Selbstverstandlich hatte der junge Mann sofort nach Empfang seiner Depesche sich beeilt, die Eisenbahnfahrplane durchzusehen, um den kurzesten Weg herauszufinden. Dabei ergab sich ubrigens, da? zwei Linien der Union Pacific ihm eine fast gleichma?ig schnelle Beforderung versprachen.
Die eine verlauft von Kansas aus nach Nebraska, erreicht uber Marysville, Kearney City, North Platte, Ogallalla und Antelope die sudostliche Grenzecke von Wyoming und fuhrt dann nach Cheyenne.
Die andere geht uber Salina, Ellis, Oakley, Monument, Wallace und erst bis Monotony dicht an der Grenze von Colorado, wendet sich hierauf nach Denver, der Hauptstadt des Staates, beruhrt ferner Jersey, Brighton, La Salle und Dover, uberschreitet hier die Grenze von Wyoming und endigt ebenfalls in Cheyenne.
Dem zweiten Wege gab die violette Flagge – wir wissen, da? das die Farbe des ersten Partners war – den Vorzug. In Cheyenne angelangt, gedachte sich Max Real die weitere Reiseroute zusammenzustellen, um in kurzester Zeit am Viereck des gro?en Nationalparkes einzutreffen.
Am Nachmittage des 16. reiste er, sein Malgerath mit sich fuhrend, schon ab; Tommy trug das ubrige Gepack, und so bestiegen beide den Zug. Unubersehbar, ohne jede Erhebung oder Senkung des Bodens, dehnen sich die westlichen Ebenen von Kansas aus, die der von den Wei?en Bergen in Colorado kommende Arkansasflu? bewassert. Hier fand der Bahnbau keinerlei Schwierigkeiten. Je nach der fortschreitenden Befestigung von Schienen auf den Schwellen ruckte die Locomotive nach, und dabei wuchs die im Bau begriffene Strecke taglich um mehrere (amerikanische) Meilen. Diese endlosen Steppen boten dem Auge des Kunstlers freilich nichts sehenswerthes, dagegen sollte sich die Landschaft weiter hin zu ihrem Vortheil verandern und in den Berggegenden Colorados geradezu zu einer herrlichen werden.
In der Nacht uberschritt der Zug die geometrische Grenze beider Staaten und traf noch am fruhen Morgen in Denver ein.
Max Real fand auch nicht ein Stundchen Zeit, sich diese Stadt ein wenig anzusehen. Der Zug ging sofort nach Cheyenne weiter, und wer diesen nicht benutzte, hatte dann gleich vierundzwanzig Stunden zu warten. Die hundert Meilen (160 Kilometer) lange Strecke, die das prachtige, von den Gipfeln des Long Peak uberragte Panorama der Snowy Ranges im Westen liegen lie?, wurde schnell zuruckgelegt.
Was ist nun Cheyenne?… Es ist der Name eines Flusses und einer Stadt, doch auch der der Indianer, die fruher in dieser Gegend siedelten, eigentlich aber »
Die Stadt ist aus dem Lagerplatze hervorgegangen, auf dem sich einst die ersten Goldsucher tummelten. Auf deren Zelte folgten Hutten und auf die Hutten wirkliche Hauser, die nun bald Stra?en und Platze begrenzten. Dann schlang sich das Bahngeleis um den Ort herum, und heute zahlt Cheyenne nahezu zwolftausend Einwohner. Erbaut in der Hohenlage von tausend Toisen (1950 Meter) bildet es jetzt eine wichtige Station der Pacificeisenbahn.
Der Staat Wyoming hat keine naturlichen Grenzen; ihn umschlie?en nur solche, die geodatisch aufgestellt sind, d. h. gerade Linien, die im vorliegenden Falle ein verlangertes Viereck bilden. Das Land ist von machtigen, durch tiefe Thaler getrennten Bergen erfullt, aus denen der Colorado, die Columbia und der Missouri entspringen. Und wenn ein Land diese drei Wasserlaufe geboren hat, die in der amerikanischen Hydrographie eine so wichtige Rolle spielen, ist es auch wurdig, einen Stern den andern hinzuzufugen, die in der Flagge der Vereinigten Staaten glanzen.
Seiner Gewohnheit gema? beobachtete Max Real das strengste Incognito. Cheyenne wu?te nicht, da? es an diesem Tage einen der Mitspieler im Match Hypperbone beherbergte. Man erwartete diesen hier nicht so zeitig und trostete sich damit, ihn am 29. Mai auf seinem Posten zu finden. Der junge Mann entging dadurch allen Empfangsfeierlichkeiten, den Magen schadigenden Banketten und lastigen Ehrenbezeugungen, die ihm von der leicht erregbaren Bevolkerung gewi? nicht erspart worden waren und wobei sich die Frauen, die in dem glucklichen Staate Wyoming sogar Stimmrecht haben, jedenfalls am meisten hervorgethan hatten.
Am Morgen des 16. Mai angekommen, traf Max Real sofort die nothigen Anstalten, sich nach dem Nationalpark zu begeben. Mit etwas mehr Zeit zur Verfugung, hatte er die Reise zu Wagen, mit der Post, ausfuhren, nach Belieben da oder dort verweilen und das Gebiet der Laramie Ranges durchstreifen konnen. Diese Ranges sind Hochebenen, deren Thonboden vor Zeiten der eines ausgedehnten Sees war und der noch zahllose, leicht zu uberschreitende Creeks zeigt, die nach launischen Windungen in den North Forth und den La Platte River munden; er hatte die wunderbaren, Kreise bildenden Hohen dieses orographischen Systems, die herrlichen Thaler und dichten Waldungen, sowie das vielarmige Netz der Zuflusse des Columbiastromes besuchen konnen und daneben noch die weitere Umgebung mit dem uber zweitausend Toisen aufragenden Union Peak, dem Haydn und dem Fremont Peak, sowie den wild zerklufteten Ouragansbergen oder Wide Water Mountains, von denen vielleicht der Name Oregon herruhrt, durch die oft Windsto?e und Sturme hereinbrausen, so da? sie mit dem nicht weniger wilden Commodore Urrican wetteifern konnten.
