in Chicago allein, das ein Feuilletonist die »Wettenstadt« taufte, sondern auch in allen gro?en und kleinen Stadten der Union, sogar in den Flecken, bis hinunter zu den kleinsten Dorfern, gab es Spieler, die fur nichts anderes mehr als fur den »gro?en Match« Gedanken hatten.
Die bedeutendsten Stadte, New York, Boston, Philadelphia, Washington, Albany, Saint-Louis, Baltimore, Richmond, Charleston, Cincinnati, Detroit, Omaha, Denver, Lake City, Savanah, Mobile, New Orleans, San Francisco und Sacramento hatten besondere Agenturen, die vortreffliche Geschafte machten. Ja, man erwartete, da? diese sich noch verdoppeln, verdreifachen, vervier-, selbst verzehnfachen mochten, je nach den unberechenbaren Zwischenfallen, die durch die Wurfel noch hervorgerufen werden konnten und von denen Max Real, Tom Crabbe, Hermann Titbury, Harris T. Kymbale, Lissy Wag, Hodge Urrican und X. K. Z. entweder begunstigt oder schwer geschadigt werden wurden. Allmahlich entwickelte sich ein wirklicher Markt, mit Sensalen und Agenten, eine Borse mit Angebot und Nachfrage, wo sehr viele Leute zu wechselnden Cursen, je nach den Aussichten des einen oder des anderen Partners, kauften und verkauften.
Selbstverstandlich blieb diese Stromung nicht auf die Vereinigten Staaten allein beschrankt. Sie hatte die Grenze uberfluthet und verzweigte sich uber Quebec, Montreal, Torento und andere gro?ere Stadte Canadas durch die ganze Dominion. Sie griff auch nach Mexiko hinuber und nach den kleineren Staaten, die am Golfe liegen. Dann walzte sie sich nach Sudamerika zu und drang nach Columbien, Venezuela, Brasilien, nach der Argentinischen Republik und schlie?lich nach Peru, Bolivia und Chile ein. Das Spielfieber entwickelte sich in der ganzen Neuen Welt zur richtigen Epidemie.
Auf der anderen Seite des Atlantischen Oceans, in Europa, hatten sich ubrigens Frankreich, Deutschland, England und Ru?land, in Asien Ostindien, China und Japan, in Oceanien Australien und Neuseeland schon an dem tollen Treiben dieses Matches in betrachtlichem Ma?e betheiligt.
Wenn das verstorbene Mitglied des Chicagoer Excentric Club bei Lebzeiten auch nicht viel von sich reden gemacht hatte, war doch der Larm um so gro?er, den der Mann nach seinem Ableben uberall erregte. Der hochachtbare Georges B. Higginbotham konnte nebst seinen Collegen auf ein Mitglied, dem ein solcher posthumer Ruhmesglanz zufiel, gewi? stolz sein.
Wer war nun zur jetzigen Stunde der Favorit auf diesem neuartigen Turf?
War es auch schwierig, zu Anfang einer Partie, von der man erst einige Zuge kannte, sich uber deren Ausgang ein Urtheil zu bilden, so schien es doch, als ob der vierte Partner, Harris T. Kymbale, die meisten Parteiganger auf sich vereinigte. Freilich wurde auch gerade ihm die meiste Aufmerksamkeit zugelenkt, da die Journale mit Vorliebe von ihm berichteten und ihm, durch seine taglichen Mittheilungen auf dem Laufenden gehalten, von Schritt zu Schritt folgten. Max Real, mit seiner Zuruckhaltung, die er niemals ablegte, Hermann Titbury, der zu Anfang unter falscher Flagge gesegelt war, und auch Lissy Wag, deren Abreise sich bis zum letzten Tage verzogert hatte, konnten gegen den geistreichen, geschaftigen Berichterstatter der »Tribune« nicht in die Schranken treten.
Uebrigens sei hier bemerkt, da? Tom Crabbe mit seinem Schrittmacher John Milner sich auch einer gro?en Zahl auf ihn Wettender ruhmen konnte. Es erschien so naturlich, da? das gewaltige Vermogen dem gewaltigen Unthiere zufiel. Der Zufall liebt ja derartige Widerspruche oder, wenn man lieber will, Uebereinstimmungen, und wenn er darin auch keiner Regel folgt, so hat man doch immer mit seinen Launen zu rechnen.
Was den Commodore Urrican betrifft, hatte dieser auf den Markten anfangs hoch im Curs gestanden. Durch den ihm geltenden Wurf neun – funf und vier – war er ja schon nach dem dreiundfunfzigsten Felde gelangt – gewi? ein glanzender Anlauf! Durch den zweiten Wurf aber nach dem achtundfunfzigsten Felde, nach Californien, verwiesen und damit genothigt, die Partie wieder von vorn anzufangen, hatte er alle Gunst eingebu?t. Uebrigens wu?te man allgemein von seinem Schiffbruche vor Key West, wie seine Ausschiffung unter so klaglichen Umstanden stattgefunden und da? er auch am Morgen des 23. das Bewu?tsein noch nicht wiedererlangt habe. Obendrein blieb es fraglich, ob er sich uberhaupt werde nach dem Death Valley (Todtenthal) begeben konnen,. und eigentlich war er ja schon – als Mensch und als Partner – fast so gut wie zweimal todt.
