partie verbesserten sich diese gewi? noch weiter, so da? er wohl zum Favorit des Matches aufsteigen konnte. Er gehorte ja zu den Bevorzugten, denen hienieden alles gelingt, weil sie gewissenlos genug in der Auswahl der Mittel sind, die sie zur Sicherung des Erfolgs anwenden. Sein Vermogen gestattete es ihm, die Einsatze zu erlegen, wenn der Zufall ihn zu solchen nothigte, und so hoch sie auch sein mochten, er zogerte gewi? nicht, sie in klingender Munze einzuzahlen. Au?erdem lie? er sich bei den verschiedenen Fahrten, die ihm doch jedenfalls noch bevorstanden, zu keinen Zerstreuungen oder Abstechern verleiten, wie das wohl von Max Real und Harris T. Kymbale zu erwarten war. Keiner brauchte zu furchten, da? er auf dem Wege von einem Staate zum andern durch eigne Schuld eine Verzogerung erleiden werde – er befand sich mit absoluter Gewi?heit am betreffenden Tage allemal an dem ihm zugewiesenen Orte.
Das waren also schwerwiegende Garantien, die Hermann Titbury bot, ganz abgesehen von dem personlichen Glucke, das ihn in seinem Leben als Geschaftsmann nie im Stiche gelassen hatte.
Das wurdige Paar hatte sich bemuht, nicht nur den kurzesten, sondern auch den billigsten Reiseweg durch das fast unentwirrbare Netz von Eisenbahnen herauszufinden, das einem ungeheuern Spinnengewebe gleich das ostliche Gebiet der Union bedeckt. Ohne sich irgendwo aufzuhalten, ohne Gefahr zu laufen, an den Bahnhofbuffets oder in den Restaurants von Hotels ausgeplundert zu werden – denn sie lebten ausschlie?lich von mitgefuhrten Mundvorrathen – von einem Zug zum andern so schnell ubergehend, wie beim Taschenspieler die Kugel von der rechten zur linken Hand, fur die Sehenswurdigkeiten des Landes mit ebensowenig Interesse wie Tom Crabbe, stets in dieselben Gedanken versunken, immer von Unruhe gepeinigt oder hochstens beschaftigt, die taglichen Ausgaben aufzuschreiben und die fur die Fahrt mitgenommene Summe zu zahlen und wieder zu zahlen, sonst am Tage im Halbtraume, in der Nacht im Schlafe – so durchflogen Herr und Frau Titbury Illinois von Westen nach Osten, den Staat Indiana, dann Ohio, ferner New York und schlie?lich den Staat New Hampshire. Hiermit gelangten sie endlich am Morgen des 8. Mai an die Grenze von Maine, und zwar am Fu?e des zur Gruppe der Wei?en Berge gehorigen Mount Washington, dessen schneeiger, von Sturm und Hagel umbrauster, funftausendsiebenhundertfunfzig Fu? (1676 Meter) aufragender Gipfel den Namen des gro?ten Helden der amerikanischen Republik fuhrt.
Von hier aus kamen Herr und Frau Titbury nach Paris, dann nach Lewiston am Androscoggin, einer gewerbflei?igen Stadt mit dem gegenuberliegenden Auburn, dem Rivalen der bedeutenden Stadt Portland, jenes besten Hafens von Neuengland, der sich an der wohlgeschutzten Bucht von Casco ausbreitet. Die Eisenbahn brachte sie darauf nach Augusta, der officiellen Hauptstadt von Maine, deren elegante Landhauser an den Ufern des Kenne bec zerstreut sind. Von der Station Bangor mu?ten sie sich noch in nordostlicher Richtung nach Vaskahogan begeben, wo der Schienenweg aufhort, und endlich die Post bis Princeton benutzen, das eine Nebenbahn unmittelbar mit Calais verbindet.
In dieser Weise verlief also, unter haufiger und lastiger Vertauschung der Bahnzuge, die Fahrt von Maine bis hierher. Lustfahrer besuchten dabei freilich gern die Berggegenden, die Moranenfelder, die Seenplateaus des Landes, ebenso wie die tiefen, fast unerschopflichen Walder mit machtigen Eichen, Canadasichten, Ahornbaumen, Buchen und sonstigen Baumarten der nordlichen Landestheile, die vor der Einfuhrung der eisernen Schiffe das Nutzholz fur viele Werften lieferten.
Herr und Frau Titbury – angeblich Field – waren in Calais fruhzeitig am 9. Mai eingetroffen, eigentlich auch recht vorzeitig, da sie hier bis zum 19. bleiben mu?ten. Sie sollten in der kleinen Stadt, einem einfachen Hafen fur Binnenschifffahrt mit wenigen tausend Einwohnern, also zehn volle Tage zubringen und wu?ten doch nicht, was sie beginnen sollten, bis ein Telegramm von Meister Tornbrock sie wieder von hier abrief.
Und doch bietet das so abwechslungsreiche Gebiet von Maine Gelegenheit zu den schonsten Ausflugen. Nach Nordwesten zu liegt die herrliche Gegend, die der Khatadinberg uberragt, der aus den Waldmassen eines Seenplateaus bis dreitausendfunfhundert Fu? (1066 Meter) aufsteigt. Ferner findet sich da die sechsunddrei?igtausend Seelen zahlende Stadt Portland, der Geburtsort des Dichters Longfellow, und belebt infolge ihres bedeutenden Handels mit den Antillen und mit Sudamerika. Sie hat zahlreiche Denkmaler, Parke und Garten, die von den kunstliebenden Einwohnern mit gro?em Geschmack gepflegt werden; weiter das bescheidene Brunswick mit seinem beruhmten Bowdoin-College, dessen Gemaldesammlung zahlreiche Kunstfreunde heranzieht. Zu vergessen sind auch nicht, weiter im Suden an den Kusten des Atlantischen Oceans, die in der warmen Jahreszeit von den reichen Familien der Nachbarstaaten vielbesuchten Seebader. Wer von jenen nicht wenigstens einige Wochen, vorzuglich auf der wunderschonen Insel Mount Desert und hier im Bar Harbor verweilte, der ginge zu Hause jedes Ansehens verlustig.
Solche Ausfluge freilich von zwei von ihrer Felsenbank losgerissenen und dann neunhundert Meilen weit beforderten Mollusken zu verlangen, das ware vergebliche Liebesmuh gewesen – nein, diese verlie?en Calais keinen Tag und keine Stunde lang. Sie blieben ganz fur sich, erwogen ihre Aussichten und verwunschten instinctiv die andern Partner, nachdem sie sich schon hundertmal die Verwendung des neuen Vermogens uberlegt hatten, wenn der Zufall sie zu zweihundertfunfzigfachen (Mark-)Millionaren machen sollte. Ob sie dadurch wohl nicht in einige Verlegenheit kamen?…
Sie… wegen jener Millionen?… Keine Sorge! Sie wurden schon verstehen, diese in sichern Werthpapieren, in Bank-, Bergwerks-und Industrieactien anzulegen und wurden ihr ungeheures Einkommen einstreichen, ohne es fur wohlthatige Zwecke zu verzetteln. Den Uebernhu? legten sie dann wieder zinstragend an, ohne sich etwas fur