Ja, sich in dieser Weise, im Wagen, zu Pferde, zu Fu?e, in voller Freiheit fortzubewegen, nach Belieben an den schonsten Stellen dieses Gebietes Halt zu machen, sein Zelt hier oder da aufzuschlagen, ohne von der Zeit gedrangt zu sein – etwas verlockenderes hatte es fur einen Maler ja nicht geben konnen, und Max Real hatte seine Reise mit Begeisterung unter solchen Verhaltnissen durchgefuhrt. Leider mu?te er aber daran denken »da? er nicht nur Kunstler, sondern auch Partner, da? er nicht sein eigener Herr, sondern ein Spielball des Zufalls war, da? er von dem Fallen zweier Wurfel abhing und dem Zwange unterlag, stets bestimmte Termine einzuhalten und sich wie ein Bauer auf dem Schachbrett hin und her schieben zu lassen. Im Grunde fuhlte er sich dadurch wirklich erniedrigt.
»Ein Bauer, den das Schicksal in seiner Weise von einem Felde zum anderen schiebt, sprach er fur sich, ja, ich bin jetzt wahrlich nicht viel anderes!… Das ist ein Aufgeben jeder Menschenwurde fur die schwache Aussicht, unter Sieben die Erbtehaft des excentrischen Verstorbenen einzustecken! Ich werde uber und uber roth, wenn dieser schwarzbraune Tommy mich nur ansieht!… Ich hatte den Meister Tornbrock zum Teufel lagen, nicht an dieser albernen Partie theilnehmen sollen, von der es klug und weise ware, sich zur gro?en Genugthuung eines Titbury, Crabbe, Kymbale und Urrican zuruckzuziehen. Ich spreche nicht von der sanften, bescheidenen Lissy Wag, denn dieses junge Madchen sah mir gar nicht besonders erfreut aus, zu der Gruppe der Sieben zu gehoren. Ja… zum Kuckuck… das that’ ich auf der Stelle und bliebe in Wyoming, so lange es mir gefiele, wenn nicht mein braves Mutterchen ware, die es mir nicht verzeihen konnte, die Flinte ins Korn geworfen zu haben!… Da ich nun aber einmal in dem unvergleichlichen Yellowstonelande bin, will ich auch alles sehen, was in zehn Tagen zu sehen irgend moglich ist!«
Das war der gewi? nicht zu verwerfende Gedankengang Max Real’s, als er die Reisewege studiert hatte, die den Verhaltnissen am besten zu entsprechen schienen. Ware er ubrigens so gereist, wie er’s wunschte, so hatte er nicht allein manche Verzogerungen erfahren, sondern sich auch mancherlei Gefahren ausgesetzt. Die Ebenen und die Thaler des Innern von Wyoming sind keineswegs sicher, wenn man allein durch sie hinzieht. Abgesehen von dem gelegentlichen Zusammentreffen mit wilden Thieren, Baren und anderen Raubthieren, die hier hausen sind auch noch Ueberfalle durch Indianer, vor allem durch nomadisierende Sioux. zu befurchten, von denen noch lange nicht alle in den ihnen vorbehaltenen »Reservationen« untergebracht sind.
Bei den Expeditionen, die die Bundesregierung 1870 zur Erforschung des Gebietes des Yellowstone aussandte, wurde den Herren Doane, Langford und Doctor Haiden auch eine militarische Bedeckung beigegeben, um sie bei der Erledigung ihres Auftrages zu schutzen. Zwei Jahre spater, am 1. Marz 1872, erklarte der Congre? diese Gegend als »Nationalpark« – ein Gebiet, das aus mehr als einem Grunde ein achtes Weltwunder genannt zu werden verdient.
Zwei Ueberlandlinien verbinden New York mit San Francisco: die erste, die Union Pacific, die von Granger aus den Namen Oregon Short Line annimmt, verlauft uber Ogden und ist in runder Zahl dreitausenddreihundertachtzig Meilen (5490 Kilometer) lang; die zweite, funftausenddreihundert Meilen (8540 Kilometer) lange Linie beruhrt Topeka, Denver und andere wichtige Orte und mundet bei Cheyenne in die erste ein. Von dieser Stadt aus verlauft die Eisenbahn durch Wyoming, Utah, Nevada und Californien und endigt an der Kuste des Stillen Oceans.
In Utah, und zwar in Ogden, zweigt sich ein Schienenstrang ab, der in Pocatello wieder die Union Pacific erreicht, von wo aus die Oregon Shat Line bis Helena City in Montana emporsteigt. Diese Linie kommt in kurzer Entfernung am Nationalpark vorbei, dessen Gebiet zum kleineren Theile den ersten beiden Staaten, zum gro?eren Theile dem letztgenannten Staate angehort.
Die Entfernung von Cheyenne nach Ogden betragt nur funfhundertfunfzehn Meilen (828 3/4 Kilometer), und die von Ogden nach Monida, der dem Nationalpark am nachsten gelegenen Station, nur vierhundertfunfzig Meilen (724 Kilometer), die ganze Strecke ist also noch nicht tausend