So ware nur X. K. Z. noch ubrig, und man hatte Ursache zu vermuthen, da? die Spitzfindigen, die Schlaukopfe, denen eine besondere Veranlagung gestattet, haufig auszuspuren, wohin die Glucksgottin sich wendet – da? diese sich ihn als Gunstling erwahlen wurden. Da? er augenblicklich vernachlassigt wurde, lag nur daran, da? noch niemand wu?te, ob er bereits nach Wisconsin abgereist war oder nicht. Diese Frage mu?te jedoch sofort entschieden werden, wenn er sich auf dem Postamte von Milwaukee meldete, um sein Telegramm abzuholen.
Dieser Tag war nicht mehr fern. Schon naherte sich der 27. Mai, der Termin fur das vierzehnte Auswurfeln, das dem Manne mit der Maske galt. An genanntem Tage sendete Meister Tornbrock nach gefallener Entscheidung durch die Wurfel eine Depesche an das Amt in Milwaukee, bei dem jener sich noch am Vormittage personlich einzufinden hatte. Man kann sich leicht vorstellen, da? sich auf dem Amte dann auch eine Menge Leute sammeln wurden, die begierig waren, den nur durch Buchstaben bezeichneten Herrn zu sehen. Horte man da auch nicht seinen Namen, so lernte man doch seine Person kennen, und Augenblicks-Photographen waren gewi? zur Stelle, ein Bild von ihm zu erhaschen, das dann sicherlich in allen Blattern Verbreitung fand.
Man beachte wohl, da? William I. Hypperbone die verschiedenen Staaten der Union auf seiner Karte ganz willkurlich vertheilt hatte. Die Staaten waren weder alphabetisch noch geographisch geordnet. So entsprachen z. B. Florida und Georgia, die aneinandergrenzen, das eine dem achtundzwanzigsten, das andere dem dreiundfunfzigsten Felde. Ebenso hatten Texas und Sudcarolina die Nummern zehn und elf, obwohl sie um acht-bis neunhundert Meilen von einander entfernt liegen. Mit den ubrigen Staaten war das ganz ahnlich. Diese Vertheilung schien also nicht auf uberlegter Auswahl zu beruhen, vielleicht waren die Platze fur die Staaten vom Testator auch einfach durch Auslosung bestimmt worden.
Doch gleichviel; jedenfalls hatte der geheimni?volle X. K. Z. in Wisconsin die Depesche zu erwarten, die ihm den Ausfall des zweiten Wurfelns verkundigte. Da nun Lissy Wag und Jovita Foley in Milwaukee erst am Morgen des 23. hatten eintreffen konnen, waren sie eiligst weitergefahren, um nicht mit dem siebenten Partner zusammenzusto?en, wenn dieser sich auf dem Telegraphenamt der Stadt einfand.
Endlich kam der 27. Mai, und wieder wendete sich die offentliche Aufmerksamkeit dem Manne zu, der aus wer wei? welchen Grunden sich hutete, seinen Namen zu verrathen.
Eine gewaltige Menschenmenge fullte an diesem Tage also den Saal des Auditoriums, und sie ware gewi? noch weit gro?er gewesen, wenn nicht schon Tausende die Fruhzuge nach Milwaukee benutzt hatten, um dort im Postamt anwesend zu sein, wenn X. K. Z. dahin kam, um sein Telegramm abzufordern. Dort sahen sie ihn doch endlich!
Um acht Uhr schuttelte Meister Tornbrock mit gewohnter Feierlichkeit und umgeben von den Mitgliedern des Excentric Club, den Lederbecher, lie? die Wurfel auf den Tisch rollen und verkundete dann unter allgemeinem Schweigen mit weithin schallender Stimme:
»Vierzehnter Wurf, siebenter Partner, zehn durch vier und sechs Augen!«
Dieser Ausfall brachte folgendes mit sich:
Da X. K. Z. sich zur Zeit im sechsundzwanzigsten Felde, im Staate Wisconsin, befand, ware er dadurch nach dem sechsunddrei?igsten gewiesen worden. Bei diesem – es war der Staat Illinois – hatte die Zahl der Augen aber doppelt zu gelten, und der siebente Partner hatte sich deshalb von Wisconsin aus gleich nach dem sechsundvierzigsten Felde zu begeben. Auf der Karte William I. Hypperbone’s fiel dieses Feld mit dem District Columbia zusammen.
Wahrlich, das Gluck begunstigte diese geheimni?volle Personlichkeit ganz au?erordentlich! Beim ersten Wurfe ein Nachbarstaat von Illinois, beim zweiten hatte der Mann nur drei Staaten, Indiana, Ohio und Westvirginien, zu durchmessen, um nach dem Districte Columbia und nach Washington, seiner Hauptstadt, zu gelangen, die gleichzeitig der Sitz der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ist.
Welch ein Vortheil gegen die meisten ubrigen Mitbewerber, die bis zum Ende des Bundesgebietes verwiesen worden waren!
Auf ein solches Gluckskind – wenn es uberhaupt existierte – konnte und mu?te man wetten.
An jenem Morgen schwand nun in Milwaukee daruber jeder Zweifel. Kurz vor Mittag wich die Volksmenge am Eingange und im Innern des Postamtes auseinander, um einen Mann von mittlerer Gro?e und kraftigem Aussehen hindurchzulassen, einen Mann, der einen schon halb ergrauten Bart hatte und einen Klemmer vor den Augen trug. Er erschien in Reisekleidern und. hielt einen kleinen Koffer in der Hand.
»Haben Sie eine Depesche mit der Chiffre X. K. Z.? fragte er den Beamten.
– Hier, mein Herr!« erhielt er zur Antwort.